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Exklusiv: Kuka-Chef Till Reuter spricht über seinen Abschied: "Ich bin traurig"

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Kuka-Chef Till Reuter spricht über seinen Abschied: "Ich bin traurig"

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    Ein großer Moment: Bundeskanzlerin Angela Merkel besucht im März 2015 den Augsburger Roboterbauer mit Vorstandschef Till Reuter.
    Ein großer Moment: Bundeskanzlerin Angela Merkel besucht im März 2015 den Augsburger Roboterbauer mit Vorstandschef Till Reuter. Foto: Silvio Wyszengrad

    Armin Kolb hat am zurückliegenden Wochenende wenig geschlafen, vielleicht vier Stunden. Er ist Kukaner – durch und durch. So nennen sich die Beschäftigten des Augsburger Roboterbauers Kuka in einer Mischung aus schwäbischem Maschinenbauer-Stolz und Trotz. Trotz, weil sie es immer wieder allen gezeigt und sich aus misslichen Situationen wie der existenziellen Krise des Unternehmens im Jahr 2009 befreit haben.

    Kukaner sind Entfesselungskünstler. Was probierten sie nicht schon alles aus, seit Johann Josef Keller und Jakob Knappich im Jahr 1898 die Firma als Acetylenwerk für Beleuchtungen in Augsburg gegründet haben. Aus den Anfangsbuchstaben der beiden Start-up-Unternehmer formte sich auch der derart eingängige Name Kuka. So wurden in dem Haus einst Müllfahrzeuge und die Kleinstschreibmaschine „Princess“ hergestellt.

    Letztlich waren es aber überragende Fähigkeiten in der Schweiß-und schließlich der Robotertechnik, die den Kukanern ihr Selbstvertrauen einflößten. Armin Kolb, den Augsburger Betriebsratsvorsitzenden und Aufsichtsrat der Firma, nennen viele nur „Bobby“. Sein Wort zählt in dem Unternehmen bis hinauf in die Vorstandsetage zu Till Reuter. Doch der Arbeitnehmervertreter muss ab Dezember ohne seinen vertrauten Ansprechpartner in der Kuka-Spitze auskommen. Der Vorstandschef gibt das Amt nach fast zehn Jahren vorzeitig auf, obwohl sein Vertrag noch bis 2022 laufen würde. Zuletzt hat der Top-Manager 2017 rund 2,55 Millionen Euro an Gesamtvergütung erhalten, wie aus dem Geschäftsbericht hervorgeht. Ob und in welcher Höhe ihm sein Ausscheiden versüßt wird, bleibt offen.

    Doch seit Montag ist klar: Reuter beendet sein Vorstandsamt „im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat“, der je zur Hälfte aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern besteht. Kolb gehört wie sein Aufsichtsratskollege Michael Leppek, der Augsburger IG-Metall-Chef ist, dem Gremium an. Beide geben sich zurückhaltend und verweisen auf die Vertraulichkeit der Diskussionen innerhalb dieses Gremiums.

    Gewerkschafter überschlagen sich mit Lob für den Kuka-Chef

    Kolb jedenfalls lobt den scheidenden Unternehmens-Chef und stellt ihn auf eine Ebene mit den Firmen-Legenden Keller und Knappich: „Gäbe es eine Kuka-Ruhmeshalle, müsste Reuter darin Aufnahme finden“, meint er euphorisch und fügt hinzu: „Er hat die letzten zehn Jahre eine Performance hingelegt, die unbeschreiblich ist.“ Auch IG-Metall-Mann Leppek sagt: „Reuter hat einen tollen Job gemacht. Wir sind ihm zu Dank verpflichtet. Ich wünsche ihm alles Gute.“

    „Ich bin traurig“, sagt Till Reuter über seinen Abschied vom Augsburger Roboterbauer Kuka.
    „Ich bin traurig“, sagt Till Reuter über seinen Abschied vom Augsburger Roboterbauer Kuka. Foto: Ulrich Wagner

    Aber warum muss ausgerechnet ein Manager, dem von Natur aus streitbare Gewerkschafter Kränze flechten und Statuen widmen wollen, gehen? Reuter hat ja eine erstaunliche Wandlung in seiner Kuka-Zeit durchlaufen. Der Jurist und Investmentbanker schaffte es nämlich, sich rasch in die Welt der Technik einzuarbeiten und begeistert über die Zukunft der Robotik zu sprechen. Der Mann der Zahlen und Paragrafen wurde zum „Mister Kuka“, einem echten Kukaner, der wie Kolb und Leppek mit Krawatte in der Firmenfarbe Orange zur Identifikationsfigur innerhalb des Unternehmens heranreifte.

    Der inzwischen 50-jährige Reuter hatte sichtlich Spaß an seinem Job. Er spielte auf nationaler und internationaler Ebene mit, traf immer wieder Bundeskanzlerin Angela Merkel, bewahrte die Firma 2009 in Zeiten der Finanzmarktkrise vor dem Absturz und lieferte ein ums andere Mal bessere Wirtschaftszahlen. Einem solchen Überflieger mit Bodenhaftung müssten doch auch die chinesischen Eigentümer des Haushaltsgeräte-Riesen Midea goldene Siegerkränze aufs bebrillte Haupt setzen?

    Doch Undank, wie es sich schon abermillionenfach auf dieser Erde zugetragen hat, ist eben der Welten Lohn. Von dem fatalen Grundprinzip wird auch für einen so lange in seiner Karriere von der Sonne wunderbar ausgeleuchteten Manager keine Ausnahme gemacht. Zu den Gründen für Reuters dann doch überraschenden und raschen Abgang heißt es von den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat wie Leppek und Kolb nur: „No comment!“ Eben kein Kommentar.

    Reuter selbst schien sich in den vergangenen Wochen rarer gemacht zu haben. Der Grund hierfür ist nun klar. Offiziell sprechen weder Kuka- noch Midea-Verantwortliche darüber. Doch nach Informationen unserer Redaktion ist es zu grundsätzlichen Differenzen zwischen dem Eigentümer-Vertreter Andy Gu und Reuter über die Ausrichtung der Geschäftspolitik gekommen. Eine mit der Branche bestens vertraute Person, die namentlich nicht genannt werden will, sagt: „Die Chinesen schauen nur auf die Zahlen.“

    Das ist von anderer Seite auch zu hören. Kuka ist aber ein innovationsgetriebenes Unternehmen, in dem sich nicht jeder neu eingeschlagene Weg schnell rentiert. Wer die Forschungslabore der Firma besucht, merkt, hier arbeiten Spezialisten für Kunden wie etwa den Drogerie-Riesen dm an neuen automatisierten Lösungen zum Einräumen von Regalen. Da findet sich der spezielle Kukaner Tüftler-Geist, der das Unternehmen groß gemacht hat. Am Ende sind es also nach dieser plausibel klingenden Lesart kulturelle Differenzen, die zur Entfremdung von Reuter und Gu geführt haben. Dazu beigetragen mag auch, dass in China die Geschäfte nicht so gut wie erhofft laufen.

    Dass der Konzern zuletzt eine Gewinnwarnung veröffentlichen musste, könnte der Tropfen auf den heißen Stein der Chinesen gewesen sein. Aber diese Korrektur verwundert nicht, ist Kuka doch ein wichtiger Autozulieferer. Und Fahrzeug-Größen wie BMW und Daimler mussten selbst ihre Prognosen revidieren. Es trifft Reuter also kein Verschulden an der Branchenlage.

    Till Reuter sagt unserer Redaktion: "Ich gehe nicht gern"

    Dennoch geht er. Wie es für ihn beruflich weitergeht, ist noch unklar. Reuter ist ein gefragter Manager. Wie ein Insider erzählt, soll er auch während seiner Kuka-Zeit verlockende Avancen bekommen haben. Doch Reuter blieb, zu sehr hing sein Herz an dem Unternehmen. Unlängst ist der Noch-Kuka-Chef zum zweiten Mal Vater geworden. Da ist es sicherlich schön, mal mehr Zeit für Frau und Kinder, die in der Schweiz leben, zu haben.

    Am Montag, wohl dem schwersten Tag seiner beruflichen Karriere, wäre es verständlich, wenn sich Reuter abschotten würde. Aber er ist ein verlässlicher Mensch, der auch in dunklen Zeiten zurückruft. Im Gespräch sagt der sonst immer gut gelaunte Mann, der auch ein exzellenter Motivationstrainer wäre: „Ich gehe nicht gern. Ich bin traurig, es geht aber weiter.“

    Tiefere Einblicke in sein berufliches Befinden will Reuter nicht geben. Ihm ist es vielmehr wichtig, wie es jetzt all seinen Mitarbeitern ergeht. Auch sorgt er sich fast väterlich um das Befinden der Aufsichtsräte aus dem Arbeitnehmerkreis: „Sie haben zu mir gestanden bis zuletzt.“ Die Beschäftigten, ist Reuter überzeugt, hätten alles für ihn gemacht. Am Ende, meint er, habe bei ihm aber die Vernunft über das Herz gesiegt: „So kam es zu der Lösung, die ein einvernehmliches Ausscheiden vorsieht.“

    Wie die Aufsichtsräte Kolb und Leppek ist Reuter zufrieden, dass sein bisheriger Finanzvorstand Peter Mohnen, ein im Unternehmen äußerst geschätzter Manager, Kuka-Chef wird. Das sei, sagen Reuter, Leppek und Kolb, eine gute Nachricht für die Beschäftigten und Augsburg. Insgeheim gibt es in Kuka-Kreisen die Hoffnung, aus dem zunächst als Interims-Vorstand gedachten Mohnen könne ein dauerhafter Kuka-Chef werden. Das gleiche Schicksal ist übrigens einst Reuter widerfahren. Damals kämpfte der heutige IG-Metall-Vorstand Jürgen Kerner als Augsburger Chef der Gewerkschaft an Reuters Seite für Kuka und die Beschäftigten. Gegenüber unserer Redaktion betont der IG-Metall-Mann: „Wir brauchen eine starke deutsche Persönlichkeit an der Kuka-Spitze, keinen Statthalter aus China.“ Deshalb scharen sich die Kukaner jetzt hinter Mohnen. Mancher mag beten, dass er als starker Mann ihre Interessen gegenüber den Asiaten wahren kann.

    Dann heben die Arbeitnehmer-Vertreter das erneute Bekenntnis der Midea-Leute hervor, es bleibe bei dem Investorenvertrag von 2016. Nach dem bis Ende 2023 geltenden Abkommen sind der Standort Augsburg und die Arbeitsplätze geschützt. Reuter jedenfalls ist immer noch Kukaner: „Ich werde weiter auf das Unternehmen schauen. Einmal orange, immer orange.“

    Reuter lädt Kuka-Mitarbeiter zum Eishockey-Spiel ein

    Es muss eine enge Bindung geben zwischen ihm und den Beschäftigten. Auf einer Mitarbeiterversammlung am Montag zeigt er den Kukanern, wie sehr er an ihnen hängt. Reuter hat aus eigener Kasse rund 1550 Karten für das Spiel der Deutschen Eishockey-Liga an diesem Dienstag zwischen Augsburg und Wolfsburg gekauft. Er hofft, dass möglichst viele der Mitarbeiter seiner Einladung folgen, und will sich mit dem Spiel bei ihnen bedanken.

    So hat sich der Aktienkurs entwickelt

    18. Mai 2016: Der chinesische Haushaltsgerätehersteller Midea legt ein Übernahmeangebot für Kuka vor. Die Chinesen bieten den Anteilseignern mit 115 Euro je Aktie deutlich mehr, als das Papier zuletzt an der Börse gekostet hat.

    8. August 2016: Midea übernimmt Kuka zu knapp 95 Prozent. Nach Ende der Übernahmefrist verbleiben noch gut fünf Prozent der Anteile bei den bisherigen Eigentümern.

    15. Februar 2017: Der Konzern meldet Auftragseingänge im Rekordwert von 3,4 Milliarden Euro, 20,6 Prozent mehr als im Vorjahr.

    21. März 2017: Kuka verlängert den Vertrag mit Vorstandschef Till Reuter vorzeitig bis Ende März 2022.

    31. Juli 2017: Kuka kündigt ein mehr als 100 Millionen Euro umfassendes Investitionsprogramm für seinen Stammsitz an. In Augsburg sollen bis 2025 eine Produktionshalle, ein Ausbildungszentrum, ein Büroturm und ein Parkhaus neu entstehen.

    24. Oktober 2017: Obwohl nur rund fünf Prozent der Aktien im freien Handel sind, schießt die Aktie auf ein Allzeithoch von fast 250 Euro – womöglich das Ergebnis von Spekulanten.

    29. Oktober 2018: Kuka senkt wegen eingetrübter Aussichten in der Autobranche seine Jahresprognose. Die Aktie verliert kurz nach Handelsstart fast acht Prozent. (dpa, AZ)

    Wenn Reuter all das erzählt, wird deutlich, wie schwer ihm der Abschied fällt. Am Wochenende, so lässt sich recherchieren, ist bei ihm und bei Aufsichtsräten die ein oder andere Träne geflossen. Das müssen nervenaufreibende Tage gewesen sein. Am Ende steht die bittere Erkenntnis, dass Widerstand gegen den Investor Midea, der 94,6 Prozent an Kuka hält, sinnlos ist. Die Herren der Zahlen führen ja auch an, der Kuka-Aktienkurs sei von einst schwindelerregenden Höhen um die 200 Euro auf unter 70 Euro abgestürzt. Die Nachricht, dass Reuter ausscheidet, hat jedenfalls den Kurs des Papiers nicht im Sinne der Chinesen nach oben befördert. Am Montag gab der Wert nach. Die Börsianer scheinen Mister Kuka auch einige Tränen nachzuweinen.

    Nun hat Reuter Zeit, all das zu verarbeiten. „Ich schaue, was ich daraus lernen kann“, meint er. Was ihm richtig gutgetan habe, „ist der Rückhalt der Mitarbeiter bis zur letzten Sekunde“. Jetzt gehe es darum, das Beste für Kuka zu machen und Mohnen zu unterstützen: „Er findet ein tolles Team vor.“ Reuter will seinen Kollegen bei der neuen Aufgabe unterstützen. Im Verlauf des Gesprächs findet er seinen Humor wieder: „Ich ziehe am Nikolaus-Tag die Chefmütze aus und reiche sie an Mohnen weiter.“

    Dazu lässt Midea auch einen Verantwortlichen etwas sagen. Thomas Empt, der für das Unternehmen kommuniziert, beteuert: „Mohnen genießt das volle Vertrauen und die volle Unterstützung von Midea.“ Die Strategie werde von Kuka entwickelt und umgesetzt. Mehr will er nicht sagen.

    Lesen Sie auch die Analyse von Stefan Stahl zum Reuter-Abgang: Die Chinesen begehen den nächsten großen Fehler.

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