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Hannover Messe: Digitalisierung: Braucht Deutschland Nachhilfe aus Estland?

Hannover Messe

Digitalisierung: Braucht Deutschland Nachhilfe aus Estland?

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    Hannover Messe digital bedeutet vor allem: Menschen diskutieren miteinander und sitzen dabei oft nicht im gleichen Raum. Das funktioniert schon ganz gut. Doch für Firmen ist es schwierig, so komplizierte Technik zu erläutern.
    Hannover Messe digital bedeutet vor allem: Menschen diskutieren miteinander und sitzen dabei oft nicht im gleichen Raum. Das funktioniert schon ganz gut. Doch für Firmen ist es schwierig, so komplizierte Technik zu erläutern. Foto: Julian Stratenschulte, dpa

    Live, mit Menschen, ist die Hannover Messe immer noch am besten. Unvergessen sind die Jahre, als der früherer Bundeskanzler Gerhard Schröder in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hof hielt. Regelmäßig trieb der Sozialdemokrat Redenschreiber zur Verzweiflung, wenn er den vorbereiteten Text mit einem erdigen Grinsen weglegte und in freier Rede sagte, was ihm gerade alles etwa zu Russland und China einfällt. Danach ging es mit Hannoveraner Kumpels zur fröhlichen Pils-Runde.

    Die Stimmung an den ersten Messetagen mit Hektik zu beschreiben, wäre eine Untertreibung. Wenn Schröders Nachfolgerin Angela Merkel mit dem einstigen US-Präsidenten Barack Obama bei deutschen Vorzeige-Unternehmen wie Siemens oder Kuka vorbeischaute, kämpften die Messegäste aus aller Welt um die besten Plätze. Die analoge Hannoveraner Messe-Welt war aufregend.

    Hannover Messe startet

    Doch funktioniert die größte Industrieschau rund um den Globus, die am Montag eröffnet wurde, auch digital? Der erste Tag, traditionell vollgepackt mit Pressekonferenzen und Auftritten von Politikern, lief vielversprechend an. Denn Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier beließ es nicht bei Lobpreisungen der Stärke der deutschen Industrie in Corona-Zeiten, sondern antwortete offen auf Fragen von Branchenvertretern.

    So wollte Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI), von dem Politiker wissen, wie groß seine Zuversicht sei, dass die Digitalisierung der Verwaltung in Deutschland zumindest in der nächsten Legislaturperiode endlich Fahrt aufnehme. Altmaier hatte den BDI-Chef zu der Nachfrage eingeladen, als er einräumte, dass Deutschland erst „viele, viele Jahre“ nach enteilten Vorreiter-Ländern wie Estland in der Lage sein werde, den Bürgern überall online Behörden-Dienstleistungen anzubieten.

    Industrie-Chef lächelt in Hannover

    Die Umstände des in Corona-Zeiten schmerzlichen Defizits scheinen den Wirtschaftsminister zu verärgern, zumal Deutschland in diesem Jahr in Sachen digitaler Verwaltung deutlich weiter sein wollte. Altmaier sagte, er müsse bei der Beantwortung der Frage Russwurms vorsichtig sein, um sich keine Konflikte mit geschätzten Kabinettskollegen einzuhandeln. Dann drohte der CDU-Mann aber: Wenn in der nächsten Legislaturperiode die Digitalisierung der Verwaltung wieder nicht entscheidend vorankomme, „bin ich bereit, ein Online-Team aus Estland einfliegen zu lassen“. Der deutsche Industrie-Chef lächelte.

    Eine auf der Hannover Messe von Russwurm aufgestellte Kernforderung der Industrie an die Politik lautet schließlich: „Verwaltungsprozesse müssen zügig auf die Praxistauglichkeit geprüft und zügig flächendeckend digitalisiert werden.“ Nachdem während der Corona-Krise hier massive Defizite zutage getreten sind, fordert der Industrie-Präsident von der Politik „weniger Lethargie und Bürokratie, dafür mehr Pragmatismus und Zupacken“. Letzteres scheinen viele Unternehmen zu beherzigen. Denn der BDI erwartet für dieses Jahr, was die Industrieproduktion betrifft, ein kräftiges Plus von acht Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dementsprechend geht Russwurm davon aus, dass die Exporte um 8,5 Prozent zulegen. Bisher hat der Industrieverband hier nur mit einem sechsprozentigen Plus gerechnet.

    Deutsche Industrie kommt in Fahrt

    Was den BDI-Chef zuversichtlich stimmt: „Die Auftragseingänge liegen bereits über Vorjahres- und sogar Vorkrisenniveau.“ Im vergangenen Jahr hatte die Industrie-Produktion noch einen herben Einbruch von 9,8 Prozent erlitten. Doch zum Glück wird der Außenhandel immer mehr zum Wachstumstreiber. Gerade China und auch wieder die USA machen der Weltwirtschaft Dampf, was gerade der Exportmacht Deutschland in hohem Maße ökonomische Kraft einflößt.

    Das spüren auch die heimischen Maschinen- und Anlagenbauer. Der Präsident des Branchenverbandes VDMA, Karl Haeusgen, sagte auf der Hannover Messe: „Der Auftragseingang liegt klar auf Wachstumskurs.“ Es mehrten sich die Anzeichen, dass der schwere Rückschlag des vergangenen Jahres in 2021 zumindest teilweise aufgeholt werden könne. Daher erhöhte der VDMA-Verband seine bisherige Produktionsprognose um drei Prozentpunkte auf sieben Prozent für dieses Jahr. Doch es gibt auch einige Wachstumsrisiken: Wichtige Zuliefergüter wie Halbleiterprodukte, also Chips, aber zum Teil auch Kupfer und Stahl werden in einer wieder anziehenden Weltwirtschaft phasenweise knapp. Und auch Maschinenbau-Chef Haeusgen forderte von Altmaier und seinen Kabinettskollegen eine Modernisierung und Digitalisierung der öffentlichen Verwaltungen ein. Aus Sicht des Verbandspräsidenten müssen konkret Berichtspflichten für Unternehmen verringert, Planungsverfahren vereinfacht und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden.

    Wenn all das in den nächsten Jahren nicht so recht klappt, müsste Altmaiers Digitalkommando aus Estland eingeflogen werden. Wäre nur noch zu klären, ob der CDU-Mann dann noch Minister ist.

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