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Frankreich: Mobbing im Büro: France Télécom steht vor Gericht

Frankreich

Mobbing im Büro: France Télécom steht vor Gericht

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    Gewerkschaftsvertreter protestieren am ersten Prozesstag vor dem Gerichtsgebäude.
    Gewerkschaftsvertreter protestieren am ersten Prozesstag vor dem Gerichtsgebäude. Foto: Lionel Bonaventure, afp

    Wem er die Schuld für seine Verzweiflung gab, stellte der Techniker Michel D. 2009 in einem Abschiedsbrief klar, den er vorbereitet hatte: „Ich nehme mir das Leben wegen meiner Arbeit bei France Télécom. Sie ist der einzige Grund.“ Jean-Michel L. wiederum telefonierte noch mit einer Gewerkschafterin des französischen Telekommunikationsanbieters, die ihn von seiner Tat abhalten wollte, kurz bevor er sich 2008 vor einen Zug warf: „Der Zug kommt“, hörte sie ihn noch sagen. Rémy L. verbrannte sich 2011 vor einem Firmengelände.

    Alle drei Fälle gehören zu einer 2006 einsetzenden Serie, in der Angestellte des Unternehmens, das inzwischen Orange heißt, Suizid begingen oder es versuchten. Der Grund: Sie ertrugen ihre Arbeitsbedingungen nicht mehr. Nun wird der damaligen Führungsriege vorgeworfen, infolge der Umstrukturierung des Unternehmens nach der Privatisierung Strategien entwickelt zu haben, um die Mitarbeiter systematisch unter Druck zu setzen und zur Kündigung zu zwingen. Wegen „organisiertem Mobbing“ oder der Beihilfe dazu stehen seit dem gestrigen Montag der frühere Konzernchef Didier Lombard sowie sechs weitere Manager vor Gericht. Angeklagt ist auch France Télécom als juristische Person.

    22.000 Stellen mussten bei France Télécom gestrichen werden

    Die Ermittlungsrichter bezeichneten Lombard als Hauptverantwortlichen für die harsche Unternehmenspolitik zur Senkung der Personalkosten ohne Rücksicht auf Verluste, um Milliarden einzusparen. Dafür galt es, 22.000 Posten, also fast ein Fünftel aller Stellen, zu streichen, von denen 65 Prozent noch Beamtenpositionen waren. 10.000 Mitarbeiter sollten den Job wechseln, 6000 „neue Talente“ eingestellt werden. Er werde dieses Ziel auf die eine oder andere Weise durchsetzen, kündigte Lombard 2006 in einer Versammlung von Bereichsleitern an – die Leute würden das Unternehmen „durch das Fenster oder durch die Tür“ verlassen.

    Zwischen 2006 und 2010 gab es laut Gewerkschaften rund 60 Selbstmorde, 35 davon allein in den Jahren 2008 und 2009. Beim nun angelaufenen Prozess werden insgesamt 19 Selbsttötungen und zwölf Versuche sowie acht Depressionserkrankungen verhandelt. Den Angeklagten drohen Geldbußen bis zu 15.000 Euro und bis zu einem Jahr Haft.

    Bereichsleiter sollten Mitarbeiter aus dem Unternehmen drängen

    Zur Debatte stehe bei dem Prozess die „Politik der Destabilisierung“, die Lombard und sein Team eingeführt hatten, sagte Sylvie Topaloff, die Anwältin der Gewerkschaft SUD-Orange. Diese reichte 2009 Klage wegen „außergewöhnlich brutalen Führungsmethoden“ ein. Die Untersuchungsrichter hatten nun vorab klargestellt, dass es nicht um die Verantwortung für die durchgeführten oder versuchten Selbstmorde gehe, sondern um das „Klima der Angst“, das ab 2006 bei France Télécom herrschte – und dramatische Folgen hatte.

    Beunruhigt durch den Einbruch der Geschäftszahlen und die aufstrebende Konkurrenz hatte Lombard damals den „Plan Next“ für eine komplette Neuorganisation beschlossen. Die Bereichsleiter erhielten Schulungen, um ihre Mitarbeiter aus dem Betrieb zu drängen, sie zu isolieren, ihnen Aufgaben zu entziehen und sie dazu aufzufordern, sich anderswo zu bewerben. Führungskräfte erhielten Prämien für Kündigungen ihrer Untergebenen.

    Gehen mussten schließlich aber auch die Chefs selbst. Heute bietet Orange Mitarbeitern psychologische Hilfe und Seminare zur Stressbewältigung an. Dem Image des Konzerns haben die Vorfälle dennoch stark geschadet – umso mehr, als sie nun erneut aufgerollt werden. Verhandelt wird bis Mitte Juli.

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