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Exklusiv: Airbus-Vorstand: Premium Aerotec häuft seit zwölf Jahren Verluste an

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Airbus-Vorstand: Premium Aerotec häuft seit zwölf Jahren Verluste an

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    Michael Schöllhorn ist Chief Operating Officer von Airbus.
    Michael Schöllhorn ist Chief Operating Officer von Airbus. Foto: Airbus

    Michael Schöllhorn gehört als Chief Operating Officer, kurz COO, dem Airbus-Vorstand an. Er ist für alle Themen der Produktion in dem europäischen Luftfahrtkonzern zuständig. Der Manager kam Anfang 2019 von Bosch zu Airbus. Hier beschäftigt sich der 56-Jährige intensiv mit der zukunftsfähigen Aufstellung des Unternehmens, die auch den zu Airbus gehörenden Augsburger Premium-Aerotec-Standort mit einschließt. Auch wenn der Deutsche am 1. Juli Chef der Airbus-Verteidigungs- und Weltraumsparte wird, bleibt der Maschinenbau-Ingenieur in führender Funktion an den Gesprächen über den geplanten strukturellen Umbau des Flugzeugbauers beteiligt.

    Herr Schöllhorn, wie träumen Sie? In Deutsch, Französisch oder in der Airbus-Konzernsprache Englisch?

    Michael Schöllhorn: In Deutsch. Aber als ich für Bosch vier Jahre in den USA gearbeitet habe, träumte ich in Englisch. Nach meiner Rückkehr nach Deutschland hat es einige Zeit gebraucht, bis sich das gegeben hat.

    Sie stammen aus Lagerlechfeld bei Augsburg. Dort befindet sich ein Bundeswehrstandort mit einem Flugplatz.

    Schöllhorn: Mein Vater war Starfighter-Pilot in Lagerlechfeld. Ich bin also Bayer, ja ein bayerischer Schwabe. Mein Vater ist Allgäuer. Nach seiner Pension ist er ins Allgäu zur Familie zurückgegangen. Ich bin regelmäßig im Allgäu und habe dort auch eine Zeit gewohnt, als ich für Bosch in Blaichach und Immenstadt gearbeitet habe. Heute lebe ich in München.

    Wie war es, in Lagerlechfeld in diesem militärischen Dunstkreis aufzuwachsen?

    Schöllhorn: Ich bin dort mit dem Geruch von Kerosin und – um es englisch zu sagen – dem „sound of freedom“ aufgewachsen. Wir haben als Familie sieben Jahre in Lagerlechfeld gewohnt. Dann sind wir in die Eifel zum nächsten Luftwaffen-Standort weitergezogen. In meiner ganzen Kindheit spielte die Fliegerei eine zentrale Rolle. So entwickelte sich bei mir der Wunsch, selbst Pilot zu werden.

    Doch Sie haben sich nicht wie Ihr Vater für Flugzeuge entschieden.

    Schöllhorn: Weil ich die Pilotenausbildung mit einem technischen Studium verbinden wollte. Das funktionierte damals nur als Hubschrauberpilot. So ging ich zur Bundeswehr, wurde Offizier und war dort zehn Jahre lang Hubschrauberpilot.

    Das Bild zeigt Michael Schöllhorn 1990 mit seinem Vater Siegfried (links) vor einem Alpha Jet.
    Das Bild zeigt Michael Schöllhorn 1990 mit seinem Vater Siegfried (links) vor einem Alpha Jet. Foto: Airbus, dpa

    Fliegen Sie heute noch Hubschrauber?

    Schöllhorn: Mein Pilotenschein ist verfallen. Ich kann aber noch mit einem Fluglehrer fliegen. Als ich zu Airbus gekommen bin, durfte ich so den militärischen Transport-Hubschrauber NH90 steuern. Ich gebe zu: Zunächst musste ich die Automatik ausschalten und rein manuell fliegen. Dann konnte ich es. Es ist schon beeindruckend, wie viel Automatisierung mittlerweile auch in Hubschraubern zu finden ist.

    Warum Sind Sie nach so langer Zeit bei Bosch, zuletzt als COO der Haushaltsgerätesparte in München, zu Airbus gegangen?

    Schöllhorn: Bosch ist ein tolles Unternehmen. Ich habe dort viel gelernt und war auch nicht auf der Suche nach einer neuen Tätigkeit. Dann wurde ich von Airbus angesprochen, weil das Unternehmen damals, vor der Corona-Krise, vor großen Herausforderungen beim Hochlauf der neuen A320-Flugzeuge stand. Es lief ein Film in meinem Kopf ab, in dem ich mich an meine fliegerische Vergangenheit, also auch an die Zeit in Lagerlechfeld, erinnerte. Mir war klar: Wenn ich noch einmal etwas Neues machen wollte, dann jetzt. Und mir war bewusst, dass ich es immer bereuen würde, wenn ich ablehnen würde. Und es war mir auch ein innerer Antrieb, dazu beizutragen, dass der europäische Traum von Airbus weiter eine Erfolgsstory bleibt.

    Es wäre schön, wenn Europa politisch genauso gut laufen würde wie Airbus.

    Schöllhorn: Wir freuen uns, ein Teil Europas zu sein, der funktioniert. Auch deshalb, weil wir des anderen Stärken wertschätzen und Kompromisse für das große Ganze eingehen können. Pioniergeist und Internationalität – das macht die DNA von Airbus aus.

    Doch manchmal raufen Sie auch kräftig bei Airbus, wie derzeit bei der Auseinandersetzung um die geplante Neuausrichtung des Konzerns. Die deutschen Arbeitnehmervertreter befürchten eine Zerschlagung der in Augsburg sitzenden Zuliefertochter Premium Aerotec, ja sogar ein langfristiges Aus für den Augsburger Standort, wenn die Einzelteilefertigung verkauft würde.

    Schöllhorn: Seit zwölf Jahren ist Premium Aerotec nicht richtig aufgestellt. Das Unternehmen häuft seit zwölf Jahren Verluste an. Ohne genaue Zahlen nennen zu wollen, kann ich doch sagen: Diese Verluste liegen im Milliardenbereich. Arbeitnehmervertreter und wir – alle sind sich einig: Es muss etwas bei Premium Aerotec passieren. In Anbetracht der erheblichen Investitionen, die wir etwa für die Wasserstofftechnologie aufbringen müssen, können wir uns diese Verluste nicht leisten. Jetzt brauchen wir eine vernünftige Lösung, die uns in die Zukunft trägt. Und unser Zeitfenster, etwas zum Positiven zu verändern, ist – bei den noch niedrigen Produktionsraten – jetzt.

    Aber eine vernünftige Lösung darf doch nicht, wie Betriebsräte befürchten, zu einer Zerschlagung und einem Ausbluten des Augsburger Standortes führen?

    Schöllhorn: Nach meiner tiefsten Überzeugung besteht für mich eine vernünftige Lösung darin, dass sie industriell wettbewerbsfähig und damit nachhaltig ist. Nur das sichert langfristig Kompetenzen und Mitarbeiter am Standort.

    Doch was passiert dann mit den noch rund 2800 Mitarbeitern in Augsburg?

    Schöllhorn: Eine vernünftige Lösung muss für mich gleichzeitig auch sozial sein und Perspektiven für die Mitarbeiter eröffnen. Wir wollen rund 80 Prozent von Premium Aerotec unter dem Airbus-Dach erhalten, ja sogar noch näher an uns heranziehen.

    Doch 20 Prozent, also die Einzelteilefertigung, könnte an einen Investor gehen. In Augsburg arbeiten aber überdurchschnittlich viele Beschäftigte in der Einzelteilefertigung, eben etwa 2200 von 2800.

    Schöllhorn: Wir als Airbus glauben aber nicht, dass wir der bessere Eigentümer für diese insgesamt Verluste schreibende Einzelteilefertigung sind. Deswegen suchen wir einen starken Partner, dem es eine Herzensangelegenheit ist, genau in diese Technologien zu investieren.

    Ist denn der Verkauf der einzige Weg?

    Schöllhorn: Noch ist nichts entschieden. Wir sprechen weiter mit den Arbeitnehmervertretern und prüfen – auf ihren Wunsch – auch ein Szenario eines Verbleibs der Einzelteilefertigung bei Airbus. Wir verstehen die Sorgen der Arbeitnehmervertreter, schließlich gab es im Augsburger Raum auch negative Erfahrungen mit solchen Verkäufen. Deshalb untersuchen wir ebenso eingehend, wie das Einzelteilegeschäft so betrieben werden kann, dass es wettbewerbsfähig ist.

    Wie geht das?

    Schöllhorn: Das funktioniert für komplexere Arbeiten, für die das deutsche Lohngefüge passt. Doch wir haben in Augsburg noch zu viele Bauteile, für die das nicht funktioniert. Hier könnte uns ein starker Partner helfen, der den Zugang zu einer weiteren Industrie öffnet und Investitionskapazität mit sich bringt. Klar ist: Wir können in Augsburg und auch an anderen Premium-Aerotec-Standorten nicht einfach so weitermachen. Das sehen auch die Arbeitnehmervertreter und Mitarbeiter so.

    Was heißt das konkret?

    Schöllhorn: Wenn nach eingehender Prüfung das Augsburger Luftfahrtwerk doch in Gänze Airbus werden sollte, steht aber auch fest: Das wird nicht ohne Schmerzen, nicht ohne Anpassungen zu höherwertigen Arbeiten erfolgen, wobei weiterhin einfachere Arbeiten an andere Zulieferer verlagert werden müssten.

    Zuletzt hieß es bei Airbus, ein möglicher Partner müsse nicht aus der Luftfahrtindustrie kommen, sondern könne auch aus der Autozulieferbranche stammen.

    Schöllhorn: Es wäre der Idealfall, wenn ein solcher Partner auch den Zugang zu einer weiteren Industrie mit sich bringen würde, etwa der Autoindustrie. So würden die Stückzahlen größer, Teile günstiger und das Geschäft wettbewerbsfähiger. Das könnte womöglich auch ein Mittelständler aus Deutschland leisten.

    Sind nach dem Einstieg eines Investors dann weitere Arbeitsplätze in Augsburg gefährdet?

    Schöllhorn: Wenn ein Investor einsteigt, werden wir uns für entsprechende Standort- und Beschäftigungsgarantien einsetzen. Dazu werden wir auf jeden Fall, bevor ein Vertrag abgeschlossen wird, Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern und einem möglichen Investor führen. Wichtiger als der Verkaufspreis ist für uns die nachhaltige Strategie, die ein Investor hat. Die Nachhaltigkeit des Standortes ist für uns zentral.

    Die Corona-Krise hat Airbus ja maximal hart gebeutelt.

    Schöllhorn: Doch wir haben nach einer Lagebeurteilung, um es militärisch zu sagen, die richtige Entscheidung getroffen, die Produktion um 40 Prozent nach unten anzupassen. Wir haben eine Führungsfunktion für die ganze Industrie übernommen, also auch für die Zulieferer. Ohne unsere schnelle Anpassung hätte die Sache deutlich schlimmer ausgehen können. Und wir haben zu Beginn der Pandemie sogar etwas mehr Flieger gebaut, als wir ausliefern konnten. Das war unser Beitrag, die Branche und die Zulieferkette zu stabilisieren. Das hat viel Geld gekostet, aber es war wichtig für uns, das „Ökosystem“ mit den Zulieferern für den Wiederhochlauf nach der Krise beieinanderzuhalten.

    Und Sie haben angekündigt, bis zu 15.000 Arbeitsplätze abzubauen. Bleibt es dabei, dass all diese Stellen ohne Kündigungen, also etwa mit Altersteilzeit oder gegen freiwillige Abfindungen, wegfallen?

    Schöllhorn: Uns ist es gelungen, den Prozess komplett sozialverträglich, eben ohne Kündigungen zu gestalten. Wir mussten reagieren, weil klar war, dass der Rückgang in der Luftfahrt kein kurzzeitiges Phänomen sein würde, sondern länger andauert. Uns war klar, dass Airlines ihre Aufträge insbesondere für kleinere und mittlere Flugzeuge der A320-Reihe nicht streichen, sondern nur verschieben. So war es unser Ziel, unsere gut ausgebildeten Mitarbeiter so weit wie nur möglich an Bord zu halten. Über sozial verträgliche Lösungen haben wir uns also nur in dem Maße von Beschäftigten getrennt, wie es notwendig war, damit Airbus überleben konnte. Natürlich hat uns die Kurzarbeit geholfen und wir sind unseren Regierungen für die Unterstützung hier überaus dankbar. Was indes hart für einige Betroffene war: Wir mussten uns von Leiharbeitern trennen und haben befristete Verträge nicht verlängern können.

    Inzwischen geht es mit der Branche wieder aufwärts. Erholt sich die Luftfahrtindustrie schneller als gedacht?

    Schöllhorn: Die Flieger werden voller. Es sind wieder mehr Flugzeuge unterwegs. Natürlich wissen wir nicht, wie sich die Situation mit der Corona-Delta-Variante weiterentwickelt. Aus heutiger Sicht gehen wir davon aus, dass sich Kurz- und Mittelstreckenflüge schneller erholen werden. Das hilft uns für unsere Flugzeuge der A220- und A320-Baureihe.

    Und wie sieht es für die Langstrecke aus?

    Schöllhorn: Für die Langstrecke werden die Flieger zwar wieder aus den Parkpositionen genommen, die Fluggesellschaften kaufen aber kaum neue Flugzeuge. Die Hersteller leben hier also vom Auftragsbestand. Hier wird die Krise vermutlich noch einige Jahre andauern. Wir rechnen für den Markt der kleineren und mittleren Flugzeuge, dass wir etwa wieder 2023 das Vor-Corona-Niveau erreichen, für Langstreckenflugzeuge der A330- und A350-Familie gehen wir frühestens 2025 vom Erreichen dieses Niveaus aus.

    Doch zuletzt scheint die Zuversicht bei Airbus gewachsen zu sein.

    Schöllhorn: Wir sind optimistischer als noch vor drei, vier Monaten. Im zweiten Quartal 2023 wollen wir wieder 64 Flugzeuge der A320-Familie pro Monat bauen und damit mehr als vor der Krise (als es 63 waren). Aktuell sind wir bei etwas über 40 Maschinen. Nun gehen wir relativ steil Richtung 60 und mehr.

    Ist das nicht zu optimistisch? Schließlich werden Geschäftsleute, die sich an digitale Meetings gewöhnt haben, nicht mehr in dem Maße fliegen.

    Schöllhorn: Experten schätzen, dass wir zehn bis höchstens 20 Prozent der Business-Flüge nach Corona verlieren. Zu Beginn der Krise war man hier pessimistischer. Doch wir merken, dass in Unternehmen die Einsicht reift, dass sich bei vielen Themen wie Vertragsgesprächen die Beteiligten tatsächlich treffen müssen. Und wir glauben, dass es auch im privaten Bereich kurzfristig einen Nachholeffekt gibt, also mehr Menschen fliegen. Fliegen ist ja ein Beitrag zur Völkerverständigung. Menschen wollen reisen, andere Länder erleben und Menschen treffen.

    Das wird auf Dauer nur funktionieren, wenn Flugzeuge umweltfreundlicher unterwegs sind.

    Schöllhorn: Die Luftfahrt hat nur eine Zukunft, wenn wir sie dekarbonisieren, also eine Abkehr vom Kohlenstoff vollziehen. Das ist ein Muss. Auf dem Weg dahin setzen wir zunächst auf Effizienzsteigerungen und nachhaltigere Flugtreibstoffe. Am Ende ist aber Wasserstoff die Energie, mit der wir das Ziel des emissionsfreien Fliegens am besten erreichen können. Deswegen wollen wir als Pionier 2035 das erste mit Wasserstoff betriebene Serienflugzeug in die Luft bringen. Wir wollen klimafreundlich fliegen.

    Wie verändert Wasserstoff die Architektur von Flugzeugen?

    Schöllhorn: Die wesentliche technologische Herausforderung liegt darin, Wasserstoff sicher in Fliegern zu speichern. Wir brauchen dafür bei flüssigem Wasserstoff ein viermal so großes Tankvolumen wie bei Kerosin. Heute wird Kerosin überwiegend in den Flügeln gespeichert. Doch bei Wasserstoffflugzeugen wandert der Tank in den Flugzeugrumpf, der damit länger und breiter wird. Wir müssen also die Flugzeuge rund um den Wasserstoffrumpf bauen. Und gerade deswegen ist das Heranrücken der Rumpfaktivitäten an unser Kerngeschäft so wichtig und genau deshalb verfolgen wir die früheren Verkaufspläne nicht weiter.

    Wird dann das Wasserstofffliegen teurer für Passagiere?

    Schöllhorn: Wie bei allen neuen Technologien ist das zunächst mit höheren Investitionen verbunden. Wir sind aber zuversichtlich, die Kosten durch entsprechend höhere Stückzahlen in den Griff zu bekommen. Natürlich gibt es dann keine 20-Euro-Tickets nach Mallorca mehr.

    Müsste man nicht schon heute innerdeutsche Kurzstreckenflüge etwa von München nach Köln oder Frankfurt nach Berlin einstellen und auf die Bahn verlagern?

    Schöllhorn: Wir setzen uns hier für mehr Realismus ein: Denn Kurzstreckenflüge unter 500 Kilometern sind für weniger als 1,5 Prozent der Gesamtemissionen im Transportwesen verantwortlich. Uns ist aber auch klar: Wir müssen auch Kurzstreckenflüge dekarbonisieren. Wir denken aber, dass dies uns schneller gelingen wird, als es möglich ist, Bahnstrecken so weit auszubauen, dass alle Kurzstreckenpassagiere aufgenommen werden könnten.

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