Die italienische Regierung hat sich dazu entschlossen, die Impfquote gegen Corona durch einen radikalen Schritt zu steigern. Ab Mitte Oktober dürfen Angestellte und Selbstständige nur noch zu ihrem Arbeitsplatz in der Firma oder der Verwaltung, wenn sie entweder bereits mit einer Dosis geimpft, genesen sind oder einen Negativtest vorweisen – dies entspricht der 3G-Regel (Geimpft, getestet, genesen). Andernfalls ist der Zutritt zum Arbeitsplatz verwehrt. In Deutschland rätselt die Regierung ebenfalls, wie sie der stockenden Impfkampagne wieder Tempo verleihen kann. Die zu Ende gegangene Impfwoche hat nur wenig gebracht. Doch um es den Italienern gleichtun zu können, fehlt hierzulande eine wichtige Voraussetzung.
Mit Ausnahme von Schulen, Kindergärten, Pflegeheimen, Krankenhäusern und Arztpraxen dürfen deutsche Arbeitgeber ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht fragen, ob sie sich die schützende Spritze gegen Corona haben geben lassen. Die Bundesregierung sucht gemeinsam mit den Abgeordneten der Großen Koalition einen Weg, einen allgemeinen Auskunftsanspruch zu beschließen. Der italienische Ansatz sei dennoch kein Thema für die Bundesregierung, erklärte eine Sprecherin des Arbeitsministeriums.
Arbeitgeber und Handwerksverband fordern Auskunftsrecht
Der Arbeitgeberverband BDA ist unzufrieden damit, dass die Unternehmen in den meisten Fällen nicht wissen dürfen, ob die eigenen Leute geimpft sind oder nicht. „Das ist kontraproduktiv und verhindert die notwendige Klarheit, die die Betriebe jetzt brauchen“, erklärte der Verband. So lange das so sei, stelle sich die Frage „nach 2G oder 3G in Betrieben“ nicht.
Ähnlich sieht es Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer. Er nennt das Beispiel, dass sich ein Teil der Kundinnen und Kunden im Friseursalon nur dann die Haare schneiden lassen will, wenn der Friseur oder die Friseurin geimpft sind. „Überall dort, wo Betriebe direkten Kundenkontakt haben, brauchen wir – natürlich nur solange die pandemische Lage festgestellt ist – eine Auskunftspflicht über den Corona-Impfstatus“, sagte Wollseifer.
Auch im schwäbischen Handwerk sieht man die Voraussetzungen für den italienischen Weg nicht gegeben und wäre froh, zumindest den Impfstatus der Beschäftigten erfahren zu können: „Eine 3G-Regel in Betrieben würde voraussetzen, dass Betriebe den Impfstatus ihrer Beschäftigten kennen müssten“, gibt Ulrich Wagner zu bedenken, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Schwaben. Zudem müsste es eine Testannahmepflicht für Beschäftigte geben, die nicht geimpft oder genesen sind, sagt er. „Beides halten wir nach aktuellem Stand der Diskussionen für unrealistisch." Denn im Infektionsschutzgesetz sei erst kürzlich nur für wenige Berufsgruppen ein Auskunftsrecht der Arbeitgeber verankert worden – und schon das gegen erhebliche Widerstände, sagt Wagner. „Deshalb wäre für das Handwerk das geforderte Auskunftsrecht für alle Berufsgruppen schon einmal hilfreich, weil damit die Personalplanung vereinfacht würde und für die Handwerkskunden und Geschäftspartner Klarheit entstünde.“
Corona: Italien peilt 90 Prozent an Immunen an
In Italien, wo sich die Leichen während der ersten Corona-Welle in den Krankenhäusern stapelten, hat die Regierung mit ihrem Dekret vom Donnerstagabend den Druck auf Ungeimpfte deutlich gesteigert. Der Beschluss muss innerhalb von zwei Monaten vom Parlament bestätigt werden. In Italien wären nach Umfragen rund 80 Prozent der Bevölkerung sogar mit einer allgemeinen Impfpflicht einverstanden.
Von der neuen Maßnahme betroffen sind den Angaben zufolge 23 Millionen Arbeitnehmer in Italien im öffentlichen und im privaten Bereich. Die Viel-Parteien-Regierung unter Führung des ehemaligen Chefs der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, verwendet für ihre neueste Maßnahme den sogenannten Green Pass. Das ist ein Ausweis, auf dem die Corona-Impfung, die Genesung von Covid-19 oder ein negatives Testergebnis nachgewiesen wird. Wer im öffentlichen oder im privaten Sektor künftig ohne diesen Ausweis zur Arbeit geht, kann mit einer Geldbuße zwischen 400 und 1000 Euro bestraft werden, darf aber nicht gekündigt werden. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die der Arbeit fernbleiben, weil sie das Dokument nicht vorlegen können, sollen keine Lohnfortzahlung bekommen.
Die Maßnahme gilt etwa auch für Handwerkerinnen und Handwerker oder Betreiber eigener Geschäfte mit Publikumsverkehr. So können künftig sogar Kunden einer Klempnerin oder eines Klempners, welche zur Reparatur nach Hause gerufen wurde, von diesem das Vorweisen eines Anti-Corona-Zertifikats verlangen. Dasselbe gilt für privates Pflegepersonal oder Babysitterinnen und Babysitter. Auch Betreiberinnen und Betreiber sowie Angestellte von Restaurants und Bars dürfen nicht mehr ohne diesen Ausweis zur Arbeit kommen. Die Kontrollen sollen die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber per Stichproben übernehmen.
Der Green Pass ist seit Anfang August bereits für den Zugang zu Innenräumen von Restaurants und Bars sowie beim Besuch von Museen und Kinos vorgeschrieben. Im September weitete die Regierung den Green Pass für die Benutzung von Fernzügen und Bussen sowie auf Universitäten und Schulen aus. Studenten und Lehrpersonal müssen den Ausweis vorlegen, nur Schüler und Kinder allgemein bis zu einem Alter von zwölf Jahren sind bislang ausgenommen. De facto betrifft die Passpflicht inzwischen weitgehend die gesamte erwachsene Bevölkerung abgesehen von Rentnern, Arbeitslosen oder zu Hause arbeitenden Menschen.
In Italien sind bereits 75 Prozent der Bevölkerung mit der zweiten Dosis immunisiert, 80 Prozent haben eine Dosis bekommen. Ziel der Regierung ist die Immunisierung von 90 Prozent der Bevölkerung. Erwogen wird auch eine allgemeine Impfpflicht, wie Ministerpräsident Draghi vor Wochen bestätigte. Für Krankenhauspersonal, Ärzte und Angestellte in Seniorenheimen besteht diese bereits.
Markus Anselment, IHK Schwaben: Gäste werden auf 3G geprüft, Angestellte nicht
Bei der Industrie- und Handelskammer hält man es für wichtig, dass neue Corona-Regeln in Betrieben auch auf Zustimmung stoßen: „Aus dem Krisenmanagement der vergangenen eineinhalb Jahre haben wir gelernt, dass Corona-Maßnahmen am meisten Zustimmung finden, wenn sie verhältnismäßig und gleichzeitig transparent sind“, sagt Markus Anselment, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK Schwaben. Ansonsten verlieren die Regeln an Akzeptanz.
„Derzeit haben wir in Deutschland noch immer die kuriose Situation, dass Gäste und Kunden auf 3G hin geprüft werden müssen, wohingegen Beschäftigte dazu nicht befragt werden dürfen“, berichtet Anselment. „Hier gilt es eine pragmatische und praxisnahe Lösung zu finden. Ob der italienische Weg ein Vorbild für Deutschland sein kann, sollten Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam entscheiden.“ Sie hätten letztlich die gleichen Ziele vor Augen: optimalen Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und den Erfolg des Unternehmens.