Also dann auf nach Mertingen, einem Ort etwa 40 Kilometer nördlich von Augsburg. Dort soll sich eine Schreinerei befinden, bei deren Erwähnung Branchenkenner ein Glänzen in den Augen haben. Von Handwerk 4.0 ist die Rede. Die neue Revolution soll aber eigentlich Größen wie Siemens und dem Augsburger Roboterbauer Kuka vorbehalten sein.
Handwerk, das ist doch Handarbeit. Das stimmt zwar nach wie vor. Bei Fitz Interior in Mertingen zieht ein Mitarbeiter ganz weiches schwarzes Ziegenleder über quadratische Holz-Paneele, die einmal am Kopfende eines Bettes auf einer Luxus-Jacht angebracht werden. Dabei muss das Leder ein bestimmtes Muster haben. Das schwebt dem Designer so vor. Hier ist Präzisionsarbeit gefragt.
Der Mensch mit seinem genialen Handwerkszeug – hoch beweglichen Fingern – zeigt, was er kann. Mit Handwerk 4.0 hat das noch nichts zu tun, auch wenn die ziegenlederüberzogenen Paneele zuvor am Computer entworfen wurden. Bei dem Auftrag für ein Schiff müssen die schwäbischen Tüftler 560 solcher schwarzen Teile anfertigen. Die Faustformel lautet: Für so ein aufgepolstertes Paneel ist das Leder einer Ziege erforderlich.
Russische Oligarchen schwören auf Qualitätsarbeit aus Mertingen
Milliardäre – und nur die können sich Jachten von 100 Metern und mehr leisten – wollen das Beste. Das Beste ist dabei gerade aus Sicht von russischen Oligarchen deutsche Qualitätsarbeit wie von der Firma aus Mertingen. Dort überzieht ein Mitarbeiter andere Holzteile mit einem beigen Rattanstoff, was keine klassische Schreinerarbeit ist.
Doch Josef Fitz, Inhaber und Chef der Firma, sagt einen Satz, auf den er bei dem Besuch immer wieder zurückkommen wird: "Schreiner können alles." Sie arbeiten also auch als Sattler, Polsterer und sitzen vor Computern, um Bäder, Saunabereiche, meterlange wuchtige Polsterlandschaften und Wandverkleidungen von Schiffen zu entwerfen.
Josef Fitz redet über diese Welt ganz bodenständig in Schwäbisch. Der schlanke Mann mit dem Pferdeschwanz ist ein Grenzgänger. Hier sein Kosmos mit dem geliebten großen Garten, der ihm Ruhe und Entspannung bietet, dort Oligarchen wie der Russe Roman Abramowitsch. Im Konferenzraum des bayerischen Unternehmers hängt ein Bild der 118 Meter langen Jacht Pelorus neben seinem Meisterbrief.
Firmenboss Fitz setzt auf neuste 3D-Konstruktionstechnik
Für das riesige Schiff haben die Schreiner aus Mertingen das Steuerhaus, den VIP- und Gästebereich, ein Kino, die Kapitäns-Suite, Büros sowie Flure ausgestattet. Das alles wurde noch zweidimensional am Computer entworfen. Doch Josef Fitz setzt auf die neueste Technik.
So stellt sein Unternehmen jetzt auf ein dreidimensionales Konstruktionsprogramm um. Die Daten werden an das automatische Plattenlager mit dem Zuschnittcenter und Fräs- sowie Laserschneidemaschinen übertragen. Alles ist mit allem vernetzt. So funktioniert Handwerk 4.0.
Dabei werden die Räume einer Jacht oder eines Gebäudes am Standort in Schwaben nach einem millimetergenauen, lasergezeichneten Layout auf Platten vorgefertigt. Dann kommt der Fitz-Knochen zum Einsatz, eine Erfindung des Chefs. Das Teil sieht wie ein in die Länge gezogenes X aus. Damit werden Bauteile verbunden. Die traumhaften Kabinen der Jacht entstehen Teil für Teil in Mertingen und werden dort auch aufgebaut.
Wohnträume Made in Mertingen
Die Eigner können sich den Luxus anschauen, ehe er in Kisten verpackt und zu den Werften gebracht wird, wo Fitz-Spezialisten Stück für Stück Wohnträume Wirklichkeit werden lassen. Das von Josef Fitz ersonnene Montagesystem ist so flexibel, dass Wandverkleidungen schnell ausgetauscht werden können, wenn sich der Geschmack der Schiffseigner ändert.
Das flexible Montagesystem ist zwar noch nicht Handwerk 4.0, aber auf alle Fälle schwäbische Cleverness 4.0. Josef Fitz erzählt all die Storys unaufgeregt und bescheiden, ja mit einem Schuss Humor. Er stellt klar: "Ich habe kein Schiff. Des brauch ich ned." Was der Mann aber braucht, sind immer neue Maschinen.
Spätestens bei der Besichtigung seines "chaotischen Plattenlagers" wird deutlich, dass in seinem Betrieb die vierte industrielle Revolution längst begonnen hat. Da liegen Platten unterschiedlicher Größe und Holzart in einem riesigen umzäunten Bereich übereinander, ohne dass dahinter für einen Laien ein System erkennbar wäre.
System im Holzplatten-Chaos
Doch die Anordnung macht dann doch Sinn. Wenn per Computer etwa ein bestimmtes Ahornholz angefordert wird, kommt von oben ein Greifer mit vielen Saugnäpfen, schichtet Platten um, bis er die richtige gefunden hat. Josef Fitz hat in die Anlage eine halbe Million Euro investiert.
Er ist begeistert von der neuen Technik: "Die Maschine misst Platten aus und weiß auch, wie schwer sie sind." Auch lerne sie mit immer größerem Datenbestand dazu. So hält die künstliche Intelligenz Einzug im Handwerk.
Was ist aber mit den zwei bis drei Mitarbeitern passiert, die früher im Plattenlager gearbeitet haben? "Die brauchen wir alle", sagt Josef Fitz. Die Beschäftigten seien heute in anderen Bereichen der Firma tätig und müssten nicht mehr schwer heben.
Rund 90 Mitarbeiter arbeiten aktuell für Josef Fitz
Für den 57-Jährigen sind rund 50 Frauen und Männer tätig. Hinzu kommen bis zu 40 Monteure, die auf Werften die Präzisions-Schreinerarbeiten einbauen. Der Firmen-Chef will in diesem Jahr fünf Schreiner mehr ins Boot holen.
Sein Ziel sind insgesamt 20 zusätzliche Kräfte. Doch es ist schwer, ausreichend Spezialisten zu finden. Mancher Lehrling springt nach der Ausbildung ab und geht in die Industrie.
Auch im Zeitalter der Digitalisierung und bei aller Rationalisierung bleibt der Mensch das Zentrum der Wirtschaft. Wenn er flexibel und bereit ist, immer Neues zu lernen, muss er sich um seine berufliche Zukunft kaum sorgen.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Einfachere Arbeiten werden wegrationalisiert. Es verändert sich also die Art der Arbeitsplätze. Von den Beschäftigten wird ein immer höheres Maß an Kenntnissen im Umgang mit Computern und Maschinen erwartet.
Roboter lackieren präziser als Menschen
Dabei fallen zunehmend auch Arbeiten weg, die für den Menschen belastend sein können. Josef Fitz plant, in seiner Lackiererei einmal einen Roboter arbeiten zu lassen. Er beobachtet die Technik seit langem: "Die Maschine kann inzwischen präziser lackieren als der Mensch."
Dass es so weit gekommen ist, hängt mit einem Unternehmen zusammen, das Kanzlerin Angela Merkel als deutsches Industrie-4.0-Vorbild rühmt. Der Weg dorthin war lange. Denn die 1898 als Acetylenwerk für Beleuchtungen gegründete Augsburger Firma Kuka war lange vor allem für seine Schweißtechnik berühmt und fertigte etwa Müllwagen.
Doch 1973 war es so weit: Der Famulus verzückte als weltweit erster Industrieroboter mit sechs elektromechanisch angetriebenen Achsen die Fachwelt.
Es sollte aber lange dauern, ehe der wirkliche Grundstock für Industrie 4.0 gelegt wurde. Das Jahr 1996 brachte den Durchbruch: Kuka setzte auf eine offene, PC-basierte Robotersteuerung. Dies ermöglichte einen breiteren Einsatz der automatischen Gesellen.
Bernd Liepert bereitete bei KUKA Robotern den Weg
Es war plötzlich leichter, einen Roboter in der Produktion einzusetzen. Dieser revolutionäre Weg ist bei Kuka mit dem Namen Bernd Liepert verbunden. Der Mathematiker ist der geistige Vater der ersten Robotersteuerung auf Basis des vergleichsweise einfach zu bedienenden Computerprogramms Windows.
Kuka: Das ist der Augsburger Roboterbauer
Kuka ist ein Roboter- und Anlagenbauer mit Hauptsitz in Augsburg. In seiner Branche zählt Kuka zu den weltweit führenden Unternehmen. Bei Kuka arbeiten rund 14.256 Mitarbeiter.
Die Wurzeln von Kuka reichen bis ins Jahr 1898 zurück. Johann Josef Keller und Jakob Knappich gründeten damals das Acetylenwerk Augsburg. Ihr Ziel: die Produktion von kostengünstigen Haus- und Stadtbeleuchtungen. Doch bereits sieben Jahre danach weitete das Unternehmen die Produktion auf die neue Erfindung des Autogen-Schweißens aus.
Aus den Anfangbuchstaben der Unternehmensbezeichnung "Keller und Knappich Augsburg" entstand schließlich der Name Kuka.
Kuka wurde 1966 Marktführer bei Kommunalfahrzeugen in Europa. Auch weltweit wurden diese Fahrzeuge für Entsorgungs- und Reinigungsaufgaben bekannt. Der Kuka-Müllwagen war ein Begriff.
1973 schrieb Kuka Geschichte als Robotik-Pionier und entwickelt den Famulus - den weltweit ersten Industrieroboter mit sechs elektromechanisch angetriebenen Achsen. Das waren die Anfänge der heute auf Roboter- und Anlagenbau konzentrierten Firma.
Die Aufträge des Unternehmens kommen heute vor allem aus der internationalen Autoindustrie. Immer öfter liefert das Unternehmen aber auch an andere Branchen. Bei Bosch Siemens Hausgeräte in Dillingen helfen die Kuka-Roboter beispielsweise schon lange bei der Produktion der Spülmaschinen. In der Robotersparte machte die Zahl der Aufträge aus der General Industry, also allen Branchen abseits der Autofertigung, 2015 bereits mehr als ein Drittel aller Aufträge aus. Mit der neuen Tochterfirma Swisslog, die unter anderem in der Krankenhauslogistik tätig ist, will sich Kuka nach eigener Aussage noch unabhängiger von der schwankenden Autoindustrie machen.
Roboter werden immer intelligenter und arbeiten Hand in Hand mit Menschen. Die elektronischen Helfer sind mit einer zunehmend raffinierteren Software und Sensorik ausgestattet. Kuka ist längst auch ein IT-Konzern. Die Verknüpfung von Mechanik, also Robotergehäusen mit Elektronik, Informationstechnologie und selbst entwickelten Steuerungen lassen Kuka-Chef Till Reuter auf neue Kunden hoffen. "Industrie 4.0" heißt das Schlagwort. Die Augsburger gelten hier weltweit als Pioniere.
Für Kuka geht es seit Jahren aufwärts. 2017 betrug der Umsatz rund 3,5 Milliarden Euro, davon entfallen 1,2 Milliarden auf den Geschäftsbereich Robotics.
Einer der wichtigsten Wachstumsmärkte von Kuka ist China. Seit 2000 ist Kuka hier präsent. Im Dezember 2013 ging eine neue Fertigungsstätte in Shanghai in Betrieb. In einem Werbespot konnte man sehen, wie sich der in China sehr bekannte deutsche Tischtennisstar Timo Boll mit einem Kuka-Roboter duelliert.
Die Roboter von Kuka hatten auch schon einen Auftritt im Kino: im James-Bond-Film "Die Another Day".
Chef des Unternehmens ist Till Reuter. Als er 2009 die Führung des Augsburger Roboter- und Anlagenbauers übernahm, kannte Till Reuter kaum einer in der Region. Reuter, Jahrgang 1968, hatte zuvor als Wirtschaftsjurist, Rechtsanwalt und Investmentbanker für Adressen wie die Deutsche Bank, Lehman Brothers und Morgan Stanley gearbeitet.
Nachdem sich die Familie Grenzebach aus dem kleinen nordschwäbischen Ort Hamlar nach einer langen Phase als bestimmender Aktionär zurückgezogen hat, übernahm diese Schlüsselposition das baden-württembergische Familienunternehmen Voith. Der Investor aus Heidenheim hält 25,1 Prozent an dem Roboterbauer, besitzt also eine Sperrminorität. Gegen Voith läuft nichts bei Kuka.
Der Roboter-Experte ist heute Chief Innovation Officer des Unternehmens, also ein Vordenker. Der Motor der vierten industriellen Revolution besteht für den Manager vor allem in der enorm gestiegenen Rechenleistung der IT-Technologie.
Dadurch sei es möglich, alle Spieler in einer Produktion zu vernetzen. Die Maschinen wissen übereinander Bescheid und in der Cloud, also der Datenwolke, werden fern von allen Rechnerfestplatten Unmengen an Daten geparkt und mit mathematischen Algorithmen ausgewertet. Am Ende lernen die Maschinen.
Roboter-Visionär Liepert sagt: "Diesen Teil der neuen industriellen Revolution kriegen wir immer besser in den Griff." So erkennen virtuelle Google-Roboter, wenn sich ein Internetnutzer immer wieder auf Seiten mit Joggingschuhen tummelt. Am Ende wird ihm entsprechende Werbung für Laufschuhe eingespielt.
Hardware verzögert den Fortschritt der Service-Robotik
Nun wird unsere Reise in die technologische Zukunft besonders spannend. Denn während die IT-Seite Liepert kaum Sorgen macht, stockt der Fortschritt in der Robotik manchmal noch an der Hardware, also an Maschinen.
Das trifft vor allem auf die Service-Robotik zu. Liepert, der auch Präsident der europäischen Robotik-Vereinigung ist, zeigt ein Bild eines schon in den USA eingesetzten Roboters, der Kunden eines Hotels auf Wunsch Getränke und Snacks vorbeibringt.
Rein computermäßig läuft alles problemlos ab. Aber dann bleibt die rollende automatische Tonne plötzlich in einem Fransenteppich hängen und nichts geht mehr. Am Ende der Reise in die Welt der Industrie 4.0 türmen sich den Fortschritt verlangsamende Hürden auf. Das hat auch Vorteile, finden Hilfskräfte doch noch die ein oder andere Arbeit. Denn Fransenteppiche meistert der Mensch mit Bravour.
Aber der Druck in immer älter werdenden Gesellschaften wie Deutschland ist groß, Roboter zu entwickeln, die Menschen helfen können, in der eigenen Wohnung zu bleiben. Derartige Apparate können Kranken ihre Pillen bringen, als eine Art Gehhilfe dienen oder den Arzt verständigen, wenn es dem Menschen nicht gut geht.
Roboter übernehmen künftig für Menschen Pflegedienste
Hier kommt ein weiterer Fachausdruck ins Spiel, nämlich IoT oder ausgeschrieben Internet of Things. Dabei wird der Mensch, also etwa ein pflegebedürftiger Mann, über einen Roboter mit dem weltweiten Datennetz verbunden.
So könnte die Maschine den Gesundheitszustand seines Schützlings überwachen und Bilder von ihm mit anderen aus dem Internet abgleichen. Der Roboter wäre also in der Lage zu erkennen, dass es dem Patienten nicht gut geht.
Was passiert jedoch, wenn die Maschine anfängt, den Kranken zu streicheln, um ihn zu trösten, weil sie im Internet entsprechende Fotos von menschlichen Verhaltensweisen entdeckt hat? Hier könnte künstliche Intelligenz ziemlich dumm ausgehen. Besser wäre es, der Roboter würde einfach rasch den Notarzt rufen und das den älteren Mann wohl verängstigende Streicheln unterlassen.
Kuka-Mann Liepert ist deshalb überzeugt: "Wir brauchen klare Regeln, eine Roboter-Ethik.“ Am Ende sind also Philosophen und Theologen gefragt. Der Mensch muss den Maschinen klar sagen, was sie dürfen und was nicht. Das wäre dann die fünfte industrielle Revolution. Sie muss im Zeichen des Humanismus stehen.