Kanzlerin Merkel beharrt in der Flüchtlingsfrage beeindruckend stur auf ihrem „Wir schaffen das“. Schaffen wir das wirklich? Herr Dulger, wie sehen Sie das als Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall?
Rainer Dulger: Ich bin überzeugt davon, dass sich Kanzlerin Merkel und die Koalition mit ganzer Kraft dafür einsetzen, dass die Krise gelöst wird. 2015 sind mehr als eine Million Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Es bedarf jetzt einfach eines klareren Signals seitens der Bundesregierung, dass Deutschland momentan an den Grenzen seiner Möglichkeiten angekommen ist. Die Zahl der Flüchtlinge, die zu uns kommt, muss in diesem Jahr durch das Handeln der Bundesregierung deutlich sichtbar verringert werden.
Fordern Sie eine Obergrenze? Unterstützen die Metall-Arbeitgeber die verzweifelt wirkende CSU?
Dulger: Ich halte nichts von solchen Schlagwörtern. Um das Flüchtlingsthema zu lösen, müssen die EU-Außengrenzen gesichert und die Ursachen der Fluchtbewegungen eingegrenzt werden. Wer in seinem Land bombardiert wird, sollte bei uns weiter subsidiären Schutz beantragen können. Wer aber aus sicheren Ländern kommt, muss konsequent zurückgeschickt werden.
Ihre Kollegen aus anderen deutschen Wirtschaftsverbänden warnen vor Grenzschließungen und damit massiven finanziellen Belastungen für die Wirtschaft. Wie ernst ist die Lage?
Dulger: Wir müssen uns dafür einsetzen, dass unsere EU-Binnengrenzen offen bleiben. Deshalb kommt es darauf an, die EU-Außengrenzen besser zu schützen. Dabei müssen wir mithelfen. Wenn irgendwann auf Lampedusa wieder zehntausend Flüchtlinge ankommen, dürfen wir uns nicht zurücklehnen, mit der Begründung, das sei ein italienisches Problem. Das ist auch ein deutsches Problem. Darauf zielt die Politik von Frau Merkel ab. Für solche Lösungen setzt sie sich ein. Deswegen setze ich weiter auf die Kanzlerin.
Kann die Kanzlerin auch auf Sie setzen? Was leisten die Betriebe der Metall- und Elektroindustrie zur Integration von Flüchtlingen?
Dulger: Arbeit ist der Integrationsmotor schlechthin. Bei der Arbeit werden aus Fremden Kollegen. Und aus Kollegen werden irgendwann Freunde. Doch zur Wahrheit gehört auch: Viele Flüchtlinge sind nur gering qualifiziert. Sie müssen zunächst einmal Deutsch lernen. Und viele müssen eine Ausbildung absolvieren. Uns geht es nicht darum, die Flüchtlinge als billige Arbeitskräfte auszunutzen. Aber eines ist klar: Einer der wichtigsten Wege, Menschen in Arbeit zu bringen, ist neben der Berufsausbildung die Zeitarbeit.
Doch Arbeitsministerin Andrea Nahles will die Möglichkeiten der Arbeitgeber einschränken, Menschen zunächst als Leiharbeiter einzustellen.
Dulger: Aus unserer Sicht wäre es sinnvoll, diese im Koalitionsvertrag enthaltenen Pläne fallenzulassen. Denn Zeitarbeit ist ein Integrationsmotor in den Arbeitsmarkt – gerade für Flüchtlinge. Und deshalb verstehe ich es nicht, dass Bundesministerin Nahles die Möglichkeiten der Zeitarbeit auch jetzt noch einschränken will. Wir brauchen Flexibilität am Arbeitsmarkt, um Menschen zu integrieren.
Noch einmal: Was leisten die Betriebe der Metall- und Elektroindustrie mit ihren gut 3,82 Millionen Beschäftigten, um Flüchtlinge zu integrieren?
Dulger: Viele Firmen unserer Branche helfen Flüchtlingen. Aber etwa in der Autoindustrie und im Maschinenbau gibt es kaum Arbeitsplätze für gering qualifizierte Mitarbeiter. Deshalb müssen die Asylberechtigten schnell Deutsch lernen, damit sie ausgebildet werden können. Um Flüchtlingen zu helfen, wurde beispielsweise von der bayerischen Wirtschaft ein Paket von mehr als sechs Millionen Euro geschnürt. Zudem haben sehr viele unserer Unternehmer privat Initiativen für Flüchtlinge ins Leben gerufen. Gerade das Handwerk leistet Enormes.
Die Metall-Unternehmen können sich das ja leisten. Schließlich soll die deutsche Wirtschaft auch in diesem Jahr mit mindestens 1,7 Prozent wachsen.
Dulger: Ich betrachte das nur als Scheinaufschwung.
Scheinaufschwung? Weshalb reden Sie unsere wirtschaftliche Stärke so klein?
Dulger: Weil der Aufschwung auf günstigen Ölpreisen, auf dem schwachen Euro, der unsere Exporte fördert, und auf niedrigen Zinsen beruht. Deshalb sind deutsche Waren im Ausland derzeit so billig wie noch nie und sehr gefragt. Für diesen Wettbewerbsvorteil haben wir aber nichts getan. Wenn sich all die für uns positiven Faktoren ins Gegenteil verkehren, bedeutet das Kopfschmerzen für unsere Firmen.
Warum zweifeln Sie an der Leistungsfähigkeit unserer Unternehmen?
Dulger: Wir haben innovative Unternehmen, aber Fakt ist, dass die Lohnstückkosten in Deutschland deutlich gestiegen sind und unsere Firmen daher teurer produzieren als in anderen Industrieländern. Das wird nur durch den niedrigen Euro kaschiert. Das ist gefährlich. Wir glauben immer noch, dass wir super gut sind, obwohl wir an Wettbewerbsfähigkeit verloren haben. Seit der Finanzmarktkrise im Jahr 2008 sind die Löhne in der Metallindustrie um 20 Prozent gestiegen. Die Produktivität hat aber noch nicht einmal um zwei Prozent zugelegt.
Rechtzeitig vor der Tarifrunde sehen die Metall-Arbeitgeber schwarz. Das kann doch kein Zufall sein?
Dulger: Diese Tarifrunde ist die falsche Zeit für Höhenflüge. Denn der jetzige Aufschwung ist kosumgesteuert, während unsere Branche stark vom Export und Investitionsgütern lebt. Unser Wirtschaftszweig wird in diesem Jahr nur um 0,5 bis 0,8 Prozent wachsen, während die Gesamtwirtschaft um wohl 1,8 Prozent zulegt.
IG-Metall-Chef Jörg Hofmann will aber weiter kräftige Lohnerhöhungen durchsetzen, auch um den Konsum als Stütze der deutschen Konjunktur zu stärken. Das ist doch nicht so abwegig?
Dulger: Das nützt uns wenig. Die meisten unserer Mitgliedsbetriebe gehören dem Maschinenbau an. Die Verbraucher kaufen aber keine Werkzeugmaschinen für den Hausgebrauch, sondern vielleicht mal ein Auto. Es gibt also wenig Spielraum für Lohnerhöhungen.
Warum sind Sie gar so knausrig? Wir stecken ja nicht in einer Rezession.
Dulger: In der vergangenen Tarifrunde haben wir einer 3,4-prozentigen Lohnerhöhung zugestimmt. Das war zu teuer für viele Betriebe, gerade für kleinere Maschinenbaufirmen. Das war jenseits dessen, was an Schmerzen hinnehmbar ist.
Warum haben Sie dem Abschluss dann überhaupt zugestimmt?
Dulger: In einer solch langen Nacht der Entscheidung ist Besonnenheit gefragt. Wir als Arbeitgeber haben einen Streik seitens der Gewerkschaft und damit einen immensen volkswirtschaftlichen Schaden dadurch abgewendet.
Sind Sie danach im eigenen Arbeitgeberlager unter Druck geraten?
Dulger: Es gab auch Kritik im eigenen Lager. Vor allem für Unternehmen, die nicht so exportstark sind, und auch solche, die unter dem Russland-Embargo leiden, war es zu teuer. Wenn wir keinen maßvollen Abschluss hinbekommen, könnte das zu einer weiteren Flucht von Firmen aus dem Flächentarifvertrag führen. Wenn wir mit Lohnerhöhungen von 3,4 Prozent weitermachen würden, nimmt der Arbeitsplatzaufbau in unserer Branche ein jähes Ende.
Wird das wirklich so dramatisch?
Dulger: Bei einem überzogenen Abschluss wird weiter Produktion ins Ausland verlagert. In Deutschland spüren wir ohnehin eine Investitionsschwäche. Natürlich ist klar, dass es für alle Beschäftigten in der Metallindustrie mehr Geld geben wird, aber in einem verträglichen Maße. Und wir brauchen in dieser Tarifrunde mehr betriebliche Differenzierungsmöglichkeiten und eine Vereinbarung, die uns länger Planungssicherheit gibt. Das ist uns besonders wichtig. Der letzte Abschluss hatte ja nur eine Laufzeit von 15 Monaten.