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EU-Gipfel: Großbritannien ganz allein

EU-Gipfel

Großbritannien ganz allein

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    „Wer will, kann diesen neuen Vertrag haben. Ich will es nicht“: Großbritanniens Premier David Cameron ist beim EU-Gipfel in Brüssel hart geblieben. Am Schluss stand er alleine da. Als einziges Mitglied der Union blockierte sein Land die neuen Euro-Verträge.
    „Wer will, kann diesen neuen Vertrag haben. Ich will es nicht“: Großbritanniens Premier David Cameron ist beim EU-Gipfel in Brüssel hart geblieben. Am Schluss stand er alleine da. Als einziges Mitglied der Union blockierte sein Land die neuen Euro-Verträge. Foto: Foto: dapd

    Brüssel Es ist kurz vor halb sechs Uhr am Freitagmorgen, als eine sichtlich übermüdete Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt: „Ich bin zufrieden. Wir werden eine starke Stabilitätsunion bekommen. Wir haben keine faulen Kompromisse gemacht.“ Ein paar Meter weiter versucht derweil der britische Premier David Cameron, sein Scheitern in einen Sieg umzudeuten: „Wer will, kann diesen neuen Vertrag haben. Ich wünsche denen, die mitmachen, alles Gute. Ich will es nicht. Ich bin glücklich, dass wir den Euro nicht haben.“

    Zu dieser Zeit weiß der Brite aber noch nicht, dass er sein Land in Europa isoliert hat. „17 plus 6“ lautet seine Rechnung am frühen Morgen. Somit blieben immerhin vier Mitgliedstaaten, die sich gegen Merkel gestellt hatten. Einige Stunden später sieht die Lage schon ganz anders aus: Als es an die Formulierung des Schlussdokumentes geht, schlagen sich plötzlich die Zweifler der Nacht auf Merkels Seite. Alle 17 Euro-Staaten sowie neun Nicht-Euro-Mitglieder machen bei der verschärften Haushaltsüberwachung samt Zusatzvertrag mit. Es steht 26 zu 1. Cameron steht alleine da.

    Der Gipfel von Brüssel, der den Euro retten, die Währungsunion stabilisieren und einen Ausweg aus der Schuldenkrise suchen sollte, ist zu einem Machtkampf geworden. Schon am Abend zuvor hatten Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy und die Bundeskanzlerin den aufmüpfigen Briten ins Gebet genommen. Doch der pokerte hoch. Ein „Ja“ zu Vertragsänderungen wollte er mit mehr Freiheiten bei der Finanzmarktregulierung erkaufen, um seine Londoner Banken-Metropole zu retten. Es wäre das Aus für die Finanztransaktionssteuer gewesen. Beide Seiten blieben hart. „Das war jetzt die Aufwärmphase“, kommentierte ein Diplomat, der mit am Tisch saß.

    Kurz nach Mitternacht war dann klar, dass Cameron sich nicht weichkochen lassen würde. „Es war eine harte Entscheidung, aber sie war richtig im Sinne der britischen Interessen“, begründet er viele Stunden später sein striktes Nein. Doch der Versuch, sich als starken Mann und Gewinner für Großbritannien zu präsentieren, ging daneben. Fast genüsslich hielten ihm die eigenen Journalisten von der Insel vor, dass er nun gar nichts habe: „Wir Briten stehen vor der Türe“, sagte einer. „Und Sie bringen auch keine Zugeständnisse mit.“ Langsam dämmerte es allen, dass aus der vermeintlichen Spaltung der EU, nach der es am Morgen ausgesehen hatte, eine Abspaltung der Briten geworden ist.

    Dagegen können sich Merkel und Sarkozy als Sieger fühlen. Diese neu erfundene Union der 26 gibt sich die strengsten Haushaltsregeln, die Europa je hatte. Eurobonds sind vom Tisch. Der Rettungsschirm wird auf dem Umweg über Mittel des Internationalen Währungsfonds (IWF) auf fast eine Billion Euro aufgeblasen. Hinzu kommt das Versprechen, sich eine Schuldenbremse zu geben. Und wer über seine Verhältnisse lebt, muss Sanktionen fürchten. Die Kommission mutiert zur Haushalts-Polizei, der Europäische Gerichtshof fungiert als letztes Druckmittel.

    In den Beschlüssen stehen konkrete Daten: Bis Ende 2012 soll der neue Vertrag überall ratifiziert sein. „Wir gewinnen unsere Glaubwürdigkeit Schritt für Schritt zurück“, sagt Merkel. „Das Vertrauen in den Euro kann zurückkehren.“ Es ist eine „gute zweitbeste Lösung“, findet auch der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger.

    Dass ein neuer zwischenstaatlicher Vertrag neben dem bereits existierenden Lissabonner Vertrag rechtliche Probleme aufwerfen könnte, sei zwar richtig, heißt es in Brüssel. Vor allem das Europaparlament dürfte Sturm laufen, weil es bei der jetzt angedachten Konstruktion keinerlei Mitsprache- oder Mitentscheidungsmöglichkeit hat. Merkel und Sarkozy dürfte das sogar gelegen kommen.

    Ein paar Stunden später und um immerhin zwei Stunden Schlaf reicher sitzen die Staats- und Regierungschefs wieder zusammen und beschließen, Kroatien am 1. Juli 2013 als 28. Mitglied in die Gemeinschaft aufzunehmen. Beim Gruppenfoto scherzte man wieder, als wäre nichts gewesen. Viel wichtiger aber war eine andere Nachricht: An der deutschen Börse dreht der Dax nach diesen Nachrichten ins Plus. Bis zum Abend gewann er fast zwei Prozent. Und auch von den anderen Märkten gab es positive Signale. Erste zarte Vorboten für eine Wende nach diesem Durchbruch?

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