„Finger weg vom Betriebsrat!“, steht auf einem Transparent. Ein anderes warnt die Geschäftsführung vor „Betriebsrat-Mobbing“. Geschätzte 70 Beschäftigte des Buch- und Versandhändlers Weltbild, Gewerkschaftsmitglieder und Betriebsräte versammeln sich vor dem Arbeitsgericht in Augsburg zu einer Demonstration. Sie blasen in Trillerpfeifen und drücken dem Betriebsratschef von Weltbild ihre Solidarität aus. Das Unternehmen will den Mann entlassen. Am Montag hat vor dem Arbeitsgericht in dem Fall eine erste Anhörung stattgefunden, bei der es eine Überraschung gab.
Was ist der Grund, dass Weltbild den Betriebsratschef loswerden will? Bisher stellen sich die Dinge so dar: Nach der Insolvenz 2014 hat sich Weltbild neu aufgestellt. In dem Zug ist der Versand von Augsburg nach Tschechien verlagert worden. Dort hat das Unternehmen vor mehreren Wochen anscheinend fünf bis sechs Mitarbeitern gekündigt. Dem Betriebsratschef wird nach Angaben seines Anwalts Rüdiger Helm vorgeworfen, einem der Entlassenen – Herrn D. – geraten zu haben, sich einfach für die restliche Zeit krank schreiben zu lassen. Der fragwürdige Tipp kam der Weltbild-Geschäftsführung zu Ohren. Diese wollte den Betriebsratschef daraufhin fristlos entlassen. Nun kam es vor Gericht zu einem ersten Termin.
In der Anhörung kam der betroffene Betriebsratschef zu Wort. Er wies es zurück, dem entlassenen Kollegen D. in Tschechien in einem Vier-Augen-Gespräch den Tipp gegeben zu haben, sich krank zu melden. Zwar habe er zusammen mit anderen Weltbild-Betriebsräten die fünf bis sechs entlassenen Mitarbeiter gesprochen und beraten. „Danach habe ich Herrn D. aber nie mehr gesehen“, betonte der Betriebsratschef vor Gericht.
Firmenanwalt Wolfgang Siry: „Einer muss lügen“
Für Wolfgang Siry, der als Rechtsanwalt die Firma Weltbild vertritt, stand angesichts dieser Überraschung eines fest: „Einer muss lügen.“ Denn der in Tschechien entlassene Mitarbeiter habe berichtet, dass das Gespräch nur zwischen ihm und dem Betriebsratschef stattgefunden habe. D. habe dies schriftlich bestätigt.
Sich nach einer Kündigung einfach krank zu melden, sei „kein guter Rat“, machte Richter Markus Nieberle-Schreiegg deutlich. Er ließ aber auch durchscheinen, dass die fristlose Kündigung des Betriebsratschefs übertrieben sein könnte: „Selbst wenn die Äußerung so gefallen sein sollte, habe ich erhebliche Zweifel, ob es nicht eine Abmahnung getan hätte“, sagte er im Gerichtssaal, in dem viele Zuhörer saßen. Zum einen genieße ein Betriebsratsvorsitzender besonderen Schutz. Zum anderen sei der Kontext zu beachten, in dem eine Äußerung fällt. „Wenn man sich im Kollegenkreis äußert, geschieht dies im Vertrauen darauf, dass man nicht verpetzt wird“, sagte der Richter.
Besonderer Schutz für Betriebsräte
Ein Urteil ist nach dieser ersten Anhörung noch nicht gefallen. Die Betriebsratsseite hat jetzt erst einmal Gelegenheit, den Antrag der Weltbild-Geschäftsführung zu erwidern. Betriebsratsvorsitzende genießen als Arbeitnehmervertreter besonderen Schutz. Ihrer Entlassung muss deshalb der Betriebsrat zustimmen. Das Weltbild-Gremium hat dies abgelehnt. Daraufhin klagte die Geschäftsführung vor Gericht, um die Entlassung auch ohne Zustimmung umsetzen zu können.
Verteidiger Rüdiger Helm: „Kündigung wird nicht durchgehen“
Rechtsanwalt Rüdiger Helm zeigte sich nach der Verhandlung zuversichtlich, was das Verfahren für seinen Mandanten betrifft: „So wie es bisher vorgetragen ist, sind die Vorwürfe völlig unhaltbar“, sagte er nach dem Gerichtstermin. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass auch nur ein abmahnfähiger Vorwurf übrig bleibt.“ Für ihn hörten sich die Schilderungen „seifig“ an. „Ich glaube definitiv, dass die Kündigung nicht durchgehen wird.“
Die Kündigung von Betriebsräten beschäftigt immer wieder die Gerichte. Im Jahr 2014 wehrte sich zum Beispiel der Betriebsratschef von Legoland erfolgreich gegen seine Kündigung. Erwin Helmer, Leiter der Katholischen Betriebsseelsorge der Diözese Augsburg, war gestern ebenfalls vor Ort. Er sagte unserer Zeitung, ihm seien vier weitere aktuelle Fälle in der näheren Umgebung bekannt. „Selbst wenn die Betriebsräte am Ende vor Gericht gewinnen, gehen diese Vorgänge nicht spurlos an ihnen vorbei“, berichtet Helmer. „Das ist psychisch belastend.“
Das Unternehmen Weltbild teilte gestern mit, dass es die Klärung durch das Gericht in den nächsten Wochen abwarten will. Dabei betonte Weltbild, dass man den Vorwurf des Betriebsrates und der Gewerkschaft Verdi zurückweise, die Geschäftsführung gehe „aggressiv“ mit dem Betriebsratschef um.