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Europa: Historischer Federstrich

Europa

Historischer Federstrich

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    Hans-Dietrich Genscher (links) und Theo Waigel am 7. Februar 1992.
    Hans-Dietrich Genscher (links) und Theo Waigel am 7. Februar 1992. Foto: dpa

    „Dieser Vertrag stellt eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas dar.“ (Vertrag von Maastricht, Artikel A) Es ist nicht lange her, dass Theo Waigel jenen Füllfederhalter heraussuchen musste, mit dem er vor genau 20 Jahren – am 7. Februar 1992 – den Vertrag von

    Füller von Genscher gestohlen

    Denn letztes Jahr, als Einbrecher in das Haus von Hans-Dietrich Genscher eindrangen, erbeuteten sie nicht nur Schmuck, sondern auch jenes identische Schreibgerät, mit dem Genscher damals unterzeichnete. „Kurz danach rief Genscher bei mir an und bat, ob er ein Foto meines Füllers haben kann“, erinnert sich Waigel. Grund: „Die Kriminalpolizei brauchte ein Foto für die Fahndung.“

    Es ist nur eine Anekdote. Und doch hat die Wertschätzung des Ex-Außenministers Genscher und des Ex-Finanzministers Waigel für ihre Füller mit dem Schriftzug „Maastricht 7-2-1992“ einen Grund. Der Vertragsschluss gilt als größter Schritt der Integration seit den Römischen Verträgen in den 50er Jahren. Mit ihm rücken Europas Staaten eng zusammen und ein neuer Spieler betritt die Weltbühne: die Europäische Union. Die Idee der Unionsbürgerschaft wird geboren, die Rechte des Parlaments gestärkt. Das neue Gebilde ruht auf drei Pfeilern: dem gemeinsamen Markt, einer gemeinsamen Außenpolitik und der polizeilichen Zusammenarbeit. Eine Weichenstellung aber wird Europa am meisten prägen: die Einführung der europäischen Währung.

    Der Vertrag von Maastricht ist ein Kind jener Zeit, als Berliner Mauer und Eiserner Vorhang fallen, als die Bürger im Osten des Kontinents ihre Freiheit zurückerobern und im Herzen Europas ein wiedervereinigtes, größeres Deutschland entsteht. Kanzler Helmut Kohl ist es, der den Sorgen der Nachbarn mit einem Bekenntnis zu einer tieferen Integration Europas begegnet.

    Der Euro fand bereits in den 80er Jahren Fürspecher

    Die gemeinsame Währung hat bereits Ende der 80er Jahre Fürsprecher gefunden. Die deutsche Wirtschaft plagt die teure D-Mark, da Peseta und Lira abwerten, auch Frankreich will den heftigen Wechselkursschwankungen ein Ende setzen. Nur Großbritannien bleibt außen vor. „Ich denke, wir haben genug Souveränität aufgegeben“, stellt Premierministerin Margaret Thatcher klar.

    Eine gemeinsame Währung kommt für Deutschland nur infrage, falls sie genauso hart wird wie die D-Mark. Geht es nach Frankreich, Italien oder der Kommission könnten die Regeln ruhig weicher sein. Am Ende sitzt Deutschland am längeren Hebel. Die Zentralbank bekommt ihren Sitz in Frankfurt, nicht in Brüssel oder Paris, die neue Währung heißt Euro, nicht Ecu, das Ziel der EZB lautet Inflationsbekämpfung, für den Beitritt gelten feste Kriterien, darunter: keine Neuverschuldung über drei Prozent, kein Budgetdefizit über 60 Prozent.

    Auf einem Gipfel im niederländischen Maastricht Anfang Dezember 1991 beschließen die Staats- und Regierungschefs die letzten Details. Am 7. Februar 1992 unterschreiben dort Außenminister Hans-Dietrich Genscher und Finanzminister Theo Waigel für Deutschland den Vertrag. Am 1. Januar 1999 führt Europa den Euro ein, ab dem 1. Januar 2002 gibt es das neue Bargeld.

    Waigel hält Aufnahme Griechenlands für Fehler

    Der Weg vom nationalen Geld zur gemeinsamen Währung in Europa

    Seit 2002 ist der Euro offizielles Zahlungsmittel. In Deutschland hatte der Euro vom Start weg bei den Menschen einen schwierigen Stand, rasch machte das Wort «Teuro» die Runde. Die wichtigsten Etappen auf dem bisherigen Weg zum Euro als EU-Gemeinschaftswährung:

    1. Juli 1987: Das Ziel Währungsunion wird im EG-Vertrag verankert.

    7. Februar 1992: Unterzeichnung des EU-Vertrages von Maastricht, der die Währungsunion bis 1999 vorsieht und Beitrittskriterien festlegt.

    1. November 1993: Ratifizierung des Maastricht-Vertrages. Aus den Europäischen Gemeinschaften (EG) wird die Europäische Union (EU).

    Dezember 1995: Als Einheiten der neuen Währung werden Euro und Cent festgelegt.

    16./17. Juni 1997: Verabschiedung des Stabilitäts- und Wachstumspakts in Amsterdam. Einigung auf die «europäische Seite» für die Münzen.

    25. März 1998: Die EU-Kommission und das Europäische Währungsinstitut (EWI), Vorläufer der Europäischen Zentralbank (EZB) empfehlen elf Länder für den Start der Währungsunion. Außen vor bleiben aus freien Stücken Großbritannien, Dänemark, Schweden sowie Griechenland, das die Kriterien noch nicht erfüllt.

    1. bis 3. Mai 1998: Ein Sondergipfel der EU-Gremien gibt in Brüssel grünes Licht für den Euro. Die Staats- und Regierungschefs bestimmen den 1. Januar 1999 als Start der Währungsunion.

    31. Dezember 1998: Die Wirtschafts- und Finanzminister der EU legen den Umrechnungskurs des Euro zu den elf Teilnehmerwährungen endgültig fest. Danach ist ein Euro 1,95583 D-Mark wert.

    1. Januar 1999: Der Euro wird gemeinsame Währung der elf Länder. In Euro bezahlt werden kann per Scheck, Kredit- oder EC-Karte. Das alte nationale Geld bleibt noch das allein gültige Zahlungsmittel.

    4. Januar 1999: Die Finanzmärkte nehmen den Handel mit Euro auf.

    Juli 1999: Die Herstellung des neuen Bargelds läuft an.

    1. Januar 2001: Griechenland wird nach Erfüllung der Beitrittskriterien zwölftes Euroland-Mitglied - allerdings mit frisierten Haushaltszahlen, wie sich später herausstellt.

    1. September 2001: Beginn der Ausgabe von Noten und Münzen an Banken und Handel.

    1. Januar 2002: Der Euro wird gesetzliches Zahlungsmittel.

    1. März 2002: Die D-Mark verliert ihre Gültigkeit, kann aber weiterhin gegen Euro eingetauscht werden.

    1. Mai 2004: Zehn Länder in Mittel- und Osteuropa sowie im Mittelmeerraum werden neue EU-Mitglieder. Sie müssen die Gemeinschaftswährung übernehmen, sobald sie die Konvergenzkriterien erfüllen.

    1. Januar 2007: Als erster der neuen EU-Staaten wird Slowenien 13. Mitgliedsland der Euro-Zone. Ein Beitrittsgesuch Litauens wird hingegen von der EU-Kommission wegen überhöhter Inflation abgelehnt.

    1. Januar 2008: Malta und die Republik Zypern führen den Euro ein.

    1. Januar 2009: Die Slowakei führt den Euro ein.

    Frühjahr 2010: Griechenland kommt in immer größere Finanznöte und muss als erstes Euroland Milliardenhilfen beantragen. Damit nimmt eine Schuldenkrise ihren Lauf, die sich trotz neuer Milliarden-Hilfspakete auch für Irland und Portugal bis Ende 2011 dramatisch verschärft.

    1. Januar 2011: Zum Auftakt des schlimmsten Krisenjahres führt Estland den Euro ein - als erste frühere Sowjetrepublik. Damit leben gut 330 Millionen Menschen im Euro-Raum mit 17 Mitgliedsländern.

    Heute kämpft Europa um die Stabilität seiner Währung. Für Theo Waigel hätte dies vermieden werden können: Ein Fehler war für ihn, Griechenland in den Euro-Raum aufzunehmen, wie es nach seiner Amtszeit entschieden worden ist. Der zweite große Fehler sei gewesen, dass Deutschland zur Zeit der rot-grünen Bundesregierung den Stabilitätspakt aufweichte, weil es die Verschuldungsregeln nicht einhalten konnte. Dieses Signal habe die Stabilitätskultur stark beschädigt: „Der Euro hat keinen Geburtsfehler, er hat einen Erziehungsfehler“, sagt Waigel heute.

    Trotz allem ist sich der frühere Finanzminister sicher, dass am 7. Februar 1992 in Maastricht die richtigen Weichen gestellt worden sind: „Ich würde wieder unterschreiben“, erklärt Waigel. Der heimischen, schwäbisch-oberbayerischen Landwirtschaft und der Exportbranche bringe der Euro Milliardenvorteile. Und er erinnere sich gut an das, was sein Sohn Christian am Abend nach der Vertragsunterzeichnung zu ihm zuhause sagte: „Er sagte: ,Was ihr heute unterzeichnet habt, ist unglaublich wichtig für Generationen.‘ Das hat mich sehr beeindruckt.“

    Übrigens ist auch Genschers Füller wieder aufgetaucht. Ein halbes Jahr nach dem Einbruch schickten die reuigen Einbrecher das historische Schreibgerät per Post zurück.

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