An hehren Worten herrscht im Koalitionsvertrag kein Mangel. Ausdrücklich bekennen sich Union und SPD darin zur beruflichen Weiterbildung und Qualifizierung von Arbeitnehmern und sprechen sich für eine „neue Weiterbildungskultur“ aus. Die Regierung wolle „mit allen Akteuren eine Nationale Weiterbildungsstrategie für Arbeitnehmer und Arbeitssuchende entwickeln“, heißt es in den Zeilen 1798 und 1799 des Koalitionsvertrags.
Grüne: Die Regierung ist planlos bei der Weiterbildung
In der Realität ist davon allerdings wenig zu spüren. Wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen-Fraktion hervorgeht, die unserer Zeitung vorliegt, haben sich die Akteure der Nationalen Weiterbildungsstrategie bislang ein einziges Mal getroffen, am 12. November vergangenen Jahres. Dabei wurden, wie der Parlamentarische Staatssekretär im Bildungs- und Forschungsministerium, Thomas Rachel (CDU) mitteilt, „der Prozess zur Erarbeitung der Nationalen Weiterbildungsstrategie sowie die thematischen Schwerpunkte (Systematisierung, Beratung, Unterstützungs- und Anreizstrukturen, Zertifizierung, Anerkennung und Qualitätssicherung) besprochen, die in folgenden Workshops ausgearbeitet werden sollen“. Hierzu sollen auch „weitere Akteure“ eingebunden werden.
Für die Grünen ist diese Antwort ein Beleg dafür, dass die Bundesregierung noch immer keine eigene Strategie für die berufliche Weiterbildung hat. Und dass sie außer „wolkigen Ankündigungen, die bereits im Koalitionsvertrag zu lesen waren“, nichts zu bieten habe sowie das Handeln „in andere Gremien“ verschiebe. „Die Antwort zeigt einmal mehr die Planlosigkeit der Bundesregierung und insbesondere der Ministerin Anja Karliczek“, sagt Beate Walter-Rosenheimer, Sprecherin für Berufliche Bildung der Grünen-Fraktion, gegenüber unserer Zeitung. „Zukunftsfeste Antworten auf drängende Fragen werden auf später vertagt.“ In Kürze sei die Hälfte der Legislaturperiode vorbei, doch geschehen sei nichts. „Mit Aufschieberitis werden wir die Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt, denen sich Beschäftigte heute stellen müssen, nicht lösen.“ Die Bundesregierung fahre auf Sicht. Damit drohe die versprochene Nationale Weiterbildungsstrategie „ins Leere“, zumindest aber „am Ziel vorbei“ zu laufen. „Eine echte Strategie ist mehr als die Summe ihrer Ankündigungen.“
Nur jeder zweite Beschäftigte bildet sich fort
Aus Sicht der Grünen besteht angesichts der dramatischen Veränderungen der Arbeitswelt dringender Handlungsbedarf. Wie aus der Antwort der Bundesregierung hervorgeht, nahm 2016 exakt jeder zweite Beschäftigte an einer Weiterbildungsmaßnahme teil, das ist zwar mehr als 2010, als es nur 42 Prozent waren, aber praktisch unverändert im Vergleich zu 1997, als sich 48 Prozent der Beschäftigten weiterbildeten. Besonders auffällig – je höher die Gehälter, desto höher auch die Zahl derer, die sich fortbilden.
Bei Beschäftigten, die 3000 Euro und mehr brutto pro Monat verdienen, waren es 72 Prozent, bei Geringverdienern mit einem Einkommen zwischen 750 und 1500 Euro hingegen nur 45 Prozent. „Die Bildungsprämie, die für diesen Kreis gedacht ist, aber eine Selbstbeteiligung von 50 Prozent vorsieht, ist offensichtlich nicht die richtige Antwort auf das Problem“, sagt Grünen-Politikerin Walter-Rosenheimer. Und gerade einmal 8,6 Prozent der Arbeitslosen würden in den Genuss einer Weiterbildung kommen, in der Altersgruppe der 55- bis 65-Jährigen sind es gar nur 2,1 Prozent.