Es sind schockierende Zahlen, die die Linksfraktion im Bundestag da zu Tage gefördert hat. Nach einer Auswertung des Statistischen Bundesamtes zahlen Menschen, die sehr viel Vermögen erben, kaum Steuern. Oder genauer gesagt: Wer zwischen einer Million und zehn Millionen Euro Vermögen vererbt oder geschenkt bekam, zahlte 2018 im Schnitt zehn Prozent Steuern. Wer zwischen zehn und 100 Millionen Euro vererbt oder geschenkt bekam, zahlte etwa 5,5 Prozent Steuern.
Für Dietmar Bartsch, Vorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag, ist das ein Skandal. Er sagt: "Deutschland ist für Milliardäre und Multimillionäre ein Steuerparadies. Es ist extrem ungerecht, dass Kinder in Armut leben müssen, die Infrastruktur teilweise marode ist, Rentner immer mehr zur Kasse gebeten werden und superreiche Erben und Beschenkte kaum Steuern auf astronomische Summen zahlen müssen."
Da stellt sich die Frage: Wie kommt das? Warum sinkt der Steuersatz, wenn das vererbte - oder verschenkte - Vermögen zunimmt?
Erbschaftssteuer: Wer von seinem Ehepartner Vermögen erbt, hat einen hohen Freibetrag
Ein Anruf bei Professor Christoph Spengel. Er unterrichtet Betriebswirtschaftslehre und betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Universität Mannheim, forscht am Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und hat das Bundesfinanzministerium unter anderem zum Thema Erbschaftssteuer beraten. Wenn jemand erklären kann, wie diese Zahlen zustande kommen, dann er.
Der Mannheimer Professor erklärt: Wird Vermögen vererbt, gibt es je nach Verwandtschaftsgrad einen gewissen Freibetrag. Verstirbt etwa der Ehepartner, ist Vermögen bis zu einem Wert von 500.000 Euro steuerfrei. Kinder, deren Eltern ihnen etwas vererben, bezahlen bis zu einem Betrag von 400.000 Euro keine Steuern. Das gilt für Bargeld, Immobilien und andere Wertgegenstände. Auch das eigene Wohnhaus muss nicht versteuert werden. Ist der Steuerfreibetrag überschritten, steigt die Steuer schrittweise an. Ab einem vererbten Vermögen von 26 Millionen Euro beträgt sie 30 Prozent.
Ein Rechenbeispiel: Angenommen eine Frau hinterlässt ihrem Gatten ein Barvermögen von zwei Millionen Euro. Dann müsste er auf 1,5 Millionen Euro Steuern zahlen, und zwar 15 Prozent.
Das alles ändert sich aber, wenn Betriebsvermögen vererbt wird. Also Unternehmen. Für diese gelten spezielle Erbschaftssteuer-Regeln. Wird ein vererbtes Unternehmen mindestens sieben Jahre nach dem Erbfall weitergeführt und ist bis zu 26 Millionen Euro wert, zahlt der Erbe keine Steuern. Null Prozent. Danach steigt der Steuersatz schrittweise an. Ab einem Wert von 90 Millionen Euro muss auch für den Unternehmenswert komplett Steuer gezahlt werden. Es gibt aber eine Ausnahme, sagt Spengel.
Der niedrige Erbschaftssteuersatz lässt sich erklären, weil es ein Durchschnittswert ist
Wenn der zu zahlende Erbschaftssteuerbetrag so groß wäre, dass der Erbe dafür mehr als die Hälfte seines Barvermögens aufwenden müsste, wird ihm die Steuer erlassen. Komplett. "Das ist schon krass", sagt Spengel. Dieser Fall sei zwar ziemlich unwahrscheinlich, aber nicht komplett auszuschließen. "Das ist wie Hartz IV für Multimillionäre", sagt der Professor.
Und so erklärt er auch den niedrigen Steuersatz, den die Linksfraktion herausgefunden hat. Zum einen ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich bei einer Erbschaftssumme von zehn bis 100 Millionen Euro, Betriebe unter den Erbschaften befinden. Bei einer Erbschaft von einer bis zehn Millionen könnten hingegen prozentual mehr andere Erbschaften dabei sein - also Immobilien oder Barvermögen, die ja voll versteuert werden müssen.
Der Rest ist Statistik. Von den 162 Menschen, die 2018 ein Vermögen von zehn bis 100 Millionen Euro vererbt bekommen haben, dürfte vermutlich die überwiegende Mehrheit einen Betrieb vererbt bekommen haben, der weniger als 26 Millionen Euro wert war. Das heißt, das Erbe war steuerfrei. Nur ein geringer Prozentsatz hätte demnach überhaupt Steuern auf den Nachlass zahlen müssen. Doch im Durchschnittswert werde das nicht berücksichtig. Die gezahlte Steuer wird auf alle Erben verteilt.
Gutachten: Erbschaftssteuersatz sollte für alles bei zehn Prozent liegen
Darüber ob das Steuermodell nun gerecht oder ungerecht ist, möchte Spengel nichts sagen. "Das Argument dafür ist, dass Arbeitsplätze an den Betrieben hängen", sagt er. Dietmar Bartsch von der Linksfraktion hat dazu natürlich eine ganz andere Meinung: "Das Aufkommen aus der Erbschaftssteuer muss vervielfacht werden. Es gibt keinen vernünftigen Grund, Superreiche mit Samthandschuhen anzufassen und aus ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu lassen. Letztlich brauchen wir eine große Steuerreform, die Steuergerechtigkeit herstellt", sagt er.
Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) sieht das ein wenig anders. Die Befreiung von der Erbschaftssteuer soll den Bestand eines Unternehmens und die damit verbundenen Arbeitsplätze sichern, heißt es von dort. Betriebsvermögen sei in der Regel nicht frei verfügbar - sondern gebunden, etwa in Gebäuden oder Maschinen. Würde es mit Erbschaftsteuer belastet, würde die Substanz der Unternehmen angegriffen, argumentiert der Verband mit. "Insoweit vertritt der ZDH die Auffassung, dass die Freistellung von Erbschaftssteuer beim Übergang betrieblichen Vermögens gerechtfertigt und notwendig ist. Würden die Verschonungsregeln aufgehoben, wären viele Betriebe im Falle eines Betriebsübergangs existenziell gefährdet", teilt der Verband mit.
Und auch Christoph Spengel macht einen Gegenvorschlag: "Für das Bundesfinanzministerium habe ich mit anderen Experten ein Gutachten erarbeitet. Darin haben wir empfohlen, alles Erbe gleich zu besteuern. Und das sehe ich auch heute noch so", sagt er. Wolle der Bund demnach am heutigen Steueraufkommen durch Erbschaften festhalten, müsste der Steuersatz auf alles, was vererbt wird - also Barvermögen, Immobilien und Firmen - bei etwa zehn Prozent liegen. "Das Problem ist nur: Wenn eine Bundesregierung sagt: Wir senken den Spitzensteuersatz bei der Erbschaftssteuer von 30 auf zehn Prozent, wird das nicht gut ankommen", sagt Spengel. "Dabei wäre es doch besser, man hätte zehn Prozent auf alles als 30 Prozent auf nichts."
Lesen Sie dazu auch unseren großen Report: Sind Erbschaften gerecht - oder nicht?
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