Auf diesen Dienstag hatten sich die Chefetagen von Google, Amazon, Microsoft und Apple monatelang vorbereitet. Von zumindest einem dieser Tech-Giganten war bekannt, dass dort ein umfangreiches Strategiepapier erstellt worden war, wie man den Plan der beiden EU-Kommissare Thierry Breton (Binnenmarkt) und Margrethe Vestager (Wettbewerb) durchkreuzen, entschärfen oder die Glaubwürdigkeit der beiden sogar beschädigen könnte. An diesem Dienstag standen Breton und Vestager in Brüssel im Pressesaal und stellten zwei Vorhaben vor, von denen Netzexperten behaupten, sie würden „das Internet auf den Kopf stellen“.
Die Verantwortung vor allem der großen Konzerne für ihre Angebote und Inhalte soll nicht nur einfach zunehmen. Auch bisherige langjährige Geschäftsmodelle will die Europäische Kommission neu strukturieren. Der Digital Services Act (Gesetz über die digitalen Dienste) und der Digital Markets Act (Gesetz über digitale Märkte) stellen zusammen genommen nicht weniger als den Versuch dar, die ungeheure Marktmacht der globalen Unternehmen zu beschneiden und so etwas wie eine neue Fairness herzustellen.
Europa will die Marktmacht von Google und Facebook brechen
Vorbei wären die Zeiten, in denen Google selbst bestimmt, in welcher Reihenfolge Suchergebnisse aufgelistet werden. Amazon dürfte nicht länger die Daten der Verkäufer nutzen. Facebook könnte nicht mehr allein festlegen, welche schmutzigen oder illegalen Inhalte es von seiner Plattform entfernt und welche nicht. „Unsere Vorschläge sollen sicherstellen, dass wir als Nutzer Zugang zu einer großen Auswahl an sicheren Produkten und Dienstleistungen im Internet haben. Und dass Unternehmen, die in Europa tätig sind, online genauso frei und fair konkurrieren können, wie sie es off-line tun“, sagte Vestager zu den Absichten der EU-Kommission.
Breton ergänzte: „Mit harmonisierten Regeln, Vorabverpflichtungen, besserer Aufsicht, schneller Durchsetzung und abschreckenden Sanktionen werden wir sicherstellen, dass jeder, der in Europa digitale Dienste anbietet und nutzt, von Sicherheit, Vertrauen, Innovation und Geschäftsmöglichkeiten profitiert.“ Der Mann, der das Vorhaben ausgearbeitet und mit seinem 22-köpfigen Team vorgelegt hat, heißt Prabhat Agarwal, ist 48, ein promovierter Physiker. „Wir akzeptieren die Machtstellung der großen Plattformen nicht mehr so einfach“, sagte er vor kurzem der Wochenzeitung Die Zeit.
Margrethe Vestager kämpft seit Jahren mit Tech-Konzerne
Wenn Agarwal und sein Team das Vorhaben beschreiben, heißen die Netzkonzerne „Gatekeeper“, also Torwächter. „Türsteher“ wäre wohl zutreffender. Denn es geht darum, dass die so bezeichneten großen Plattformen de facto allein bestimmen können, was sie zu welchen Bedingungen auf ihren virtuellen Marktplätzen anbieten und wie die dabei gewonnenen Daten von Verkäufern und Käufern weiter genutzt werden dürfen. Diese Herausforderungen sind nicht neu.
Margrethe Vestager aus Dänemark hat seit 2015 bereits über 30 Wettbewerbsverfahren gegen die Internet-Riesen geführt – und ein spektakuläres über Steuervorteile für Apple in Irland in Milliardenhöhe verloren. Sie gilt im Tandem mit Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton als die eher striktere Politikerin, die auf Strafen und Verbote setzt. Dagegen steht der Franzose, der lange Chef des Telekommunikationsriesen Atos war, als Marktliberaler da, der etwa eine Zerschlagung der Internet-Giganten ablehnt. „Es geht nicht darum, Größe zu bestrafen, sondern unfaires Verhalten“, beschreibt er die Intention der EU-Behörde.
Vestager und Breton haben sich zusammenraufen müssen. Auch über die beiden Vorschläge, die sie gestern präsentierten, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. „Die haben sich gegenseitig angeschrien“, sagte jemand, der dabei war. Doch nun stehen ihre Pläne samt einer Liste verbotener Verhaltensweisen, deren Verstoß teuer werden kann: Die Sanktionen könnten die Internet-Häuser bis zu sechs Prozent des weltweiten Umsatzes kosten.
Eine neue europäische Kommissionsbehörde soll den Markt ständig überwachen. Sie dürfte viel zu tun haben, wenn man die „Sündenliste“ der Branche zugrunde legt, die die EU-Kommission zusammengetragen hat: Google baute mit den Daten anderer Anbieter von Preisvergleichen seinen eigenen Shopping-Dienst mit eben solchen Kostenübersichten auf, der so prominent platziert wurde, dass Nutzer kaum noch andere Seiten anklicken. Auf Smartphones mit dem Android-Betriebssystem sind Google-Anwendungen wie Gmail oder Maps vorinstalliert. Der User habe keine Wahl. Innerhalb von Apples iPhone-Imperium sind Anwendungen so miteinander verzahnt, dass der Kunde größte Schwierigkeiten hätte, wenn er wechseln und seine Einstellungen mitnehmen will.
EU-Kommission fordert: Internet-Konzerne sollen ihre Algorithmen offenlegen
Die Kommission verweist auf die Einkäufe im App-Store oder über iTunes und das hauseigene Bezahlsystem Apple Pay. Hinzu kommen inhaltliche Baustellen bei allen Plattformen wie die Verbreitung von Hass, Hetze, Kinderpornografie, Terroranleitungen oder Angebote gefälschter Waren. Um Upload-Filter zu umgehen, deren Einführung beim Urheberrecht für viel Ärger sorgte, muss die Haftung der Konzerne erhöht werden. Erst vor wenigen Tagen hat die EU-Kommission die Betreiber verpflichtet, illegale und kriminelle Inhalte vor allem mit terroristischer Propaganda binnen einer Stunde zu löschen. Als Knackpunkt der Vorstöße gilt aber die Forderung, alle Anbieter sollten ihre Algorithmen gegenüber der neuen Kontrollbehörde offenlegen, damit diese feststellen kann, nach welchen Kriterien Uploads wie Videos oder Textbeiträge von Usern sortiert und angeboten werden.
Die Verantwortung ist aber gestaffelt: Bei großen Plattformen mit mehr als 45 Millionen Nutzern EU-weit sollen striktere Kriterien gel-ten als bei kleineren Service-Anbietern und sogenannten Webseiten-Hostern. Doch raus ist niemand. Wie tief dies in die bisherige Struktur des Netzes einschneidet, lässt sich nur ahnen. Der liberale Europaabgeordnete Moritz Körner drückte das so aus: „Das wird ein brutaler Kampf über die Beschränkungen der Marktmacht der Internet-Giganten für mehr Transparenz und das Bewahren des freien Internets.“ Der CSU-Europapolitiker Markus Ferber meinte: „Plattformen, die auf dem Rücken ihrer Nutzer und ‚Geschäftspartner‘ Gewinne erzielen und den Wettbewerb zuungunsten des Mittelstands verzerren, haben wir lange genug toleriert.“
Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Die EU plant ein neues Internet
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