Unternehmer aus der Region sind alarmiert: Aus Angst vor explodierenden Stromkosten im Zuge der Energiewende haben sich laut Angaben der IHK Schwaben rund 800 von ihnen an einer Unterschriftenkampagne beteiligt und diese gestern Nachmittag auf einer Veranstaltung im Technologiezentrum Nördlingen der bayerischen Wirtschaftsministerin Ilse Aigner übergeben – ein ungewöhnlicher Schritt.
Grund für die Aktion ist ein Gesetzvorhaben, das möglicherweise in der kommenden Woche vom Bundestag verabschiedet werden könnte. Das „Netzentgelt-Modernisierungsgesetz“ soll dafür sorgen, dass Netzentgelte künftig bundeseinheitlich erhoben werden können und nicht mehr wie bisher regional. Bislang zahlen Firmen und Verbraucher in Nord- und Ostdeutschland, wo viele Windräder stehen und somit höhere Kosten für Netzausbau- und Steuerung anfallen, mehr als im Westen und Südwesten. Besonders ostdeutsche Bundesländer drängen daher auf eine Angleichung. Die Unterzeichner der von der IHK Schwaben initiierten Unterschriftenaktion hingegen haben Sorge, dass sich das Gesetz auf sie negativ auswirken könnte.
Der Hintergrund: Vier Betreiber organisieren derzeit das deutsche Stromnetz. Bayerisch-Schwaben liegt in der Zone eines Betreibers, der vergleichsweise niedrige Netzentgelte erhebt. Hartmut Wurster, stellvertretender Präsident der IHK Schwaben, befürchtet, dass sich durch die geplante Verordnung zur Vereinheitlichung der Netzentgelte daran etwas ändern könnte. Er schätzt: „Bei einer bundesweiten Angleichung der Entgelte könnten für Unternehmen in der Region Kostensteigerungen bis zu 60 Prozent entstehen. Über zehn Jahre hinweg wären das Mehrkosten von bis zu 300 Millionen Euro.“
IHK-Mann Wurster bedauert, dass die Unternehmen in Bayern nicht geschlossen auftreten. Denn der Großteil des Freistaats liegt im Bereich eines verhältnismäßig teuren Netzbetreibers und würde von einer Vereinheitlichung der Entgelte profitieren. Mit der Unterschriftenaktion hofft er, Wirtschaftsministerin Aigner die Sichtweise der schwäbischen Unternehmen näherzubringen und zu verhindern, dass das Gesetz nun „noch schnell übers Knie gebrochen“ werde. Wurster sagt: „Die Systematik der Netzentgeltbelastung muss ohnehin reformiert werden.“ Dabei sollten aber Wettbewerb, Anreize zur Kostendämpfung und Innovationen im Vordergrund stehen.
Nicht nur in Schwaben ist durch die mögliche Gesetzesänderung Unruhe ausgebrochen, auch in Berlin ist die Hektik groß. In der kommenden Woche finden die letzten Sitzungen vor der Sommerpause statt. Anschließend folgen Wahlkampf und Bundestagswahl, die parlamentarische Arbeit läuft erst gegen Jahresende wieder an. Für die Große Koalition wird also die Zeit knapp, noch ausstehende Gesetze zu verabschieden. Denn Gesetzvorhaben können in der nächsten Legislaturperiode nicht einfach fortgeführt werden, sondern verfallen. Sollte das Netzentgelt-Modernisierungsgesetz weiterhin angestrebt werden, müsste das gesamte Verfahren in der kommenden Legislaturperiode neu beginnen.
Doch wie wahrscheinlich ist es, dass das Gesetz noch in allerletzter Sekunde den Bundestag passiert? Hansjörg Durz, CSU-Bundestagsabgeordneter aus Neusäß (Landkreis Augsburg), will keine Prognose abgeben. Er ist Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie, wo der Gesetzentwurf bereits Thema war. Bislang stehe das Gesetzesvorhaben nicht einmal auf der Tagesordnung des Bundestags für die kommende Woche. „Das muss aber nichts heißen“, sagt Durz. Derzeit gebe es mehrere Vorhaben, die aktuell noch heiß diskutiert würden, aber nicht auf der Agenda zu finden sind. Die Unterschriften-Aktion der IHK Schwaben unterstützt er: „Bayerisch-Schwaben ist einfach anders betroffen als der Rest Bayerns.“
Für Privatverbraucher solle sich durch die Vereinheitlichung der Netzentgelte übrigens nichts ändern, sagt Thomas Engelke, Energieexperte beim Verbraucherzentrale Bundesverband. Langfristig könnten die Kosten für Haushalte durch weitere Punkte im Gesetz sogar leicht sinken.