Ende Mai waren sich die Fachleute der Fraunhofer-Gesellschaft sicher, wo die Forschungsfabrik für Batterien von Elektro-Autos stehen soll. „In der Bewertung erhält der Standort das beste Ergebnis mit einer Zielerreichung von 86 Prozent“, heißt es in der Einschätzung. Der Satz war das Fazit einer vertraulichen Bewertung der Bewerbung Ulms. Unsere Redaktion hatte Einblick in das Dokument. Trotz der besten Voraussetzungen sollte die Stadt an der Donau schließlich leer ausgehen, wie sich einen Monat später zeigte.
Fraunhofer-Institut: Bewerbung Münsters um Batteriefabrik lag nur im Mittelfeld
Münster machte das Rennen und setzte sich gegen mehrere Bewerber durch. Die Kür sorgte für reichlich Ärger, weil der Wahlkreis von Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) ganz in der Nähe liegt. Die Unterlegenen witterten ein abgekartetes Spiel, um die Heimat der Ministerin zu stärken. Die Fraunhofer-Gesellschaft jedenfalls sah Münster zunächst nicht in Front: „Die Bewerbung liegt mit 78 Prozent im Mittelfeld“, urteilten die Wissenschaftler. Für Münster reichte es damit vorläufig nur für Rang vier. Davor kamen auf Platz drei Augsburg und auf Platz zwei Salzgitter.
Ulm, als eigentlich auserkorener Sieger, hat durch die Wahl Münsters 400 Millionen Euro verloren. Diese Summe fließt jetzt für den Bau der Fabrik nach Westfalen. In den Hallen soll die Industrie unter realistischen Produktionsbedingungen neu entwickelte Akkus testen können. Deutschland will bei den Batterien für E-Autos die Aufholjagd starten. Bislang sind die deutschen Automobilkonzerne fast vollständig abhängig von Importen aus Asien. Ein Drittel der Wertschöpfung eines Wagens, so schätzen Experten, hängen künftig am Akku. Geht dieses Geld künftig nach Asien, wird die deutsche Leitindustrie weniger Geld verdienen.
Bundestagsabgeordneter wirft Karliczek Kungelei vor
Bei den Verlierern ist die Wut über den Ausgang des Verfahrens noch immer nicht verraucht. „Für mich lässt das nur den Schluss zu, dass es eine ganz klare Bevorzugung in eine Richtung gegeben hat“, sagte der Ulmer FDP-Bundestagsabgeordnete Alexander Kulitz unserer Redaktion. „Das ist eine Kungelei.“ Er verlangte von der Forschungsministerin, dass sie die Vergabe schonungslos aufklärt. „Ich erwarte, dass sie einräumt, dass da etwas gehörig falsch gelaufen ist“, forderte Kulitz. Karliczek müsse jetzt für die Südschiene draufsatteln und zum Beispiel Geld für die Erforschung der Brennstoffzelle locker machen. Dass die Entscheidung zugunsten Münsters noch einmal rückgängig gemacht werde, glaubt Kulitz allerdings nicht.
Das Forschungsministerium blieb bei seiner Linie und verteidigte die umstrittene Entscheidung. „Es ist ein vollkommen normaler Vorgang, dass in solchen Auswahlprozessen derlei Tabellen immer weiter verbessert und weiterentwickelt werden“, erklärte ein Sprecher. Demnach habe es eine erste Bewertung gegeben, die sich dann aber durch die Einbeziehung neuer Faktoren verschoben habe. Im finalen Gutachten war auf eine Rangfolge verzichtet worden.
Batteriefabrik: Auch zweites Gutachten hält Ulm für sehr gut
Auch die Fraunhofer Gesellschaft widersprach dem Eindruck, dass im Prozess etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sei. Es habe „mehrere geeignete Standorte gegeben“, sagte der zuständige Forschungsdirektor Raoul Klingner. Am Ende sei es an der Politik gewesen, eine Entscheidung zu fällen.
Die Zweifler können diese Aussagen nicht beschwichtigen. Sie verweisen auf ein zweites Gutachten, das das Forschungszentrum Jülich über die Forschungsfabrik angefertigt hat. Auch in dieses vertrauliche Dokument hatte unsere Redaktion Einblick. Die Gutachter haben ohne Noten und Rangfolge gearbeitet, kommen aber zum gleichen Resultat wie die Kollegen der Fraunhofer-Gesellschaft in ihrem ersten Aufschlag. Während Münster mit „als gut geeignet“ beschrieben wird, erhält Ulm das Prädikat „sehr gut“. An der Bewerbung aus Nordrhein-Westfalen wird kritisch gesehen, dass die Gebäude erst 2022 bezugsfertig sind. „Die Eignung der bestehenden Gebäude ist fraglich“, heißt es da.
Gibt es noch Batterie-Fördergeld für Augsburg und Ulm?
Ulms Oberbürgermeister Gunter Czisch (CDU) ist nach Bekanntwerden der Dokumente „noch irritierter“. Denn bislang ging er davon aus, dass bei einer Ausschreibung eines Ministeriums verabredete Kriterien eingehalten und nicht nachträglich verändert werden. Aus seiner Sicht hätte die Ministerin gleich von einer strukturpolitischen Entscheidung reden und nicht so tun sollen, als gehe es um den fachlich geeignetsten Standort.
Karliczek hat den leer ausgegangenen Städten versprochen, sie zu unterstützen. Aus ihrem Etat bleiben 100 Millionen Euro übrig. Die Summe müssen sich alle fünf Bewerber teilen. Derzeit laufen Gespräche, wofür das Geld ausgeschüttet wird. Große Sprünge sind davon nicht zu machen.
Baden-Württemberg und Bayern haben außerdem einen Austausch im Bereich der Batteriezellforschung und -fertigung und die Gründung eines Batterienetzwerks Süddeutschland vereinbart, um die Kompetenzen weiter auszubauen. In der Batteriefertigung seien wissenschaftliche Exzellenz und Unternehmen aller Wertschöpfungsstufen – vom Rohstofflieferanten bis zum Recycling – in beiden Ländern konzentriert, sagte ein Sprecher des bayerischen Wirtschaftsministeriums. Inwieweit Ulm oder Augsburg noch mit Fördergeldern ausgestattet werden, um dieses Ziel zu erreichen, steht aber noch nicht fest.