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Interview: Ergo-Chef schließt bis 2020 betriebsbedingte Kündigungen aus

Interview

Ergo-Chef schließt bis 2020 betriebsbedingte Kündigungen aus

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    „Gespräche an der Basis geben mir ein Gefühl für wichtige Themen.“ Achim Kassow wurde einst als Commerzbank-Chef gehandelt. Seit Januar 2017 steht er an der Spitze des Ergo-Vorstands.
    „Gespräche an der Basis geben mir ein Gefühl für wichtige Themen.“ Achim Kassow wurde einst als Commerzbank-Chef gehandelt. Seit Januar 2017 steht er an der Spitze des Ergo-Vorstands. Foto: Ergo

    Herr Kassow, Spitzen-Managern, gerade aus der Finanz-Branche, wird immer wieder zu wenig Bodenhaftung nachgesagt. Was unternehmen Sie dagegen?

    Achim Kassow: Mir ist es wichtig, nicht nur mit meinem Führungsteam zu reden, sondern mit möglichst allen: Mitarbeitern, Vertriebspartnern und Kunden. Deshalb habe ich auf meinem Weg zu Ihnen vorher noch ohne große Voranmeldung einen Zwischenstopp in unserer Augsburger Niederlassung eingelegt. Das Gespräch mit den Mitarbeitern gibt mir ein Gefühl für die Stimmung dort. Und das erdet ungemein. Die Zahlen kenne ich ja.

    Was haben Sie von den Mitarbeitern in Augsburg gelernt?

    Kassow: Dass dies eine Region mit Vollbeschäftigung ist. Und dass unsere Teams gut unterwegs sind, fand ich durch einen Blick auf die Schreibtische der Kollegen bestätigt.

    Wie das denn?

    Kassow: Die Schreibtische waren schon früh am Morgen voll bepackt. Um Nachfrage, also um Geschäftsmöglichkeiten müssen wir uns hier in der Region keine Sorgen machen. Solche Erfahrungen sind für mich extrem wichtig. In Düsseldorf an meinem Schreibtisch kann ich zwar Zahlen lesen und meine Schlüsse daraus ziehen, aber es ist etwas völlig anderes, wenn man vor Ort mit den Mitarbeitern über das Geschäft spricht.

    Können Sie ein Beispiel nennen?

    Kassow: Ich wurde in Augsburg mit einem interessanten Fall konfrontiert. Es ging darum, ein großes, kerngesundes Unternehmen aus der Region zu versichern. Bei uns gibt es die Regel, bei der Versicherungssumme nur bis zu einem festgesetzten Limit zu gehen, um das Risiko besser streuen zu können. In diesem speziellen Fall hätte es aber auch mehr sein können. Ich werde jetzt in unserer Zentrale in Düsseldorf mit meinen Vorstandskollegen besprechen, ob wir nicht bei solchen Musterbetrieben eine höhere Zeichnung ermöglichen können. Derartige Gespräche an der Basis geben mir ein Gefühl für wichtige Themen.

    Persönliche Kontakte könnten in der Wirtschaft eine immer untergeordnete Rolle spielen, wenn immer mehr Entscheidungen automatisiert werden, etwa die Frage, wie viel ein bestimmter Versicherungskunde zahlen soll. Was haben Sie für ein Gefühl dabei?

    Kassow: Ich finde diese Entwicklung genau richtig.

    Wirklich?

    Kassow: Ja. Denn als Betroffener wünscht man sich doch, dass Entscheidungen nach stets nachvollziehbaren Kriterien gefällt werden. Die Bedingungen einer Versicherung im Einzelfall sollen schließlich nicht von der subjektiven Entscheidung eines einzelnen Menschen abhängen. Automatisierte und digitalisierte Prozesse sind objektiver. Vorurteile lassen sich ausschalten. Algorithmen helfen unseren Mitarbeitern, schnellere und bessere Entscheidungen zu treffen.

    Setzt die Versicherungsbranche heute schon im Tagesgeschäft Künstliche Intelligenz ein?

    Kassow: Klar. Künstliche Intelligenz unterstützt uns dabei, große Datenmengen auszuwerten und herauszufinden, welche Angebote wir unseren Kunden konkret machen können. Das ist auf jeden Fall sinnvoller, als Menschen einfach unspezifisch mit Werbebriefen zu überfluten. Mich persönlich nervt so etwas. Freizeit ist kostbar, die will ich mit meiner Familie verbringen. Wir brauchen also die Daten unserer Kunden, denn je bessere Daten wir haben, desto präziser können wir Kunden passgenaue Angebote machen.

    Die fortlaufende Automatisierung führt zu herben Job-Verlusten. Wie hart trifft es Ergo?

    Kassow: Das letzte Geschäftsjahr haben wir nach Verlusten wieder mit einem Gewinn nach Steuern von rund 270 Millionen Euro abgeschlossen. Unser Ziel ist ein Gewinn von 600 Millionen im Jahr 2021. Das schaffen wir. Allerdings müssen wir in Deutschland rund 2000 von etwa 16 000 insgesamt Arbeitsplätzen abbauen. Drei Viertel dieses Weges, der für die Betroffenen auch schmerzhaft sein kann, haben wir schon hinter uns.

    Warum haben Sie so viele Stellen gestrichen?

    Kassow: Das liegt vor allem an den großen Verwaltungseinheiten. Ergo ist aus vielen einzelnen Versicherern wie etwa der Victoria oder der Hamburg-Mannheimer entstanden. Da gab es einige Doppelstrukturen. Hinzu kommt die Automatisierung, die bei vergleichsweise einfachen Produkten wie einer Kfz- oder Zahnzusatzversicherung besonders zu Buche schlägt. Wir haben aber nicht nur Kosten gesenkt, sondern unseren Mitarbeitern nach diesen Einschnitten eine Perspektive und damit Sicherheit gegeben.

    Wie schaffen Sie Sicherheit für Mitarbeiter, wo Sie doch parallel weiter Arbeitsplätze abbauen?

    Kassow: Wir haben mit Betriebsräten und Gewerkschaften einen sozialen Ordnungsrahmen für die Mitarbeiter vereinbart. Wir haben also eine Reihe von Eckpfeilern gesetzt, die den Beschäftigten Sicherheit geben sollen. Dazu verzichten wir bis Ende 2020 auf betriebsbedingte Kündigungen, werden die großen Verwaltungsstandorte nicht antasten und auch die Zahl der Regionaldirektionen nicht verringern, sofern die ihre Neugeschäftsziele nicht wesentlich verfehlen. Außerdem verdoppeln wir die Zahl der Auszubildenden. Wichtig ist mir zu vermitteln, dass wir den notwendigen Wandel gemeinsam mit unseren Mitarbeitern gestalten.

    Wie stark leidet die Versicherungsbranche unter der Nullzins-Politik der Europäischen Zentralbank?

    Kassow: Am meisten spüren die Lebensversicherungs-Kunden die Nullzinspolitik der EZB.

    Ist die Lebensversicherung tot?

    Kassow: Nein, ganz und gar nicht. Kein Produkt kann so flexibel und langfristig wie die Lebensversicherung Einkommen absichern. Die Produkte müssen eben nur so konstruiert sein, dass Kunden damit in den unterschiedlichsten Lebenssituationen klarkommen. Jemand aus der jungen Generation will sich nicht für 30, 40 Jahre an ein starres Konzept binden. Wir sind überzeugt, dass kapitalmarktorientierte Produkte ein hervorragendes Ergebnis bieten. Kunden erwarten eine gesunde Mischung aus Rendite und Sicherheit. Es gibt ein Verständnis dafür, dass mehr Rendite auch weniger Sicherheit bedeuten kann. Die klassische alte Lebensversicherung bieten wir nicht mehr an, aber die Altverträge erfüllen wir natürlich weiter.

    Sie haben sogar überlegt, ihren Bestand von rund sechs Millionen alten Lebensversicherungen zu verkaufen, was sofort heftige Kritik provozierte. Warum hat Ergo diese Policen dann doch behalten?

    Kassow: Wir haben verschiedene Optionen geprüft, wie wir mit den klassischen Lebensversicherungen umgehen sollen. Am Ende haben wir uns für einen anderen Weg als den Verkauf entschieden. Wir bauen jetzt gemeinsam mit IBM eine Plattform auf, um diese Lebensversicherungsbestände zu verwalten. Diese Plattform werden wir möglicherweise auch für andere öffnen.

    Achim Kassow, 52, ist seit Januar 2017 Vorstandsvorsitzender der Ergo Deutschland AG. Vor seiner Ergo-Zeit verantwortete er für die Allianz Deutschland die Regionalleitung Süd. Der gelernte Bankkaufmann und promovierte Wirtschaftswissenschaftler war für die Deutsche Bank, die Deutsche Bank 24, die Comdirect Bank, die Commerzbank und die Oldenburgische Landesbank tätig. Kassow wurde sogar einmal als Commerzbank-Chef gehandelt. Es kam aber anders.

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