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Elektromobilität: Großbaustelle Ladenetz: Wo es beim Ausbau der E-Mobilität hakt

Elektromobilität

Großbaustelle Ladenetz: Wo es beim Ausbau der E-Mobilität hakt

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    Der von deutschen Autobauern gegründete Ladenetzbetreiber Ionity schreckt Kunden anderer Marken mit extrem hohen Ladepreisen ab, obwohl er kräftig Staatssubventionen kassiert.
    Der von deutschen Autobauern gegründete Ladenetzbetreiber Ionity schreckt Kunden anderer Marken mit extrem hohen Ladepreisen ab, obwohl er kräftig Staatssubventionen kassiert. Foto: Stefan Sauer, dpa

    Das Storchennest über dem weit von der Autobahn A8 aus sichtbaren Shell-Schild der Tankstelle am Rastpark Burgau hat schon weit über Bayerns Grenzen Bekanntheit erlangt. Corona-Krise hin oder her, direkt unter dem Nest herrscht reger Tankbetrieb: Allerdings packen die Autofahrer hier nicht Sprit in den Tank, sondern Strom in ihre Akkus. Der amerikanische Autobauer Tesla betreibt hier direkt an der Autobahnausfahrt einen "Supercharger": Aus acht Ladesäulen fließen 150 Kilowatt – in Reichweite umgerechnet sind das theoretisch bis zu tausend Kilometer in der Stunde.

    Elon Musks US-Unternehmen hat wie bei Burgau auf eigene Kosten ohne Subventionen exklusiv für Tesla-Fahrer ein dichtes Netz seiner "Supercharger" über die deutschen Autobahnen gespannt. In der Regel finden Tesla-Fahrer spätestens alle 150 Kilometer eine Schnellladesäule, meist reichen gut 20 Minuten Laden und Pause. Das macht die E-Autos problemlos für Langstrecken tauglich. Und es hilft bei Neuwagenkäufern als Medizin gegen anfängliche Reichweitenangst – also gegen die Furcht, vor dem Ziel mit leerem Akku liegen zu bleiben.

    In Deutschland fahren bisher rund 250.000 E-Autos

    Die deutsche Automobilindustrie hat versprochen, kräftig daran mitzuwirken, das öffentliche Ladenetz auszubauen. Als langfristiges Ziel hat die Bundesregierung eine Million öffentliche und private Ladepunkte für E-Autos in den kommenden zehn Jahren ausgerufen: Nur so ließe sich das Ziel von sieben bis zehn Millionen E-Autos und die Klimavorgaben bis 2030 verwirklichen. Derzeit rollen trotz üppiger Kaufprämien nur eine Viertelmillion über Deutschlands Straßen.

    "Die Elektromobilität leidet unter dem RIP-Problem: Reichweite, Infrastruktur, Preis", sagt Prof. Stefan Bratzel vom Automobilität-Forschungszentrum CAM in Bergisch Gladbach "Das Thema Infrastruktur ist dabei der kritischste Bereich." Als Antwort auf Teslas Supercharger schmiedeten die Autobauer BMW, Daimler, der Volkswagen-Konzern mit seinen Marken und andere Partner eine Allianz: den Ladesäulenbetreiber mit dem Kunstnamen Ionity – nicht zu verwechseln mit dem Energieversorger Innogy, der ebenfalls hunderte Ladesäulen betreibt. Ionity betreibt gut öffentlich geförderte 50 Schnellladestationen mit 300 Säulen an deutschen Autobahnen. Zahl und Abdeckung hinken alten Plänen und Tesla hinterher.

    Wer keinen Partnervertrag hat, zahlt bei Ionity ordentlich drauf

    Offiziell steht Ionity allen E-Autofahrern zwar offen: Doch Ionity erhöhte zum Jahresbeginn die Preise für E-Autofahrer, die keine Partnerverträge mit den zur Allianz gehörenden Automarken haben, auf exorbitante 79 Cent pro Kilowattstunden – zweieinhalbmal so teuer wie Strom im Privathaushalt. "Die Preiserhöhung von Ionity ist das falsche Signal zur falschen Zeit, hier werden Preise aufgerufen, die teurer sind, als wenn man an der Autobahn Benzin tankt", kritisiert Autoforscher Bratzel. "Das Tesla-Netz ist ein riesiger Wettbewerbsvorteil, die Vorstände der deutschen Konzerne haben ähnliches lange abgelehnt und erklärt, wir betreiben ja auch keine Tankstellen."

    Obwohl Ionity anders als Tesla kräftige Subventionen für den Aufbau des Netzes kassiert hat, betreibt die Autobauertochter offensichtlich über den Preis eine klare Abschreckungspolitik gegenüber E-Auto-Kunden anderer Marken. Doch nicht nur hier tricksen die deutschen Autokonzerne.

    Beim Autogipfel im Kanzleramt versprachen ihre Chefs vergangenen November, binnen zwei Jahren 15000 öffentliche Ladestationen in Deutschland errichten zu wollen. Ein Teil davon entsteht jedoch auf Werksparkplätzen. Und auch der Zentralverband des Deutschen Kraftfahrgewerbes ZDK schlug kräftig Alarm und kritisierte, dass die Autobauer ihr Versprechen einfach auf die Autohäuser, auf deren eigenen Kosten abwälzen würden. Während die Automobilhersteller von großzügigen staatlichen Kaufprämien profitierten, "leiden die überwiegend kleinen und mittelständischen Kfz-Betriebe zunehmend unter den wirtschaftlichen Folgen des Wandels hin zur Elektromobilität", kritisierte der Verband. Nun sollen die Autohäuser anders als vom Bund geplant offenbar doch Subventionen für den Aufbau erhalten. Das heißt: Unter dem Strich bezahlt nicht die Industrie einen Teil der von ihr versprochenen Ladepunkte, sondern der Steuerzahler und die Autohäuser.

    "Es ist dreist, wie sich die Autohersteller nur wenige Monate nach dem Masterplan Ladeinfrastruktur aus ihrer Verantwortung stehlen wollen", kritisiert der Grünen-Verkehrsexperte Stephan Kühn. "Die Autoindustrie fordert bei jeder Gelegenheit mehr öffentliche Ladesäulen, aber sobald sie ihren eigenen Beitrag leisten soll, schiebt sie die Verantwortung weg." Autoexperte Bratzel kritisiert, dass Ladesäulen bei Autohäusern in Gewerbegebieten fern der Stadtzentren, meist am tatsächlichen Bedarf der E-Autobesitzer vorbeigingen.

    Fast jede zweite Ladesäule wird von Kommunalversorgern betrieben

    Während sich die Autobauer bei der Ladenetz-Infrastruktur aus der Verantwortung stehlen, springen andere in die große Lücke: Fast jede zweite der 21.000 öffentlichen Ladesäulen wird von Stadtwerken, kommunalen und regionalen Energieversorgern betrieben.

    Über 200 Stadtwerke haben sich dabei im Verbund "Ladennetz" zusammengeschlossen: Damit können E-Autofahrer mit einer einzigen Scheckkarte in fast ganz Deutschland bei kommunalen Säulen aufladen und Standorte auf der Handy-App finden. "Den Ansatz sehen wir als entscheidend, weil die Zugänge und Abrechnungen ansonsten für den Verbraucher immer noch zu kompliziert sind", sagt der Sprecher der Stadtwerke Augsburg, Jürgen Fergg. "Wir bauen seit rund zehn Jahren Ladestationen im öffentlichen Raum." Seit einem halben Jahr steige die Lade-Nachfrage an den inzwischen 30 Standorten der Stadtwerke spürbar an.

    Doch die Stadtwerke verdienen damit kein Geld, sondern schießen es zu. "Der Bau erfolgte und erfolgt auch heute noch aus umweltpolitischen Zielen in Absprache mit der Stadt Augsburg", sagt Fergg. Ein Geschäftsmodell versprechen sich die Stadtwerke eher als Dienstleister mit "Ladestationen, die wir bei Gewerbebetrieben, in Tiefgaragen oder Wohnanlagen einbauen und für den Eigentümer komplett betreiben, ohne dass er sich um irgendetwas kümmern muss", sagt Fergg.

    Vergangene Woche hat auch die Bundesregierung hierzu ein Gesetzespaket auf den Weg gebracht. Beim Neubau oder größeren Renovierungen von Wohngebäuden mit mehr als zehn Stellplätzen müssen die Parkplätze künftig vorsorglich mit Leerrohren für Ladestromkabel ausgerüstet werden. Mieter und Wohnungseigentümer sollen demnächst einen Rechtsanspruch auf eine sogenannte Wallbox zum Aufladen am Parkplatz auf eigene Kosten haben, ohne dass die Eigentümerversammlung oder Vermieter zustimmen müssen.

    Aber halten die öffentlichen Stromleitungen den massenhaften Umstieg auf Batterieautos aus? "Am Stromnetz der Stadtwerke Augsburg scheitert die Elektromobilität nicht – die haben noch jede Menge Kapazität", sagt Sprecher Fergg. "Der größte Hemmschuh an der Elektromobilität ist aber nach wie vor die Akzeptanz und das Vertrauen der Verbraucher", betont er.

    Lesen Sie dazu auch: Ladesäulen und Zulassungszahlen: Wo stehen wir bei E-Autos?

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