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Flucht in die Selbstständigkeit

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Flucht in die Selbstständigkeit

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    Firma Wölz / Stahl - und Metallbau v.l.: Boris und Siegfried Wölz Foto: Christina Bleier
    Firma Wölz / Stahl - und Metallbau v.l.: Boris und Siegfried Wölz Foto: Christina Bleier Foto: AZ

    Von unserem Redaktionsmitglied Stefan Stahl

    Wer mit Wölz in seinem Büro Vergangenes bespricht, bekommt von ihm zwei Dinge vorgeführt: eine mit viel Liebe zum Detail gearbeitete Schließvorrichtung, sein Meisterstück als Bauschlosser und das Autogramm des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt. Der Fassadenbauer, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht an eine Existenzgründung dachte, wurde nämlich mit sieben weiteren Opfern der Insolvenz gebeten, den letzten, spektakulären Kalinna-Auftrag im Bonner Bundeskanzleramt zu beenden. Wie schüchtern sich der unternehmerische Geist in dem Handwerker bemerkbar machte, lässt sich an dem Namen der Truppe - "Montagegruppe

    Nach dem Auftrag wollte Wölz eigentlich die "Montagegruppe" auflösen, das Geld unter den Freunden aufteilen und sich wieder als abhängig Beschäftigter betätigen. Doch der Truppe eilte ein guter Ruf voraus und es fügte sich, dass Kalinna-Kunden an Projekten des Unternehmens noch einiges auszusetzen hatten. Die Gruppe sanierte so etwa die Aluminium-Fassade der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg. Die Geburtsstunde der Firma Siegfried Wölz Stahl- und Metallbau GmbH kam, als ein Bauleiter, der die Arbeit des Schwaben schätzte, ein Angebot für eines seiner Projekte haben wollte. Wölz wagte den großen Schritt, ging zur Bank, kaufte Maschinen, mietete Räume an und bekam den Auftrag. Die Geschäfte liefen gut an. Deswegen stellte sich der Jungunternehmer 1979 die Frage: "Bauen oder aufhören". Er entschied sich für Ersteres, nahm mit 50000 Mark Eigenkapital einen Kredit über 500000 Mark auf und errichtete in seiner Heimatstadt Gundelfingen das Fundament des Betriebs. Als Sicherheit diente das Wohnhaus der Familie. Seine Frau sagte nur: "Mei, du machst Sacha." Ihre Skepsis hielt ihn nicht davon ab, aufs Ganze zu gehen: "Ich konnte gut schlafen."

    Für Wölz gab es in diesen kritischen Jahren nach der Existenzgründung, in der so viele scheitern, keine Selbstzweifel. Dazu hatte er auch keine Zeit. Er kalkulierte die Aufträge, schnitt die Profile für die Fassaden-Elemente zu und organisierte die Montage: "Es gab keinen Samstag und keinen Sonntag für mich. Es machte mir Spaß." Das Engagement hat sich ausgezahlt: In der Anfangszeit beschäftigte die Firma zehn Mitarbeiter und einen Lehrling, heute sind es 73 Beschäftigte und vier Auszubildende. In den vergangenen drei Jahren - in einer Zeit, in der die Bauwirtschaft immer tiefer in die Krise geriet - kletterte der Umsatz des Unternehmens sprunghaft von 9,7 Millionen (1999) auf zuletzt 16,1 Millionen Euro. In diesem Jahr will der Betrieb, der auch Rauch- und Brandschutztüranlagen im Angebot hat, 350000 Euro in die Erweiterung der Gebäude investieren und rund 18 Millionen Euro erlösen - "und das schaffen wir auch", sagt der 65-Jährige.

    Dass sich das Wachstumstempo des "immer profitableren" Unternehmens derart erhöht hat und sich die Arbeit des Firmengründers angfristig auszahlt, hängt auch mit Boris Wölz zusammen. Der 33-Jährige ist Maschinenbau-Ingenieur und seit 1996 gleichberechtigter Geschäftsführer des Betriebs. Während andere Firmen verkauft oder aufgegeben werden, weil sich kein Nachfolger findet, kann sich Siegfried Wölz zunehmend zurücknehmen und seinem jüngsten Sohn immer mehr Verantwortung übertragen. Die anderen drei Geschwister akzeptieren die Führungsrolle von Boris Wölz. Seine Schwester ist im Einkauf tätig, ein Bruder packt als Schlosser in den Werkshallen an.

    Die Beschäftigten und die Familie gehen freundschaftlich miteinander um. Siegfried Wölz und sein Sohn Boris wirken eher wie Freunde, sind sich in ihrer bescheidenen und überlegten Art ähnlich, trotz einiger Unterschiede. So gehört der Vater zu der in Bayern seltenen Spezies von Unternehmern, die SPD-Mitglied sind. Siegfried Wölz hat sich schon 1961 den Sozialdemokraten angeschlossen, "weil sie eher ein Gespür für den kleinen Mann haben". Während andere nach ihrem sozialen Aufstieg in konservativere Gefilde konvertiert sind, sagt Wölz: "Ich vergesse nicht, dass einer meiner Großväter Pferdeknecht und der andere Heizer in einem Sägewerk war. Ich habe noch gesehen, welche Sklavenarbeit er als Heizer leisten musste."

    Trotz des damaligen Kanzler-Lobs stand Wölz Helmut Schmidt wegen dessen mangelnden Gespürs für Umweltthemen kritisch gegenüber. Seine Augen leuchten hingegen, wenn der Name Willy Brandt fällt, und im Chefbüro hängt nicht nur der Meisterbrief, sondern auch ein Foto, das Wölz, der seit 36 Jahren im Gundelfinger Stadtrat und auch im Kreistag sitzt, mit Gerhard Schröder zeigt: "Ich habe einmal zu ihm gesagt, dass ich Unternehmer und der linkeste Sozialdemokrat im Landkreis Dillingen bin." Das weckte die Neugier des heutigen SPD-Chefs und Bundeskanzlers. Die Genossen tranken einige Gläser Pils zusammen und verstanden sich spontan.

    Wölz ist zwar ein sozialer, aber auch profitorientierter Firmenlenker, der seine Idee eines Arbeitszeitkontos mit bis zu 200 Überstunden, die in Geld oder Freizeit abgegolten werden können, durchsetzte. So vermeidet er seit drei Jahren, dass wie zuvor am Jahresanfang kurzgearbeitet werden muss oder Entlassungen notwendig sind. Der Betriebsrat wollte nur 75 Stunden zugestehen. Der Chef sagte: "Das reicht nicht." Er setzte sich durch und "der

    Dabei hat der Mittelständler ein Händchen für Menschen. Er erkennt ihre Talente und fördert sie. Der 29-jährige Wolfgang Hipp baute zunächst Fenster zusammen. Heute darf der gelernte Schreiner eine rund 150000 Euro teure Maschine bedienen. Dieser Führungsstil hat Methode: Selbst gelernte Köche haben bei der Firma eine Chance. Wölz geht durch eine Firmenhalle und sagt: "Schauen Sie sich diesen jungen türkischen Mitarbeiter an. Nach einer Woche habe ich seine Fingerfertigkeit bemerkt, jetzt macht er kompliziertere Arbeiten." Trotz der hohen Arbeitslosigkeit ringsum findet die Gundelfinger Firma nicht genügend Facharbeiter. Das Unternehmen will vier weitere technische Zeichner einstellen. Bisher wurde keiner gefunden.

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