Die Atomkraftgegner in Brüssel mobilisieren derzeit noch einmal ihre Kräfte, veranstalten Pressekonferenzen und verschicken warnende Statements. Der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold versucht mit einer Petition im Internet, unterstützende Stimmen zu sammeln.
Sie ist mit dem Titel überschrieben: „Super-GAU für Europas Energiewende: Stoppt das Greenwashing von Atomkraft und Gas!“ Doch seine Zielmarke von 75.000 Unterschriften hat er bislang nicht erreicht – und auch der Kampf scheint fast schon verloren. In den nächsten Tagen wird die Verkündung der EU-Kommission erwartet, dass Investitionen in neue Atom- und Gaskraftwerke in Europa künftig als klimafreundlich gelten – und damit auch Gelder erhalten. Wäre dies das Ende eines politischen Streits, der seit Wochen vor allem die deutsch-französischen Beziehungen belastet? Vermutlich kaum, denn die Empörung der Klimaschützer dürfte so schnell nicht abebben.
Grüne Investitionen liegen im Trend. Doch die Frage, die sich vor allem Laien immer wieder stellen, lautet: Ist auch grün drin, wo grün draufsteht?
Die EU wollte im Finanzprodukte-Dschungel helfen
Die EU wollte im Finanzprodukte-Dschungel helfen, Transparenz schaffen und den Verbrauchern, die sich für ökologische Wertpapiere und Fonds interessieren, Orientierung geben. Dafür hat die Brüsseler Behörde so etwas wie eine grüne Bibel erstellt, die den weder aussagekräftigen noch allzu attraktiven Namen „Taxonomie“ trägt.
Der Kriterienkatalog definiert, welche Geschäftstätigkeiten als nachhaltig ausgewiesen werden, die Investitionen können dann entsprechend politisch gefördert und finanziell unterstützt werden. Dafür müssen sie aber die Bedingung erfüllen, keinen „signifikanten“ Schaden anzurichten, wie es die Brüsseler Behörde nennt.
Hören Sie sich dazu auch unsere Podcast-Serie "Gespalten – Gundremmingen und das Ende der Atomkraft" an:
Was bedeutet das? „Es geht um das Ausmaß des signifikanten Schadens“, sagt Thomas Pellerin-Carlin, Energieexperte am Jacques Delors Institute. Als Beispiel nennt er die Windkraft, die etwa negative Auswirkungen auf die Biodiversität habe. Der Schaden werde aber nicht als „signifikant“ erachtet. „Kernenergie hat zwar negative Folgen wie die Verschmutzung mit radioaktiven Abfällen, aber sie ist klimaneutral, weshalb die Aufnahme in die Taxonomie nicht Greenwashing wäre“, so Pellerin-Carlin. „Gas jedoch schädigt das Klima, da gibt es keine Frage“.
Während in Deutschland die Ablehnung der Kernkraft eine lange Geschichte hat und sie energiepolitisch als Tabu gilt, setzt der französische Präsident Emmanuel Macron auf die umstrittene Technologie und reiht sich in die Tradition seiner Vorgänger ein, indem er Kernenergie als Garant der Unabhängigkeit bewirbt. Der Nachbar wird häufig als Negativbeispiel herangezogen, weil Deutschland zwar seine Atomreaktoren schließe, sich dafür aber von der klimaschädlichen Kohle und von russischem Gas abhängig mache. Derzeit verfügt Frankreich über 56 Reaktoren, verteilt auf 18 Atomkraftwerke.
Deutschland, Österreich und Luxemburg dagegen
Berlin dagegen setzt zur Überbrückung der Zeit zwischen einer auf fossilen Brennstoffen basierenden und einer CO2-armen Wirtschaft auf Erdgas. Seit Wochen streiten auf europäischer Bühne die Mitgliedstaaten darüber, ob Kernenergie und Gas in die Taxonomie aufgenommen und damit als grün eingestuft werden sollen. Neben Frankreich plädieren auch Rumänien, Tschechien, Polen und Ungarn dafür, Atomenergie „wie alle anderen kohlenstoffarmen Energiequellen zu behandeln“. Außer Deutschland sind Länder wie Österreich oder Luxemburg dagegen.
Alles nur Theater? Laut Insidern gibt es hinter den Kulissen längst eine Vereinbarung zwischen Paris und Berlin, dass sie sowohl Kernenergie als auch Erdgas in der Taxonomie akzeptieren werden. Aus politischen Gründen wolle man das nur nicht öffentlich machen. „Es ist ein Deal zwischen zwei Heuchlern“, meinte ein Beobachter. Deutschland spricht sich gegen Kernenergie, aber für Gas aus. Andererseits, so die Kritik, habe Frankreich mit dem Angebot eingelenkt, vorübergehend und „unter strikten Bedingungen“ auch den fossilen Brennstoff Gas unter die grünen Investitionsregeln fallen zu lassen.
Sven Giegold: Glaubwürdigkeit des Grünen Deals steht auf dem Spiel
Dabei ist EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen vor zweieinhalb Jahren angetreten, um Europa zum Vorzeigekontinent in Sachen Klimaschutz zu machen. Umso verärgerter sind die Grünen. Kernenergie und Gas in die Taxonomie aufzunehmen, kritisierte der Parlamentarier Giegold, „setzt die Glaubwürdigkeit des Grünen Deals aufs Spiel“.
Mit dem ambitionierten Programm will die EU bis 2050 klimaneutral werden.