Es ist ein Einkaufstag, wie er für die Zeit kurz nach Weihnachten typisch ist. Ein Parkhaus in der Stuttgarter Innenstadt. Immer wieder stauen sich Autos vor der Schranke. Viele haben Nummernschilder aus den Umlandkreisen. Kommt man mit den Fahrern ins Gespräch, stellt sich schnell heraus: Die meisten wissen, dass dies der erste Werktag mit einem Fahrverbot für ältere Diesel im Stadtgebiet ist – was es in diesem Ausmaß in Deutschland noch nie gegeben hat.
Ein Senior aus Esslingen steht mit seiner älteren Mercedes-A-Klasse in der Schlange. „Ich habe Euro 5“, sagt er mit einem Lächeln. Es schwingt die Botschaft mit: Alles sauber bei mir. In der Tat betrifft das Fahrverbot nur ältere Dieselfahrzeuge, die nicht die Abgasnorm Euro 5 schaffen. „Aber ich würde auch mit Euro 4 weiter nach Stuttgart reinfahren“, gibt er zu und tippt sich an die Stirn. Womit er ganz offensichtlich sagen will: Für das, was sich hier abspielt, habe ich kein Verständnis.
Kurz darauf, als er seinen Wagen geparkt hat, kommt er extra noch einmal zurück, um seine Meinung zu begründen. Die Politik, findet er, habe sich da in eine ausweglose Situation hineinmanövriert. Weil sie nicht rechtzeitig über die Konsequenzen nachgedacht habe, die die von der Europäischen Union vorgegebenen und nun nicht eingehaltenen Grenzwerte mit sich bringen. So sieht er das.
Stuttgart ist so etwas wie ein Paradeprojekt für die Deutsche Umwelthilfe. Ausgerechnet dort, wo die Autobauer Daimler und Porsche große Werke betreiben, hat die Umweltschutzorganisation erstmals ein großflächiges Fahrverbot erwirkt. Nicht für einzelne Straßen wie in Hamburg beispielsweise, nicht nur für die Innenstadt, sondern ganzjährig für das gesamte Stadtgebiet.
Die Deutsche Umwelthilfe droht mit weiteren Klagen
Man darf ja nicht vergessen: Die DUH hat bundesweit bislang 34 Klagen eingereicht, womit man „sehr beschäftigt“ sei, sagt ihr Chef Jürgen Resch. Und auch wenn es kürzlich einen Dämpfer gab – in Frankfurt am Main scheiterte die Umwelthilfe mit ihrem Eilantrag, schon zum Februar ein Fahrverbot durchzusetzen, obwohl der Rechtsstreit noch nicht beendet ist: Der Verein will sich davon nicht bremsen lassen. Weitere Klagen seien möglich, droht Resch.
Die Klagen sind das eine. Das, was die Umwelthilfe damit bislang erreicht hat, das andere. Tatsächlich haben Verwaltungsgerichte für etwa ein Dutzend Städte angeordnet, Fahrverbote für ältere Diesel in die Luftreinhaltepläne aufzunehmen. So sind eben in Hamburg zwei Straßenabschnitte für ältere Diesel gesperrt worden. Und nun ist also in Baden-Württembergs Landeshauptstadt der Ernstfall eingetreten.
In Stuttgart ist das Schadstoffproblem kein neues Phänomen. Im Gegenteil. Die Innenstadt liegt in einem dicht bebauten Talkessel, der fast vollständig von einem Höhenkranz umgeben ist. Luftaustausch ist da schwierig, vor allem, wenn sich kalte Luftschichten wie ein Deckel auf den Kessel legen und die miese Luft am Boden halten. Bereits 1938 hat der Gemeinderat das erkannt und die Anstellung eines Meteorologen beschlossen, um die klimatischen Verhältnisse in den Blick zu nehmen. Heute ist Rainer Kapp, 52, Ingenieur, seit fast einem Jahr oberster Stadtklimatologe und damit Herr über den Feinstaubalarm in der 630.000-Einwohner-Stadt.
Melden ihm Meteorologen eine absehbar stark austauscharme Wetterlage, ruft Kapp den Alarm aus. Autofahrer werden dann zum Umstieg auf Bus und Bahn aufgerufen, das Befeuern von Komfortkaminen ist untersagt. Keine andere Stadt in Deutschland kennt einen solchen Alarm. Aber vielleicht hat er auch seinen Teil dazu beigetragen, dass der EU-Grenzwert für Feinstaub 2018 wohl erstmals nicht gerissen worden ist. Doch Kapp, der stets Stadtbahn fährt, ist skeptisch: 2018 sei das Wetter untypisch gewesen, sagt er. Und das größere Problem sei ohnehin das Stickstoffdioxid. Also das Diesel-Thema.
Gleich mehrere Autofahrer schimpfen: Das ist doch Schwachsinn
An diesem kalten Mittwoch haben die Autofahrer vor dem großen Stuttgarter Warenhaus wenig Verständnis für das Fahrverbot. „Das ist doch Schwachsinn“, sagen gleich mehrere, die mit ihren vergleichsweise neuen Dieseln der Euronorm 5 und 6 weiter freie Fahrt haben. Ein Mann aus dem Enzkreis sagt pragmatisch: „Wenn die S-Bahn funktionieren würde, würde ich mit den Öffentlichen nach Stuttgart fahren.“ Eher untypisch ist die Aussage eines Heidelbergers, der einen voll besetzten Kleinbus steuert: „Ich finde es nicht schlecht.“ Und eine Fahrerin will gar nichts sagen, was angesichts des fortgeschrittenen Alters ihres Diesel-Geländewagens vielleicht auch nicht verwunderlich ist.
Das Verbot gilt für rund 72.000 Fahrzeuge aus Stuttgart und dem Umland. Zunächst gilt das Stoppschild allein für Autos von Pendlern und Tagesbesuchern. Am 1. April endet dann die Galgenfrist für die Stadtbewohner. „Die Verbraucher haben keine Lobby“, klagt Sabine Hagmann, Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbandes Baden-Württemberg. Sie befürchtet Einbußen für die Händler: „Wer sich kein neues Auto leisten kann, geht womöglich woanders einkaufen.“ Schon die vielen Baustellen in der Innenstadt hätten zu Frequenzrückgängen geführt. „Das wird sich jetzt verschärfen“, glaubt Hagmann. Viele Mitgliedsfirmen würden das Fahrverbot als Damoklesschwert über ihren Köpfen sehen.
Gleichzeitig gibt es Sonderregelungen. Neben dem Lieferverkehr, Krankenwagen und Polizei sind Handwerker vom Verbot ausgenommen. Für sie gilt eine Allgemeinverfügung. „Alles, was wir nicht in der Stadtbahn transportieren können, gehört zum Lieferverkehr“, fasst eine Sprecherin der Kammer die freie Fahrt für Maler, Installateure oder Gebäudereiniger zusammen.
Anders stellt sich die Lage für die privaten Autofahrer dar. Wer wegen ungünstiger Arbeitszeiten nicht mit Bus und Bahn in den Betrieb kommt, kann immerhin eine Ausnahmegenehmigung beantragen. 3600 Anfragen sind beim eigens eingerichteten Amt bisher eingegangen. Von den 1500 entschiedenen Anträgen wurden 47 Prozent genehmigt. Das betreffe neben Schichtarbeitern zum Beispiel Pflegedienste oder Eigentümer von Wohnmobilen für die Fahrt in den Urlaub. Und was ist mit denen, die das Verbot ganz einfach ignorieren?
Die meisten halten sich in Stuttgart an das Fahrverbot
Die Polizei sammelt noch am Vormittag bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle erste Erfahrungen. In den zwei Stunden habe man 15 Fahrzeuge aus dem fließenden Verkehr gezogen und genauer untersucht, heißt es später. Das Ergebnis: fünf Handyverstöße, aber nur zwei Verstöße gegen das Fahrverbot. Die beiden Fahrer wurden mündlich verwarnt und aufgefordert, die Umweltzone umgehend zu verlassen. „Man hält sich weitestgehend an das Verbot“, sagt ein Polizeisprecher. Kassiert werden soll ohnehin erst ab Februar.
Die Kontrollen gelten als Achillesferse des Konzepts. Denn den Autos ist von außen nicht anzusehen, ob ein Diesel an Bord ist und welche Norm dieser erfüllt. Von einem „nicht umsetzbaren Schildbürgerstreich“ spricht Rolf Kusterer, der Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft. Spezielle Kontrollen der Fahrverbote sind nicht geplant. Die Polizei will im Rahmen der allgemeinen Verkehrsüberwachung auf die Einhaltung achten.
Eine weitere Möglichkeit testet die Polizei ebenfalls gleich am ersten Werktag des Jahres. Neben der Messstelle „Am Neckartor“, bekannt als Deutschlands dreckigste Kreuzung, steht ein Blitzer. Bei Temposündern will man anschließend durch eine Abfrage beim Kfz-Zentralregister prüfen, ob sich das Fahrzeug legal in der Umweltzone aufgehalten hat. Wenn nicht, kommen auf das Bußgeld für die überhöhte Geschwindigkeit noch 80 Euro für den Verstoß gegen das Diesel-Fahrverbot hinzu – plus 28 Euro Bearbeitungsgebühr.
Auch die für den ruhenden Verkehr zuständige Stadt hat sich einen Kniff überlegt, um die Kontrollen effizient zu machen. Falschparker, die sich weigern, im automatischen Zahlungsverkehr ihr Knöllchen zu bezahlen, müssen ohnehin per Abfrage im Zentralregister festgestellt werden. Dabei soll künftig auch nach den verbotenen Dieseln gefahndet werden. Es geht da immerhin um mehr als 300.000 Strafzettel im Jahr. Nur fehlt dem städtischen Vollzugsdienst bisher die notwendige Verordnung, die Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) erst noch erlassen muss.
Fahrverbote, Kontrollen, Bußgelder – ein Szenario, das auch in Bayern droht? Fakt ist: Noch gibt es im gesamten Freistaat keine Diesel-Fahrverbote. Fakt ist aber auch: Auf Betreiben der Deutschen Umwelthilfe hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den Freistaat dazu verpflichtet, die Möglichkeit von Fahrverboten in den Münchner Luftreinhalteplan aufzunehmen. Die Landeshauptstadt gehört zu den Städten in Deutschland mit der höchsten Stickstoffdioxid-Belastung. Die Staatsregierung weigert sich bislang jedoch, die richterliche Anweisung umzusetzen, weil sie Fahrverbote ablehnt, und zahlt lieber ein Zwangsgeld.
Die Umwelthilfe hat auch Augsburg im Blick
Nun haben sich die Richter am Verwaltungsgerichtshof tatsächlich die Frage gestellt, ob sie gegen bayerische Amtsträger – Beamte, den Umweltminister bis hin zu Ministerpräsident Markus Söder – sogar Zwangshaft anordnen können, um Fahrverbote zu ermöglichen. Das soll der Europäische Gerichtshof klären. Mit einer Entscheidung ist frühestens im Sommer zu rechnen. Gleichzeitig hat die Stadt München angekündigt, die Zahl der Luftmessstationen zu verdoppeln, um „ein noch genaueres Bild von der tatsächlichen und nicht nur von der berechneten Luftsituation“ zu erhalten, sagt Umweltreferentin Stephanie Jacobs.
München ist aber nicht die einzige bayerische Stadt, die Probleme mit zu hohen Stickstoffdioxid-Werten hat. Die Umwelthilfe hat auch Augsburg, Nürnberg, Regensburg und Würzburg im Blick. DUH-Chef Resch hat gerade erst deutlich gemacht, dass neue Klagen vor allem in Bayern denkbar seien. Für Augsburg soll es dem Vernehmen nach derzeit allerdings keine konkreten Pläne geben.
In Stuttgart wird Wolfgang Kern, je häufiger er sich zur miesen Luft in der Stadt äußern muss, immer klarer in seinen Aussagen. Der 61-Jährige war der Vorsitzende Richter, der das Fahrverbot verkündet hat. Seitdem gilt er als „Schrecken der Diesel-Industrie“. Dabei, sagt er, poche er nur auf den Gesundheitsschutz der Menschen. Natürlich seien die Fahrverbote „in hohem Maße bedauerlich und die Verärgerung der davon betroffenen Autofahrer verständlich“. Es sei aber nicht Aufgabe der Justiz, „diese durch jahrelange Versäumnisse der Automobilindustrie und der Politik verursachten Nachteile für die Betroffenen durch eine falsche Rechtsanwendung zulasten der Wohnbevölkerung in den betroffenen Städten zu kompensieren“. (mit anf und dpa)