Der Zahlungsdienstleister Wirecard kann wegen milliardenschwerer Unklarheiten in der Bilanz seinen Jahresabschluss erneut nicht vorlegen. Die beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY habe das Unternehmen darüber informiert, dass über die Existenz von Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von 1,9 Milliarden Euro keine ausreichenden Prüfungsnachweise vorlägen, teilte der Dax-Konzern am Donnerstag in Aschheim bei München mit. Damit geht es um etwa ein Viertel der gesamten Bilanzsumme.
Im Mittelpunkt stehen nach Darstellung des Dax-Konzerns zwei asiatische Banken und ein Treuhänder. Die beiden Geldhäuser haben Wirecard darüber informiert, dass die bei ihnen geführten Kontonummern für Wirecard-Treuhandkonten "nicht zugeordnet werden konnten", wie das Unternehmen weiter mitteilte.
Auf diese Konten haben Wirecard-Tochtergesellschaften demnach Sicherheitsleistungen von insgesamt 1,9 Milliarden Euro eingezahlt. "Ob betrügerische Vorgänge zum Nachteil der Wirecard AG vorliegen, ist derzeit unklar", erklärte Vorstandschef Markus Braun. "Die Wirecard AG wird Anzeige gegen unbekannt erstatten." Das Unternehmen sehe sich als mögliches Opfer eines "gigantischen Betrugs".
Bilanzskandal um Wirecard: Aktienkurs bricht um mehr als die Hälfte ein
Es gebe Hinweise, dass dem Abschlussprüfer von einem Treuhänder oder aus dem Bereich von Banken, die die Treuhandkonten führen, "unrichtige Saldenbestätigungen zu Täuschungszwecken vorgelegt wurden", hieß es in der Mitteilung. Der Aktienkurs brach daraufhin um mehr als die Hälfte ein.
Sollte sich die Aktie vom Kurseinbruch bis September nicht nachhaltig erholen, droht der Rauswurf aus der ersten Börsenliga. Zu diesem Schluss kommen Index-Experten. Als Nachfolger dürften sich der Aromen- und Duftstoffhersteller Symrise und der Online-Essenslieferanten Delivery Hero, einer der großen Profiteure in der Corona-Krise, ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern.
Wirecard droht ein Sanktionsverfahren der Deutschen Börse
Zudem droht Wirecard jetzt angesichts der erneuten Verschiebung der Bilanzvorlage ein Sanktionsverfahren der Deutschen Börse. Wie in solchen Fällen üblich wird aufgrund der nicht fristgerechten Lieferung des Jahresfinanzberichts die Einleitung eines Sanktionsverfahrens geprüft, sagte ein Sprecher der Deutschen Börse der Finanznachrichtenagentur dpa-AFX.
Da der Dax-Konzern mit der erneuten Verschiebung allerdings erstmals gegen seine Börsenpflicht verstoßen habe, sei die Einleitung eines Sanktionsverfahrens aktuell eher unwahrscheinlich, hieß es von einem Insider. Sollte es doch dazu kommen, wäre der Sanktionsausschuss als unabhängiges Börsen-Organ zuständig, der auch etwaige Strafen festlegen würde. Die finanzielle Höchststrafe betrage eine Million Euro.
Der Konzern muss seine bereits mehrfach - zuletzt auf diesen Donnerstag - verschobene Vorlage des Jahresabschlusses für 2019 daher erneut vertagen. Ein neues Datum steht noch nicht fest. "Der Vorstand arbeitet mit Hochdruck daran, den Sachverhalt in Abstimmung mit dem Abschlussprüfer weiter aufzuklären", hieß es. Sollte der Konzern einen testierten Abschluss bis Freitag (19. Juni) nicht vorlegen, könnten Kredite der Wirecard AG in Höhe von etwa zwei Milliarden Euro gekündigt werden, warnte das Unternehmen. (dpa)