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Dieselskandal: Ex-Audi-Chef vor Gericht: Erster Prozesstag endet mit guter Nachricht für Stadler

Dieselskandal

Ex-Audi-Chef vor Gericht: Erster Prozesstag endet mit guter Nachricht für Stadler

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    Der unter anderem wegen Betrugs angeklagte langjährige Audi-Chef Rupert Stadler im Landgericht München.
    Der unter anderem wegen Betrugs angeklagte langjährige Audi-Chef Rupert Stadler im Landgericht München. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Es ist 9.13 Uhr am Mittwochvormittag, als Rupert Stadler vorfährt. Der frühere Audi-Vorstandsvorsitzende, unter dessen Leitung Audi einige Jahre mehr Autos verkauft hat als Mercedes, kommt in einer dicken grauen S-Klasse, nicht in einem Audi. Nicht nur die Automarke hat gewechselt. Stadler hat sich verändert. Die Haare sind weiß meliert und länger, die Brille ist anders. Die Gesichtszüge sind etwas weicher. Der einstige „Manager des Jahres“ trägt einen dunkelblauen Anzug, ein weißes Hemd, eine hellblaue Einwegmaske und hat einen olivgrünen Rucksack geschultert. Begleitet wird er von seinen Verteidigern Thilo Pfordte und Ulrike Thole. Er muss sich seinen Weg bahnen durch Dutzende Fotografen und Kameraleute. Es ist der erste öffentliche Auftritt des Ex-Audi-Chefs seit seiner Verhaftung im Juni 2018.

    Prozess gegen Ex-Audi-Chef: Rupert Stadler fährt vor Gericht vor - in einem Mercedes

    Stadler muss nicht, wie angenommen, durch den Haupteingang, wo als Erstes ein symbolträchtiger Abstieg über eine große Treppe 24 Stufen hinabgeführt hätte. Er darf den Hintereingang nehmen, der von mehreren Justizbeamten bewacht wird. Über der Szenerie mit rund 100 wartenden Journalisten steht bedrohlich ein Wachturm der JVA Stadelheim. Auf diesem Gelände findet der Prozess gegen Stadler und drei weitere Audi-Ingenieure statt. Tatsächlich kann es am Ende für manchen Angeklagten um die Frage gehen, ob er ins Gefängnis muss. Stadler saß schon vier Monate in U-Haft, der frühere Audi-Motorenchef Wolfgang Hatz sogar länger.

    Der unter anderem wegen Betrugs angeklagte Wolfgang Hatz, ehemaliger Motorenentwickler des Fahrzeugherstellers Audi, kommt zu Prozessbeginn beim Landgericht in München an.
    Der unter anderem wegen Betrugs angeklagte Wolfgang Hatz, ehemaliger Motorenentwickler des Fahrzeugherstellers Audi, kommt zu Prozessbeginn beim Landgericht in München an. Foto: Matthias Balk, dpa

    Stadler sagt am Mittwoch nur „Guten Morgen“. Ansonsten kein Wort. Sein Verteidiger Thilo Pfordte weist darauf hin, dass es vor einem Eingangs-Statement im Prozess nichts zu hören gibt vom prominentesten Angeklagten im ersten großen Strafprozess zum Diesel-Skandal. Bislang hat der ehemalige Topmanager immer alle Vorwürfe bestritten.

    Anders als den Ingenieuren wird Stadler nicht vorgeworfen, die Schummel-Software in Auftrag gegeben und forciert zu haben. Vielmehr ist er angeklagt, weil er nach Auffliegen der Diesel-Affäre 2015 in den USA nichts dagegen getan haben soll, dass die betroffenen Autos weiter verkauft wurden. Auch als saubere Diesel wurden sie weiter beworben. Für Stadler steht sehr viel auf dem Spiel. Er steigt in einen Aufzug und fährt nach unten.

    Verteidiger von Rupert Stadler fragt nach den Autos der Richter

    Um 9.20 Uhr betritt Rupert Stadler den Hochsicherheitssaal. Er hat die Sicherheitsschleuse hinter sich gelassen, nimmt zwischen seinen Verteidigern Platz und lässt die Fotografen und Kamerateams gelassen ihre Arbeit machen. Das Rattern der Kameras mit Schnellschussfunktion dauert mehr als fünf Minuten. Wenn der frühere Vorstandsvorsitzende der Audi AG in diesem von vielen Angeklagten gefürchteten Moment angespannt sein sollte, lässt er sich davon nichts anmerken. Seine stets gepflegte Fassade sitzt wie das Sakko. Krawatte trägt er nicht. Er nimmt Papiere aus seinem Rucksack.

    Richter Stefan Weickert, Vorsitzender der 5. Strafkammer des Landgerichts München II, ruft um 9.46 Uhr das Verfahren „gegen Giovanni P. und andere“ auf. Er skizziert den Zeitplan und nimmt die Personalien der Angeklagten auf – neben Stadler und Hatz müssen sich die Ingenieure P. und L. verantworten. Dann will er der Anklage das Wort erteilen.

    Doch schon an dieser Stelle kommt der erste Querschuss der Stadler-Verteidiger. Thilo Pfordte verlangt Auskunft darüber, ob die Richter der Kammer, deren Angehörige oder Schöffen seit 2009 Autos des VW-Konzerns mit Dieselmotoren gefahren haben. Das könne Grund für einen Ausschluss vom Verfahren oder einen Befangenheitsantrag sein. Die Verteidiger von Hatz schließen sich an. Der Vorsitzende Weickert nimmt den Antrag mit einem knurrigen „Aha“ zur Kenntnis und kündigt an, sich damit auseinandersetzen zu wollen.

    Wenn man das als ein erstes kleines juristisches Scharmützel bezeichnen will, ist es recht schnell vorbei. Wenig später schon erteilt der Richter der Anklage das Wort. Staatsanwalt Dominik Kieninger verspricht mit Blick auf die 92-seitige Anklage und die Uhr „sein Bestes“ zu geben und beginnt, abwechselnd mit seinem Kollegen, die Anklage vorzulesen.

    Der aufsehenerregende erste Strafprozess gegen Auto-Bosse wegen des milliardenschweren Abgas-Skandals beginnt in dem hohen holzgetäfelten modernen Gerichtssaal zunächst also wenig spektakulär. Doch die Anklage, die in ihrer nüchternen Juristensprache und mit vielen technischen Details auch wenig aufregend daherkommt, hat es gleichwohl in sich.

    Prozess um Abgas-Skandal gegen Rupert Stadler: Wer waren die Spezialisten für Diesel-Schummeleien?

    Der Staatsanwalt dröselt erst einmal auf, wer bei Audi mit wem zusammenhing, wie die fraglichen Abteilungen zugeordnet waren und wer wofür bis wann zuständig war. Das wird auch für die strafrechtliche Beurteilung eine entscheidende Rolle spielen. In aller Kürze: Stadler war von Anfang 2007 bis zum 2. Oktober 2018 Audi-Chef und somit verantwortlich für das große Ganze. Den Bereich „Entwicklung Aggregate“ hatte von 2001 bis Ende September 2009 Wolfgang Hatz, der – zeitweise sich überschneidend – bis September 2012 auch als Leiter den Konzernbereich Aggregate für VW in Wolfsburg verantwortete. Der Hatz untergeordnete Giovanni P. wiederum war Diesel-Spezialist bei Audi, bis er Ende November 2015 freigestellt wurde. Und Henning L. seinerseits war P. unterstellt. Er leitete eine Unterabteilung.

    Hatz, P. und L. sollen nun laut Staatsanwaltschaft dafür gesorgt haben, dass die Software in ab 2009 verkauften Dieselmotoren manipuliert war. Heißt: Auf dem Prüfstand hatten die Autos bessere Abgaswerte als tatsächlich auf der Straße. Insgesamt geht es um 434.420 in Audis, VWs und Porsches verbaute Motoren, die in den USA und Europa als „Clean Diesel“ ihre Käufer fanden. Die Anklage hält den drei Ingenieuren vor, einen Schaden von mindestens 170 Millionen Euro, möglicherweise von mehr als drei Milliarden Euro verursacht zu haben.

    Rupert Stadler sitzt mit seinen Rechtsanwälten zu Prozessbeginn im Gerichtssaal vom Landgericht in München. Vorne steht Wolfgang Hatz, ehemaliger Motorenentwickler von Audi.
    Rupert Stadler sitzt mit seinen Rechtsanwälten zu Prozessbeginn im Gerichtssaal vom Landgericht in München. Vorne steht Wolfgang Hatz, ehemaliger Motorenentwickler von Audi. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Die Aufmerksamkeit richtet sich am Mittwoch aber vor allem auf Rupert Stadler, obwohl er unter den vier Angeklagten derjenige ist, dem am wenigsten zur Last gelegt wird. Der frühere Audi-CEO muss sich dafür verantworten, ab Ende September 2015, also knapp zwei Wochen nachdem der Skandal in den USA aufgeflogen war, nicht verhindert zu haben, dass mit Schummel-Software ausgestattete Autos in Europa auf den Markt kamen, obwohl er nach Überzeugung der Ermittler von den Manipulationen wusste. Ihm werden konkret 120.398 Einzelfälle zur Last gelegt, was einem mutmaßlichen Schaden von 27 Millionen Euro entspräche.

    Die Staatsanwaltschaft hat in jahrelanger akribischer Ermittlungsarbeit massenhaft Details zusammengetragen. 40.000 Seiten umfassen die Ermittlungsakten. Darin findet sich interne Kommunikation, die man ohne Weiteres so deuten könnte, dass der Diesel-Affäre eine von sehr langer Hand geplante Entwicklung voranging. Das markanteste Zitat stammt aus einer Mail aus dem Jahre 2008, die von einem Mitarbeiter an die beiden angeklagten Ingenieure P. und L. ging. Darin heißt es wörtlich: „Ganz ohne ,Bescheißen‘ werden wir es nicht schaffen, alle Kunden in das 1-Liter-Fenster hineinzubekommen.“

    Abgas-Skandal bei Volkswagen vor Gericht: Wie viel wussten die Chefs?

    Die alles entscheidende Frage im Prozess lautet nun nicht, ob es die Diesel-Betrügereien gab, sondern was die Vorgesetzten wussten. Denn während Hatz und Stadler, die sich vor Prozessbeginn mit der „Corona-Faust“ begrüßt haben, bisher alle Vorwürfe bestreiten, haben die beiden Ingenieure schon teilweise gestanden. Sie haben ganz offensichtlich nicht vor, das Bauernopfer zu geben und ihre Chefs davonkommen zu lassen. Diese Konstellation birgt einen guten Teil des Zündstoffs im Prozess.

    Wie brisant es besonders für die Manager Stadler und Hatz werden kann, wird bereits vor Prozessbeginn klar. Und zwar draußen, vor dem Gerichtsgebäude. Ein paar Minuten vor dem früheren Audi-Chef Stadler ist Walter Lechner zum Gericht gekommen. Der renommierte Münchner Anwalt verteidigt Abteilungsleiter Giovanni P., also einen der Männer, die ihre früheren Vorgesetzten schwer belasten können.

    Verteidiger Lechner sagt ein paar bemerkenswerte Sätze, zum Beispiel: „Die Produktion eines Autos macht nicht ein Einzelner.“ Lechner spricht auch von einem „Organisationsversagen“ bei Audi. Und dann kommen zwei Bemerkungen, die beim früheren Audi-Vorstandsvorsitzenden und seinen Anwälten einschlagen werden: „Er war nicht Entscheider. Er war weisungsgebunden, und er hat Weisungen bekommen“, sagt Lechner über den Ingenieur P. Und schließlich: „Die Verantwortung liegt immer bei denen, die oben stehen.“ Eine klare Kampfansage von Anwalt Lechner an den Ex-Audi-Chef. Ob sich Stadler vernünftig gegen die Anschuldigungen seines früheren Abteilungsleiters wehren kann, muss der Prozess zeigen.

    Als sich am späten Nachmittag der Anklage-Marathon seinem Ende zuneigt, geht es ganz konkret um den „Tatbeitrag“ Stadlers. Einer der wichtigsten Sätze dieser Passage lautet: „Spätestens seit dem 24. September 2015 hatte der Angeklagte positive Kenntnis davon, dass auch für den europäischen Markt Dieselmotoren der Audi AG von den Manipulationen betroffen waren oder jedenfalls sein könnten.“ Stadler aber habe den Umsatz steigern, seine Position als Audi-Chef manifestieren und am „Gewinn in entsprechender Höhe durch Bonuszahlungen zu seinen Gunsten partizipieren“ wollen. So beschreibt die Anklage dessen Motive.

    Diesel-Skandal: Was nach Entdeckung der VW-Affäre passierte

    3. September 2015:
    VW räumt hinter den Kulissen gegenüber der US-Umweltbehörde EPA Manipulationen bei Diesel-Abgastests ein.

    18. September 2015:
    Die EPA teilt mit, VW habe eine Software eingesetzt, um Test-Messungen des Schadstoffausstoßes künstlich zu drücken.

    23. September 2015:
    Rücktritt von VW-Vorstandschef Martin Winterkorn, zwei Tage später beruft der Aufsichtsrat Porsche-Chef Matthias Müller als Nachfolger.

    15. Oktober 2015:
    Das Kraftfahrt-Bundesamt ordnet einen Pflichtrückruf aller VW-Dieselautos mit Betrugs-Software an. In ganz Europa müssen 8,5 Millionen, in Deutschland 2,5 Millionen Wagen in die Werkstatt.

    22. April 2016:
    Der Abgas-Skandal brockt dem Volkswagen-Konzern für 2015 mit 1,6 Milliarden Euro den größten Verlust der Geschichte ein.

    8. August 2016:
    Das Landgericht Braunschweig gibt den Startschuss für ein Musterverfahren wegen milliardenschwerer Aktionärsklagen gegen VW.

    25. Oktober 2016:
    US-Rechtsstreit um VW-Dieselwagen mit 2,0-Liter-Motoren: VW einigt sich auf 16 Milliarden Dollar Entschädigung an Kunden, Behörden, Händler und US-Bundesstaaten.

    11. Januar 2017:
    VW und das US-Justizministerium vergleichen sich in strafrechtlichen Fragen auf eine Zahlung von 4,3 Milliarden Dollar.

    31. Mai 2017:
    Es wird bekannt, dass VW-Tochter Audi in Deutschland und Europa unzulässige Abgas-Software verwendet hat.

    25. August 2017:
    VW-Ingenieur James Liang wird in den USA zu 40 Monaten Gefängnis verurteilt. Er hatte 2016 als Kronzeuge ausgepackt.

    6. Dezember 2017:
    Der frühere VW-Manager Oliver Schmidt wird in den USA wegen Verschwörung zum Betrug und Verstoßes gegen Umweltgesetze zu sieben Jahren Haft verurteilt.

    12. April 2018:
    VW-Markenchef Herbert Diess wird zum Nachfolger von Müller an der Konzernspitze berufen.

    18. Juni 2018:
    Der Chef der VW-Tochter Audi, Rupert Stadler, wird verhaftet. Die Ermittler werfen ihm Falschbeurkundung im Zusammenhang mit den Abgasmanipulationen vor.

    10. September 2018:
    Beginn des Kapitalanleger-Musterverfahrens vor dem Oberlandesgericht Braunschweig. Musterklägerin ist die Sparkassen-Fondstochter Deka Investment. Ziel des Prozesses ist eine Rahmenentscheidung, die für alle Beteiligten bindend ist.

    30. Oktober 2018:

    Rupert Stadler wird aus der Untersuchungshaft entlassen. Seinen Posten als Vorstandsvorsitzender ist er jedoch los. Bram Schot übernimmt seinen Posten.

    31. Juli 2019:

    Die Staatsanwaltschaft München II erhebt Anklage gegen Rupert Stadler und drei weitere Manager. Ihnen wird Betrug, mittelbare Falschbeurkundung sowie strafbare Werbung vorgeworfen.

    Gute Nachricht für Rupert Stadler: Dem Ex-Audi-Chef kann wohl kein aktives Handeln angelastet werden

    Stadler, der mit dem Rücken zu den Prozessbeobachtern sitzt, beginnt währenddessen, sich auf seinem Stuhl ein bisschen unruhiger hin und her zu drehen und das Kinn ab und an nach oben zu recken. Bis dahin hatte er die Verlesung der Anklage über sich ergehen lassen wie den Prozessauftakt auch: Gelassen, sich ab und zu mit seinen Anwälten austauschend, auch das eine oder andere Lächeln war drin.

    Grund dafür gab es später. Denn das Ende des Prozesstages hält am Mittwoch noch eine gute Nachricht für ihn bereit. Als die Staatsanwaltschaft durch ist, gibt es noch ein paar Hinweise des Gerichts. So geht die Kammer nach Aktenlage davon aus, dass für die Stadler zur Last gelegten Taten kein aktives Tun, sondern nur Unterlassen infrage komme. Bei Taten durch Unterlassen ist der Strafrahmen zwar grundsätzlich gleich, kann aber reduziert werden. Insgesamt wäre – im Falle einer Verurteilung – somit eine geringere Strafe zu erwarten.

    So weit ist es allerdings noch lange nicht. Das Verfahren ist auf 181 Verhandlungstage angesetzt. Ein Urteil wird für Dezember 2022 erwartet. Den Angeklagten drohen wegen Betruges, mittelbarer Falschbeurkundung und strafbarer Werbung Haftstrafen von bis zu zehn Jahren.

    Kommenden Dienstag wird der Prozess fortgeführt. Die Verteidiger haben ihre sogenannten Opening Statements angekündigt. Drei Stunden sind insgesamt dafür veranschlagt. Danach wird man klarer sehen, wie genau die Konfliktlinien zwischen den Angeklagten verlaufen. Wie Stadlers Sprecherin bestätigt, will der ehemalige Audi-Chef über die Stellungnahme seiner Verteidiger hinaus auch selbst aussagen.

    Hier finden Sie alle Artikel und News zum Prozess gegen Rupert Stadler.

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