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Gesundheitswesen: In der Coronakrise nimmt die Telemedizin in Deutschland Fahrt auf

Gesundheitswesen

In der Coronakrise nimmt die Telemedizin in Deutschland Fahrt auf

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    Wilhelm Schröttle bietet seit Beginn der Corona-Krise Videosprechstunden an.
    Wilhelm Schröttle bietet seit Beginn der Corona-Krise Videosprechstunden an. Foto: Matthias Balk, dpa

    Ein Kratzen im Hals, die Temperatur ist leicht erhöht. Gerade in Corona-Zeiten sind die Hemmungen wegen dieser Symptome das Haus zu verlassen groß. Durch Telemedizin, zum Beispiel per Videosprechstunde, lässt sich das vermeiden. Theoretisch. Doch eine Studie der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2018 bescheinigte Deutschland, dass die technologischen Möglichkeiten im Alltag der Patienten nicht angekommen sind. Die Studie untersuchte 17 Länder, Deutschland landete auf dem vorletzten Platz. Kann die Corona-Krise das ändern?

    Lockdown: Telemedizin-Anbieter verzeichnete Verdreifachung der Zahlen

    Die Münchner Telemedizin-Firma Teleclinic, die im Juli 2020 vom Schweizer Mutterkonzern von Doc Morris übernommen wurde, hat mit Beginn der Corona-Krise einen großen Schub bekommen, wie Sprecherin Friederike Jacob zu unserer Redaktion sagt. „Es gab eine extrem gestiegene Nachfrage während des Lockdowns und diese hält noch an.“ Ein großer Treiber sei die Angst der Menschen sich bei einem Arztbesuch anzustecken. Zudem bietet das Unternehmen seit der ersten Märzwoche kostenfreie Corona-Sprechstunden an, die von vielen Menschen in Anspruch genommen worden seien. Patienten registrieren sich, geben einige persönliche Daten sowie ihre Symptome an. Aufgrund dieser Daten sucht das Unternehmen dann einen passenden Arzt heraus, der Patient gibt einen Termin für ein Videotelefonat an.

    Außerdem könnten seit dem 28. Mai bei Teleclinic gesetzlich Versicherte kostenfrei Videosprechstunden in Anspruch nehmen. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Firma an das Abrechnungssystem der gesetzlichen Krankenversicherungen angeschlossen. Von rasant gestiegener Nachfrage berichtet Daniel Schneider, Deutschlandchef des schwedischen Unternehmens Kry, das ebenfalls Videosprechstunden vermittelt: „Als der Lockdown kam, haben wir eine Verdreifachung der Zahlen gesehen. Telemedizin wurde da massiv nach oben katapultiert.“

    Knochenbrüche können per Videosprechstunde nicht behandelt werden. Aber in anderen Fällen können Ärzte Hilfe leisten. Patienten suchen bei Teleclinic meist Rat zu den Themen Verhütung, grippale Infekte, Durchfall, Blasenentzündungen oder Bluthochdruck. „Viele Patienten melden sich auch mit Sexualthemen. Ein Arzt hat mir einmal gesagt, dass das wohl noch ein Schamthema ist“, sagt Jacob.

    Noch bis Ende September sind Videosprechstunden für Ärzte unbegrenzt möglich

    Im Jahr 2018 machte der Deutsche Ärztetag den Weg für die „ausschließliche Fernbehandlung“ frei, im Dezember 2019 trat das Digitale-Versorgungs-Gesetz in Kraft. Dadurch sollen unter anderem Videosprechstunden Alltag werden. Doch Ärzte durften bis Mitte März nur 20 Prozent ihrer Patienten pro Quartal ausschließlich per Video behandeln. Zu Pandemie-Beginn wurde das in Deutschland vorerst gelockert – Sprechstunden per Video sind für Ärzte nun bis Ende September unbegrenzt möglich. Wie viele Ärzte diese nutzen, zeigen Zahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV): Im Februar hatten sich 5500 Praxen für Videosprechstunden angemeldet, im April waren es 25.000. Laut KBV sind das ein Viertel aller Praxen in Deutschland.

    Trotz des Aufschwungs sieht Schneider von Kry weiteres Verbesserungspotenzial. So stellen die Ärzte über die Plattform bisher vor allem Privatrezepte aus – für gesetzliche Rezepte gebe es noch „keine vernünftige technische Infrastruktur“. Daher müsse das Medikament per Post verschickt oder persönlich in der Apotheke abgeholt werden. Die Kosten für ein Privatrezept tragen bei Teleclinic und Kry die Versicherungen oder die Patienten selbst. Das Bundesgesundheitsministerium teilt unserer Redaktion mit, dass das elektronische Rezept ab 2022 flächendeckend eingeführt werden soll. Mit einer App könnte man auf das Rezept zugreifen und in einer Apotheke einlösen. Menschen, ohne Smartphone können sich einen Code in der Praxis ausdrucken lassen und in der Apotheke vorlegen.

    Mediland-Projekt: Fachpersonal übernimmt Hausarztbesuche

    Telemedizin umfasst aber mehr als Videogespräche. So testet im Bayerischen Wald der Technologie Campus Grafenau von der Technischen Hochschule Deggendorf ein umfassendes Projekt. Gerade in ländlichen Gegenden kann die Fernbehandlung eine unterstützende Möglichkeit für die Versorgung sein, wie Campusleiterin Diane Ahrens vom Projekt Mediland schildert. „Die Idee ist, dass man über Telemedizin die medizinische Versorgung im ländlichen Raum optimieren könnte“, sagt Ahrens. Daher habe man Akteure wie Hausarztpraxen, Krankenhäuser sowie ein Seniorenheim, einen Pflegedienst und eine Berghütte vernetzt.

    Ahrens nennt die sogenannten Versorgungsassistenten in der Hausarztpraxis als Beispiel – ausgestattet mit Telemedizinequipment. Dieses Fachpersonal übernehme Hausarztbesuche und beispielsweise die Versorgung von Wunden. Bei Problemen hielten diese dank Telemedizin deutlich einfacher Rücksprache mit dem Arzt in der Praxis. In Echtzeit könnten Bilder und Videos übertragen sowie die Versorgung besprochen werden. Der Arzt wird nicht durch lange Fahrtzeiten aufgehalten und kann mehr Zeit in der Praxis verbringen. Grundsätzlich sei das Projekt sehr erfolgreich. Ahrens schildert aber auch Defizite. „Teilweise gab es in einem Drittel der Fälle keine ausreichende Mobilfunkversorgung. Die hat sich jedoch verbessert.“ Auch müsse man die Abläufe in der Praxis anpassen, schließlich könne man den Arzt nicht aus der Behandlung mit einem anderen Patienten herausholen, damit er ein Videotelefonat annehme.

    In Schweden sind Videosprechstunden und E-Rezept bereits Standard

    Auch bei ihrem Projekt habe Corona zu einer höheren Nutzung von Videogesprächen geführt. „Dennoch merken wir, dass den Patienten der persönliche Kontakt am Liebsten ist“, sagt Ahrens. Sie sieht die Telemedizin als ein Mittel zum Zweck, das aber nicht alle Probleme lösen kann.

    Mit dem Beginn der Corona-Pandemie hat erstmals auch Wilhelm Schröttle Videosprechstunden angeboten. Der Hausarzt aus Freising sagt zu der Deutschen Presse-Agentur: „Wenn ich einen Patienten bereits kenne, ist ein Gespräch auch gut über Video möglich.“

    Wie wird sich dieser Bereich noch in Zukunft entwickeln? Schneider von Kry sagt, dass sich in Deutschland in den vergangenen Jahren viel getan habe, blickt aber auch in Länder wie Schweden. Das E-Rezept sei dort Standard und es sei normal, dass man sich vom Arzt per Video beraten oder krankschreiben lasse. „Ein Vorgespräch wird digital stattfinden, zum Röntgen geht man zum Arzt und die Nachbesprechung wird wieder digital stattfinden. Ich denke, dass Telemedizin schon bald ein komplett normaler Baustein für die Gesundheitsvorsorge sein wird.“

    Lesen Sie dazu auch: So funktioniert die Sprechstunde per Video-Anruf

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