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Geschichte: Als in Augsburg die Geburtsstunde des Diesel-Motors schlug

Geschichte

Als in Augsburg die Geburtsstunde des Diesel-Motors schlug

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    In der MAN-Gießerei wird heutzutage Eisen geschmolzen und zu riesigen Motorblöcken gegossen.
    In der MAN-Gießerei wird heutzutage Eisen geschmolzen und zu riesigen Motorblöcken gegossen. Foto: Ulrich Wagner (Symbolfoto)

    Der Besucher stopft sich Stöpsel in die Ohren – gegen den Lärm. Es wummert und pfeift in der Backsteinhalle mitten auf dem Werksgelände der Firma MAN in Augsburg, wo Schiffs- und Kraftwerksmotoren für die ganze Welt gebaut werden. Bevor die stockwerkhohen Motoren ausgeliefert werden, laufen sie hier im Probebetrieb. Es ist warm und riecht nach Öl. Der Besucher läuft über Treppen und Stege an den Maschinen entlang, die bald Schiffe und Generatoren antreiben – und steht plötzlich an einem Ort, der aus der Zeit gefallen zu sein scheint.

    Eine schwarze, metallene Tafel ist in die Wand eingelassen. Darauf abgebildet ein Motor, der aus einer anderen Epoche stammt. „An dieser Stelle entstand in den Jahren 1893 - 1897 der erste Dieselmotor der Welt“, ist dort zu lesen. Der

    Dieselmotoren sind aus unserer Zeit nicht wegzudenken, auch wenn sie durch die VW-Dieselaffäre einen herben Imageverlust erlitten haben und ihre Probleme für alle sichtbar sind. Sie treiben Lokomotiven an, Lastwagen, Ozeanriesen. In Deutschland ist rund jedes dritte Auto ein Diesel. Die Anfänge davon liegen in unserer Region. Sogar die Namen der damals am Projekt beteiligten Personen sind bekannt. Neben Ingenieur Rudolf Diesel selbst waren es die Monteure Friedrich Schmucker und Hans Linder sowie der Leiter des Versuchsstands, Lucian Vogel.

    Ersten Diesel-Versuchsmotor gibt es noch heute

    Die Spannung, die in der Luft lag, als der erste Diesel-Versuchsmotor zum ersten Mal zündete, kann man sich gut vorstellen. Die Szene, die sich damals in der Halle rund eineinhalb Jahre nach der Patentanmeldung abspielte, ist gut überliefert. Nicht alles ging an diesem 10. August 1893 gut. „Die Zündung erfolgte sofort“, heißt es in einem Bericht des ersten Versuchslaufs. Doch dann war Schluss. Der Druck war so groß, dass ein Messgerät „unter heftigster Explosion zerstört“ wurde, „dessen Stücke flogen an unseren Köpfen vorbei“. Dem Motor selbst passierte nichts – war er doch für hohen Druck vorgesehen „und gebaut wie eine Kanone“.

    Den ersten Diesel-Versuchsmotor gibt es noch heute. Zweieinhalb Meter hoch, vier Tonnen schwer steht er im MAN-Museum in Augsburg. Das Gerät ist schwarz, hier und da glänzt es messingfarben. Rudolf Diesel überarbeitete nach der ersten Zündung seine Konstruktion, suchte Lösungen für die Fehler.

    Mit diesem Gerät fing alles an. Der allererste Diesel-Versuchsmotor – der Urdiesel – steht heute im MAN-Museum in Augsburg.
    Mit diesem Gerät fing alles an. Der allererste Diesel-Versuchsmotor – der Urdiesel – steht heute im MAN-Museum in Augsburg. Foto: Ulrich Wagner

    Leistete der erste Versuchsmotor noch rund zehn PS, waren es bei dem ersten betriebsfähigen Motor, der heute im Deutschen Museum in München steht, bereits rund 18 PS. „Wir können mit Fug und Recht sagen, dass bei der MAN in Augsburg die Geburtsstätte des Dieselmotors liegt“, sagt MAN-Sprecher Michael Melzer.

    Der große Vorteil des Diesels: sein hoher Wirkungsgrad. „Hatten die damals vorherrschenden Dampfmaschinen noch einen Wirkungsgrad von acht bis zwölf Prozent, kam der erste betriebsfähige Dieselmotor bereits auf 26 Prozent“, berichtet Gerlinde Simon, Leiterin des MAN-Museums. Rudolf Diesel träumte schon von Wirkungsgraden um die 50 Prozent. Diese sollten aber erst Jahrzehnte später in der heutigen Zeit erreicht werden, sagt MAN-Sprecher Melzer. Rudolf Diesel war kaum zu bremsen. Seine Ziele waren ambitioniert. Gut, dass ihn seine Ingenieure manchmal gebremst haben, meint Melzer.

    Diesel arbeitete daran, eine Antriebsmaschine zu entwickeln

    Und doch gelang es bald, die Industrie zu überzeugen. Der erste ausgelieferte Motor ging an eine Fabrik für Zündhölzer in Kempten. Er erwies sich zunächst als störanfällig, leistete dann aber bis zum Jahr 1939 seinen Dienst. Den zweiten ausgelieferten Motor erwarb die Augsburger Papierhülsenfabrik Rugendas. Er lief 30 Jahre und steht heute im MAN-Museum. Wie aber kam eigentlich der Erfinder Rudolf Diesel nach Augsburg?

    Rudolf Diesel wurde am 18. März 1858 in Paris geboren. Er war ein Kind deutscher Auswanderer. Im deutsch-französischen Krieg flohen die Eltern dann nach London, den 12-jährigen Rudolf schickten sie nach Augsburg zu Verwandten. Er besuchte hier erst das spätere Holbein-Gymnasium, studierte dann Maschinenbau in München und besuchte Vorlesungen des Kältetechnikers Carl Linde.

    Die Augsburger MAN-Geschichte

    Die Wurzeln des Unternehmens MAN, das heute zu Volkswagen gehört, reichen zurück bis zur Inbetriebnahme der St. Antony Hütte in Oberhausen am 18. Oktober 1758.

    Dass Augsburg zu einer der wichtigsten MAN-Städte werden sollte, ist letztlich dem Unternehmer Ludwig Sander zu verdanken, der 1840 dort eine Maschinenbau-Fabrik gründete, um eine lokale Weberei direkt mit Textilmaschinen zu beliefern.

    Sander verpachtet die Fabrik 1844 an Carl August Reichenbach und dessen Schwager Carl Buz. Sie stellen den Bau von Textilmaschinen ein und setzen stattdessen auf Dampf- und Druckmaschinen. 1844 kommt die Schnellpresse auf den Markt, 1873 die Rotationsdruckmaschine für den Zeitungs- und Buchdruck, die Großauflagen und Massenmedien ermöglicht.

    1857 wird das Werk in eine Aktiengesellschaft unter dem Namen „Maschinenfabrik Augsburg AG“ umgewandelt. Carl von Linde lässt seine Kältemaschine ab 1873 in Augsburg unter Lizenz bauen. So kann etwa Bier dauerhaft gelagert werden.

    Ab 1893 entwickelt Rudolf Diesel in Augsburg den Diesel-Motor, die wichtigste Innovation für MAN.

    In dessen Firma begann Diesel seine berufliche Laufbahn, parallel arbeitete er daran, eine Antriebsmaschine zu entwickeln, die effizienter als die damals vorherrschende Dampfmaschine war. 1890 zog der Familienvater nach Berlin, am 27. Februar 1892 reichte er am Kaiserlichen Patentamt seine Pläne für eine „Neue rationelle Wärmekraftmaschine“ ein – die Idee des Dieselmotors war geboren.

    Doch bis dahin existierte seine Idee nur auf dem Papier. Um sie in die Realität umzusetzen, wandte sich Diesel an die Maschinenfabrik Augsburg – eine Vorgängerin des heutigen Unternehmens MAN, das zu jener Zeit mit rund 2000 Arbeitern vor allem Dampfmaschinen fertigte. Er konnte mit seinem Patent Fabrikleiter Heinrich Buz überzeugen. Dieser erkannte die Brisanz der Pläne und ging das Risiko ein, dass in seiner Fabrik der Nachfolger der Dampfmaschine entsteht. Buz vereinbarte mit Diesel, dass dieser einen Versuchsmotor bauen solle. Der Siegeszug der Erfindung nahm seinen Lauf.

    Diesels Patent eroberte im 20. Jahrhundert die Welt

    Noch heute baut man in Augsburg Dieselmotoren: für Schiffe und Kraftwerke. Diesels Idee nimmt bei der Firma MAN inzwischen gigantische Ausmaße an. Die „kleineren“ Motoren, welche die Arbeiter in den Hallen zusammensetzen, treiben später zum Beispiel Fähren an und erreichen die Dimension eines Gartenhauses. Die größeren Motoren für Transportschiffe und Kraftwerke kommen auf 51 Zentimeter dicke Kolben und ragen in die Höhe wie ein Einfamilienhaus. Sie sind aber nichts gegen die Riesen für die großen Containerschiffe, die Lizenznehmer in Korea, China oder Japan bauen: „Sie sind rund 15 Meter hoch, haben einen Kolbendurchmesser von 98 Zentimetern und leisten 100.000 PS“, erklärt MAN-Ingenieur Alexander Rippl. Rund 4000 Mitarbeiter sind heute am Standort in Augsburg beschäftigt. Längst arbeitet man dort auch an den Motoren für die Schifffahrt der Zukunft. Gas als Kraftstoff soll die Schifffahrt sauberer machen. Neben sogenannten „Dual-Fuel-Motoren“, die sowohl mit Öl als auch mit Gas laufen, hat MAN auch reine Gasmotoren im Angebot

    Diesels Patent eroberte im 20. Jahrhundert die Welt und machte den Erfinder reich. Der Ingenieur bezog mit seiner Familie eine opulente Villa in München-Bogenhausen. Doch im Umgang mit Geld hatte der brillante Techniker weniger Talent. „Rudolf Diesel verlor viel Geld auch mit Investitionen in Ölfelder in Galizien“, sagt Museums-chefin Simon. Finanzielle Nöte plagten die Familie.

    Am 29. September 1913 besteigt Rudolf Diesel ein Passagierschiff, das ihn über den Ärmelkanal nach England bringen soll. In der Nacht auf den 30. September geht er über Bord. Die Gründe bleiben mysteriös. „Man hat nie nachweisen können, ob es Mord, Suizid oder ein Unfall war“, sagt Museumschefin Simon. Die Familie gehe heute aber von Suizid aus.

    Eine Bootsbesatzung findet die Leiche des Erfinders Tage später, nimmt persönliche Sachen an sich und übergibt den Toten wieder dem Meer, wie es damals üblich war.

    So gibt es kein Grab Rudolf Diesels. An den Erfinder erinnert heute in Augsburg die Plakette auf dem MAN-Werksgelände und der Rudolf-Diesel-Gedächtnishain im Wittelsbacher Park. Und jeder Motor, der das Werksgelände der MAN verlässt, um Kraftwerke und die Schiffe der Weltmeere anzutreiben.

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