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Geldpolitik: Wie Erdogans Politik die türkische Lira entwertet

Geldpolitik

Wie Erdogans Politik die türkische Lira entwertet

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    Die türkische Wirtschaft ist in der Krise. Das bedroht die Macht von Recep Tayyip Erdogan.
    Die türkische Wirtschaft ist in der Krise. Das bedroht die Macht von Recep Tayyip Erdogan. Foto: Mustafa Kaya, dpa

    Mit einer überraschenden Erhöhung der Leitzinsen hatte die türkische Notenbank Ende September den Absturz der Landeswährung zu bremsen versucht. Er stieg um 2,0 Prozentpunkte auf 10,25 Prozent. Viele Volkswirte hatten damals mit einem unveränderten Niveau gerechnet. Doch den Verfall der türkischen Lira konnte die Senkung nicht aufhalten. Nur einen kurzen Moment stabilisierte sich die Lira gegenüber dem Euro. Inzwischen müssen die Türken aber wieder mehr als neun Lira für einen Euro bezahlen. Binnen eines Jahres hat die Lira auch gegenüber dem Dollar rund 30 Prozent an Wert verloren. In nur drei Jahren hat sich der Außenwert der türkischen Währung sogar mehr als halbiert.

    Die Inflation von aktuell zwölf Prozent zehrt an Einkommen und Ersparnissen. Immer mehr Türken tauschen deshalb ihre schwindsüchtige Währung in Gold und Devisen. Der Lira-Verfall signalisiert eine gefährliche Abwärtsspirale der türkischen Wirtschaft. Die Abwertung verteuert die Einfuhren. Das treibt auch die Preise einheimischer Produkte, weil die türkische Industrie in hohem Maß auf importierte Maschinen und Halbfertigwaren angewiesen ist. Um sich vor der Inflation zu schützen, tauschen viele Menschen ihre Ersparnisse in Dollar, Euro oder Gold.

    Dass die Bürger in der Türkei immer stärker ihr Geld in Dollar tauschen, zeigt, dass das Vertrauen in die eigene Währung nachlässt, berichten die Experten der Deutschen Industriebank IKB in einer aktuellen Studie: Der Anteil der Fremdwährungseinlagen in der Türkei sei von durchschnittlich 31 Prozent in der ersten Jahreshälfte 2013 auf rund 53 Prozent im August 2020 gestiegen, berichtet die Bank. „Die Dollarisierung der türkischen Wirtschaft zeugt vom schwindenden Vertrauen in die heimische Währung“, berichten die Experten.

    Türkische Sparer und Betriebe sollen bereits Gold für 280 Milliarden Euro bunkern

    Die Goldeinfuhren der Türkei nahmen in den ersten acht Monaten sogar um 150 Prozent zu. Finanzexperten schätzen, dass die Türken bereits rund 5000 Tonnen Gold in ihren Wohnungen horten. Das entspräche einem Marktwert von 280 Milliarden Euro. Die Flucht aus der Landeswährung drückt den Kurs der Lira weiter und heizt die Inflation zusätzlich an – ein Teufelskreis. Die türkische Zentralbank zögerte bisher mit Zinserhöhungen, die den Lira-Verfall hätten bremsen können. Staatschef Recep Tayyip Erdogan ist ein erklärter Gegner hoher Zinsen. Mit billigem Geld will er die Konjunktur am Laufen halten.

    Mit Stützungskäufen versuchte die Zentralbank, die Talfahrt der Lira zu bremsen – ohne nachhaltigen Erfolg. Das Ergebnis: Die Devisenreserven sind binnen eines Jahres um rund 40 Prozent gesunken. Ob Erdogan nun seinen Widerstand gegen höhere Zinsen aufgegeben hat und ob dem Zinsschritt weitere folgen werden, ist noch offen. Ungewiss ist auch, ob die Erhöhung um zwei Prozentpunkte die Währung länger stabilisieren kann. Auch nach der Anhebung vom Donnerstag liegt der Leitzins weiterhin unter der Inflationsrate. Die Lira bleibt damit für Anleger unattraktiv.

    Die türkische Wirtschaft steht derzeit stark unter Druck. Das Land wurde von der Corona-Krise hart getroffen und leidet unter einer schweren Rezession. Gleichzeitig führt die Türkei aber traditionell viele Güter aus dem Ausland ein. Viele Ökonomen fürchten deshalb, dass die Türkei auf eine Leistungsbilanzkrise zusteuert. Diese Sorge bewog kürzlich die Ratingagentur Moody’s, die Kreditwürdigkeit des Landes auf B2 herunterzusetzen. Die Türkei liegt damit fünf Stufen unter der Kategorie der investitionswürdigen Schuldner. Erdogans Wirtschafts- und Finanzpolitik sei „langsam“ und „unvorhersehbar“, Regierung und Institutionen seien „nicht willens oder nicht fähig“, die Herausforderungen aktiv anzugehen, kritisiert Moody’s.

    Das Problem der Lira ist die türkische Politik

    Staatschef Erdogan reagierte grimmig auf die Herabstufung: „Macht doch was Ihr wollt, Eure Ratings sind bedeutungslos.“ Die Türkei hatte sich gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie ähnlich wie andere Länder mit hohen Staatsausgaben, einer lockeren Geldpolitik und zahlreichen Kreditprogrammen gestemmt. Vor allem die lockere Geldpolitik hat aber dazu geführt, dass die Landeswährung Lira jetzt gehörig unter Druck steht.

    Doch auf Dauer sei die Zinserhöhung der türkischen Notenbank keine Lösung, um die Lira wieder attraktiver zu machen, sagen die Volkswirte der IKB. „Dem schwindenden Vertrauen in die Währung kann nur durch eine unabhängige Notenbank beziehungsweise einer fundamental niedrigeren Inflation und geringen Risikobewertung entgegengewirkt werden“, schreiben die Experten. Das heißt, Agenturen wie Moody’s müssten der Türkei wieder ein besseres Zeugnis ausstellen. Die Weichen dafür zu stellen, „ist jedoch ein Thema von Strukturreformen und keines von höheren Zinsen“, heißt es in der Studie. Gefragt wäre also Erdogans Regierung, nicht die Notenbank.

    Die Experten warnen sogar davor, dass die Notenbank der Türkei die Zinsen noch stärker erhöht als es gerade passiert ist. „Denn die Hochzinspolitik, die zur Stützung des Außenwertes der Lira dauerhaft notwendig wäre, würde zu einer Rezession und steigenden Arbeitslosenzahlen führen und die innenpolitische Lage weiter strapazieren“, schreibt die IKB. (mit dpa)

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