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Einzelhandel in Pandemie: Übersteht der Handel die dritte Corona-Welle?

Einzelhandel in Pandemie

Übersteht der Handel die dritte Corona-Welle?

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    Wie lange stehen die Einzelhändler in Bayern den ökonomischen Ausnahmezustand während der Corona-Pandemie noch durch?
    Wie lange stehen die Einzelhändler in Bayern den ökonomischen Ausnahmezustand während der Corona-Pandemie noch durch? Foto: Rolf Vennenbernd, dpa

    Es schneit in Bayern wieder. Unerwünschterweise, denn es war doch schon warm. In dieser März-Woche wirken die sich schon einmal ankündigenden, besseren Zeiten besonders weit weg. Das gilt für den Frühling und für das, was Corona lähmt. In dieser Woche der Impfpause, der allgemeinen AstraZeneca-Verunsicherung, der steigenden, sich zur dritten Welle aufbäumenden Infektionszahlen. Und es gilt einmal mehr für den Handel, die vielen Einzelhändler, die seit einem Jahr darben und gerade alles Mögliche, aber sicher keine Frühlingsgefühle haben.

    Denn selbst wenn es warm wäre – wer hat gerade schon Lust auf einen gemütlichen Stadtbummel? Nichts, was einer kleinen Shopping-Tour den Reiz gibt, geht gerade. Ein bisschen in den Auslagen stöbern, einen schicken Übergangspullover kaufen, dazwischen einen Espresso im Café, dazu ein bisschen in der Sonne ratschen. Stattdessen stehen (recht wenige) Menschen im Schneeregen in einer Schlange, schauen recht grau aus, warten.

    Die Stimmen für einen dritten, harten Lockdown mehren sich

    Das tun alle, irgendwie. Viel zu lange schon. Genau vor einem Jahr mussten in Bayern die Läden – Lebensmittelgeschäfte, Banken, Apotheken ausgenommen – zum ersten Mal wegen des ansteigenden Infektionsgeschehens schließen. Zwar können jetzt, 356 Tage danach, Kunden in Landkreisen unter einer 100er-Inzidenz wieder mit einem zuvor ausgemachten Termin in Geschäfte gehen und mancherorts sind die Geschäfte auch wieder geöffnet, doch die Stimmen für einen dritten, harten Lockdown mehren sich. Was die Infektionszahlen betrifft, könnte Ostern das neue Weihnachten werden.

    Besonders der Textil-Branche haben die nicht enden wollenden Ladenschließungen hart zugesetzt. Axel Augustin, Sprecher des bundesweiten Branchenverbands BTE, warnt daher davor, die Geschäfte wieder dichtzumachen. Er betont: „Für die meisten Unternehmen wäre das eine wirtschaftliche Katastrophe. Dann wird es ein massives Ladensterben in den Innenstädten geben.“

    Das ist das oft beschriebene Szenario. Die Frage ist: Wie schnell tritt es ein? Augustin argumentiert, die Infektionstreiber seien nicht die Geschäfte, weil ohnehin nur eine stark begrenzte Zahl an Kunden im Laden sein dürfe. Die Politik habe in der Vergangenheit immer wieder den Fehler gemacht, pauschal den gesamten Einzelhandel zu schließen. Besonders der Start in die Saison sei für Modebranche extrem wichtig, sagt Augustin. Wegen des erwarteten Frühlingsbeginns ist der Umsatz traditionell hoch.

    Die Umsätze des stationären Bekleidungshandels, von Boutiquen, Modehäusern und Bekleidungsfilialisten, sanken 2020 laut BTE um etwa 25 Prozent. Die Zahl enthält auch dieOnline-Bestellungen bei vor Ort ansässigen Geschäften. Auch diese aber konnten den Verlust nicht kompensieren.

    Lebensmitteldiscounter und reine Online- und Versandhändler dagegen verbuchen in der Pandemie Rekordumsätze. Letztere haben laut BTE 2020 etwa 16 Prozent mehr Umsatz mit Bekleidung und Textilien erzielt, also circa 17 Milliarden Euro. Der Marktanteil des reinen Online-Handels ist auf über 27 Prozent gestiegen.

    Click&Meet im Handel zieht trotz Rabatten zu wenig während Corona-Pandemie

    Zurück zum stationären Einzelhandel: Zwar kaufen Kunden wieder vor Ort ein, doch ist der Start nach dem fast dreimonatigen Lockdown eher verhalten. Augustin sagt, für viele Verbraucher sei „Click& Meet“ zu kompliziert und unattraktiv. „Im Vergleich zum vergangenen Jahr, nach dem ersten Lockdown, sind die Besucherfrequenzen in den Innenstädten nochmals niedriger.“ Und das, obwohl einige Handelsketten gerade mit hohen Rabatten werben.

    Das kann Claudia Michl bestätigen. Sie ist Inhaberin von „XL-mit-Pfiff“ in der Augsburger Innenstadt. Sie bilanziert Click&Meet so: „Wir sind dankbar, dass wir unsere Kunden empfangen dürfen. Wir haben große Größen für Damen. So ein Geschäft geht besser persönlich als nur online. Für die Kunden ist das ein Service.“ Der eine oder andere komme auch vorbei, erzählt sie und betont: „Das ist besser als nichts.“ Aber: Samstag sei keiner gekommen, Montag genauso, am Dienstag ein Kunde. Auch Michl sagt: „Das ist nichts, was auch nur ansatzweise ein ordentlicher Umsatz wäre.“ Vor allem, weil jetzt gerade im Frühjahr eigentlich die verkaufsstarken Monate wären, die die kommenden Monate mitfinanzieren müssten.

    Besonders gefragt, erklärt Verbandssprecher Augustin, seien gerade Kleider für die Jüngsten. „Die Kinder sind im Lockdown weiter gewachsen und viele Eltern wollen die Kleidung für ihre Kinder nicht im Internet kaufen.“

    An der Auswahl würde es nicht scheitern. Aber immer wieder klagen Modeunternehmen, dass sie auf ihren Winterwaren sitzen geblieben sind. Bei einer erneuten Verlängerung des Lockdowns würde sich das aktuelle Warenproblem noch einmal dramatisch verschärfen. Schon jetzt hat der Handel hunderte Millionen unverkaufter Hosen, Kleider, Schuhe und Accessoires aus der abgelaufenen Wintersaison übrig. Der Branchenverband schätzt, dass 30 Prozent der vorrätigen Winterware noch nicht verkauft wurde. Zum Vergleich: Vor Corona konnten nur etwa fünf bis zehn Prozent der Kollektionen nicht verkauft werden. Hinzu kommen jetzt noch weitere hunderte Millionen Teile neuer Frühjahrsware, die bereits im Sommer 2020 bestellt wurden. Nachdem es im vergangenen September geheißen hatte, dass die Läden nicht wieder geschlossen würden, habe sich der Handel darauf bei seinem Wareneinkauf eingestellt, betont Augustin.

    Wolfgang Puff, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Bayern, fehlt Perspektive

    Was tun? Wolfgang Puff, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Bayern sagt: „Wir sehen keine Perspektive. Es heißt immer: impfen, testen, nachverfolgen. Aber: Das greift nicht. Wo sind die Tests, die wir benötigen? Was ist mit den Nachverfolgungen? Wir haben ein Riesenproblem. Die Zahlen gehen hoch.“ Puff hat allerdings noch verhaltene Hoffnung mit Blick auf die Ministerpräsidentenkonferenz am kommenden Montag: „Vielleicht ändern die Länderchefs ja doch etwas. Die starren Inzidenzwerte dürfen nicht länger entscheidend für Geschäftsöffnungen sein. Das ist unsere zentrale Forderung.“ Sonst ist Puff sich sicher, würden viele Unternehmen das nicht mehr lange durchstehen. „Die gibt es dann bald nicht mehr. Das gilt für Große, Mittlere und die Kleinen. Die Reserven sind aufgebraucht und es wird jeden Tag schlimmer.“ Puff hofft, dass der Druck auf die Politik so groß wird, dass sie „nicht mehr zumachen kann“. Es werde sonst irgendwann ganze Wirtschaftszweige nicht mehr geben. „Da hat jede Regierung eine sehr große Verantwortung.“

    Click&Meet, Einkauf mit Termin, bieten viele Geschäfte an. Aber ohne die Einkaufsbummler fehlt es an Kundenfrequenz.
    Click&Meet, Einkauf mit Termin, bieten viele Geschäfte an. Aber ohne die Einkaufsbummler fehlt es an Kundenfrequenz. Foto: Rolf Vennenbernd, dpa

    Der Handelsverband Bayern (HBE) hat auch Zahlen zu Click&Meet erhoben. Einer Umfrage unter den Händlern zufolge bieten 80 bis 90 Prozent der in Bayern vom Lockdown betroffenen Unternehmen das Einkaufen mit Termin an. Das aber sei laut Puff mit hohem logistischen und Personalaufwand verbunden. „Die Frequenzen sind sehr unterschiedlich, aber unterm Strich zu niedrig. Gerade für die großen Geschäfte lohnt es nicht.“ Puff nennt Zahlen: Mit Click&Meet sei der Umsatz im März dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahresmonat um 30 Prozent eingebrochen. Und schon im vergangenen Jahr seien die Verkaufszahlen ja wegen des ersten Lockdowns unten gewesen. Puff: „Trotz Click&Meet setzt sich der Umsatzeinbruch fort.“ Denn auch die Gastronomie sei ja zu, was den Innenstädten die Frequenz nehme. „Den typischen Einkaufsbummel, den gibt es nicht mehr.“

    Wöhrl-Chef Thomas Weckerlein: Hoffen auf schnelle und vollständige Öffnung unserer Filialen

    Fragt man bei größeren Unternehmen nach, hört sich das zum Beispiel so an: Thomas Weckerlein, Vorstandsvorsitzender vom Modehändler Rudolf Wöhrl, hat einen „unterschiedlichen“ Neustart beobachtet. Je nachdem habe man regulär öffnen können oder Einkauf mit Termin angeboten, bei „guter Besucherfrequenz“. Insgesamt bewerte Wöhrl den Neustart als gut, zumal auch noch Winterware verkauft werden konnte. Aber, sagt Weckerlein, man sei nach drei Monaten Lockdown von einer Normalität, wie sie vor der Pandemie geherrscht habe, noch ein gutes Stück entfernt. „Aktuell fehlt aus unserer Sicht eine echte Öffnungsperspektive und Planbarkeit. Deshalb hoffen wir auf eine schnelle und vollständige Öffnung unserer Filialen.“

    Was passiert denn eigentlich mit den vielen, nicht verkauften Saisonwaren? Es gibt drei Möglichkeiten: Entweder die Geschäfte versuchen, stark rabattiert zu verkaufen, oder lagern sie ein, um sie in einem halben Jahr wieder anzubieten. Das geht aber nur, wenn ausreichend Lagerkapazität vorhanden ist. Bei Trend-Kleidung, die schon im kommenden Jahr kaum noch verkäuflich ist, versuchen die Mode-Unternehmen, die Ware an Discount-Händler zu verkaufen – mit finanziellen Einbußen. In seltenen Fällen, wenn Ware überhaupt nicht verkäuflich ist, wird sie vernichtet, erklärt der BTE. Oder gespendet.

    Es bleiben viele, ungelöste Probleme. Und es gibt sehr unterschiedliche Ansichten, Konflikte, die vor Gericht führen. Der Handelsverband Bayern, begleitet derzeit erneut Normenkontrollverfahren, die verschiedene Händler wegen der bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung beim bayerischen Verwaltungsgerichtshof angestrengt haben. Bisher haben die vom HBE mit betreuten Klagen allerdings keinen Erfolg gehabt, bestätigt Hauptgeschäftsführer Puff. Der Verband will aber dranbleiben: „Wir wollen die Verordnungen regelmäßig auf den Prüfstand stellen, denn anders geht es nicht.“

    Claus-Dietrich Lahrs, Geschäftsführer von s.Oliver, hat auch den Rechtsweg beschritten. Auch die von ihm geführte Modekette will sich vor Gericht gegen die aktuellen Beschränkungen zu Wehr setzen. Lahrs bestätigt: „Wir prüfen sowohl eine Klage auf verwaltungsrechtlichem Wege als auch auf zivilrechtlichem Wege. Hintergrund sind die Ungleichbehandlung und die damit verbundene unklare Lage im Bereich der Kompensationszahlungen für die Verluste der letzten Monate.“

    Auch Lahrs freut sich, dass seit der Teilöffnung vom 8. März wieder Kunden in die Filialen kommen dürfen. Fakt ist aber auch: „Mit dem Click&Meet-Modell und der starken Beschränkung der Kundenanzahl auf unseren Flächen können wir unsere Filialen nicht profitabel betreiben. Die Kosten bleiben bei verringerter Frequenz gleich, wir häufen also weiter Verluste an.“

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