So sieht er also aus, der Teppich unter den Teppichen, der Standard aller Fußabtreter: zwei Meter lang, 60 Zentimeter breit, kurzes, rotes Haar, gefertigt in Belgien gemäß der Staubsaugerprüfnorm EN 60312. Was ein Normteppich sein will, braucht natürlich einen Namen. „Wilton“ heißt er. Der Mann im gestreiften Hemd macht eine Kunstpause, dann sagt er: „So ein Teppich ist empfindlicher als Cristiano Ronaldo.“
Und Empfindlichkeit, das könne man im Testlabor gar nicht brauchen. Wer wissenschaftliche Messungen durchführen will, braucht konstante Bedingungen. Darum ist hier alles vorgegeben: der Testablauf, die Temperatur, der Teppich – und wie viel von welchem Staub darauf landen wird.
Stiftung Warentest: An den Testmethoden ist Kritik laut geworden
Holger Brackemann scheint die Frage seines Gegenübers zu ahnen. „Es ist ein irrer Aufwand, so ein bisschen Staub auf einem Teppich zu verteilen.“ Der 53-Jährige muss es wissen. Er ist der Cheftester der Stiftung Warentest. Hier, im geheimen Prüflabor irgendwo in Sachsen, lässt die Organisation regelmäßig untersuchen, welche Tabs besser spülen als andere, welche Heckenschere am längsten durchhält und welchen Sauger man guten Gewissens empfehlen kann.
An diesem Tag sollen sich die Besucher davon überzeugen, wie genau die Stiftung arbeitet. Nun, da Kritik an ihren Testmethoden laut geworden ist.
Die Staubsaugerdüse senkt sich wie von Geisterhand auf den roten Teppich, rollt zehn Mal vor und zurück. Nun wird gewogen, wie viel Staub im Beutel ist. Im nächsten Raum wird gemessen, welche Belastung das Gerät verkraftet. 10 000 Mal hopst der Sauger über eine Türschwelle, 1000 Mal knallt er gegen einen Türpfosten. „So simulieren wir zehn Jahre Dauergebrauch“, sagt der Mann, der anonym bleiben muss, ebenso wie sein Arbeitgeber.
Bei der Stiftung Warentest ist vieles geheim
So viel Geheimniskrämerei hat einen Grund, erklärt Brackemann. Über 90 000 Produkte hat die Stiftung Warentest in 50 Jahren unter die Lupe nehmen lassen. Denn sie testet nicht selbst, sondern beauftragt damit 100 unabhängige Prüfinstitute. Welche das sind, soll geheim bleiben, damit die Hersteller keinen Einfluss nehmen können. Schließlich leben die Prüffirmen in erster Linie von der Industrie.
Für diese sind die Urteile der Stiftung Warentest Fluch und Segen zugleich. Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschlands, kennt das Spiel. Ein „Sehr gut“ macht so manches Produkt zum Verkaufsschlager. „Was dagegen schlecht bewertet wird, lässt der Kunde liegen.“ Ein Umstand, auf den der Handel empfindlich reagiert.
Negativ getestete Produkte werden schnell aus Regalen verbannt. Im schlimmsten Fall kann das eine Firma sogar ruinieren. Niemand weiß das besser als Uschi Glas, deren Gesichtscreme die Stiftung vor zehn Jahren mit „mangelhaft“ abstrafte. Die Verkaufszahlen stürzten ab, der Hersteller ging pleite.
Jeder Dritte orientiert sich am Urteil der Stiftung Warentest
Während so manches Unternehmen vor dem Urteil der Warentester zittert, sind diese für viele Verbraucher so etwas wie eine letzte Instanz. In einer Zeit, in der man selbst dem ADAC nicht mehr bedingungslos trauen kann. Der Stiftung Warentest aber schenken 82 Prozent der Deutschen großes bis sehr großes Vertrauen, wie aus einer aktuellen Umfrage hervorgeht – weit mehr als Verbraucherzentralen oder dem Kartellamt.
Ein Drittel orientiert sich vor wichtigen Käufen am Urteil der Tester. Stiftungsvorstand Hubertus Primus sagt: „Wir leben vom Vertrauen des Verbrauchers in unsere Testergebnisse.“
Vielleicht muss er das aber auch sagen – jetzt, wo die Kontrollinstanz erstmals in 50 Jahren ernsthaft um ihr Ansehen kämpft, wo die vermeintlich Unfehlbaren für manche fehlbar geworden sind. Die Rede ist vom Fall Ritter Sport.
Seit die Stiftung Warentest Ritter Sport verriss, ist die Kritik groß
Seit die Warentester die Vollmilch-Nuss-Schokolade des Herstellers mit „mangelhaft“ abgekanzelt haben, weil sie ihrer Meinung nach ein künstliches Vanillearoma enthält und kein natürliches, reißt die Kritik nicht ab. In Talkshows wird diskutiert, ob die Stiftung nicht zu viel Macht hat. In Zeitungen melden sich Experten zu Wort, die die Testkriterien der Verbraucherschützer infrage stellen.
Der junge Mann im weißen Shirt ist der Falsche, wenn es um Nuss-Schokolade geht. Er spricht lieber über Heckenscheren, über Dauerbelastungstests und darüber, dass es selbst in einem Prüfinstitut wie diesem nicht so viel Hecke gibt, dass man sie 100 Stunden am Stück stutzen kann. Also haben die Ingenieure einen Prüfstand entwickelt, der etwas abstrus aussehen mag, aber „verdammt nah an der Realität ist“.
Darin stecken lange Eichenholzstäbe, die vorher in eine Lösung eingelegt wurden und nun so weich sind wie eine Hecke. Der Mitarbeiter zeigt auf die vier Heckenscheren, die im Kreis fahren und Stab um Stab stutzen. „Alles, was wir tun müssen, ist, alle halbe Stunde ein Stück Hecke nachzufüllen“, sagt er.
Stiftung Warentest: Eingekauft wird anonym
Ehevermittlungen hat die Stiftung schon unter die Lupe genommen, Horoskope, sogar Toilettenpapier. Andere Waren wie Matratzen, Smartphones und Staubsauger werden jedes Jahr untersucht. Wie aber kommen die Tester darauf?
Brackemann berichtet von einem komplizierten Verfahren. Was getestet wird, entscheidet letztlich ein Kuratorium, in dem Verbraucherschützer, Wirtschaftsvertreter und neutrale Beobachter sitzen. Eingekauft wird anonym, damit niemand den Testern verbesserte Produkte unterjubeln kann.
Der Mann im Werbefilm geht durch das Kaufhaus, den Kragen hochgeschlagen, die Kappe tief im Gesicht. Er ist einer von zehn Testkäufern. „Ich versuche, möglichst unauffällig zu bleiben und mich nicht in Fachgespräche verwickeln zu lassen“, erklärt er. Daher bezahlt er stets bar. Dann wandert die Ware ins Prüflabor.
Welche Eigenschaften eines Produkts getestet werden und welches Kriterium wie stark wiegt, legt die Stiftung selbst fest. Genau das aber stört viele Beobachter. Die Ritter-Sport-Schokolade bekam wegen des vermeintlich chemischen Aromas „mangelhaft“, schnitt aber in puncto Geschmack und Qualität „gut“ ab.
Reicht ein negativer Punkt aus, um ein sonst einwandfreies Produkt abzustrafen? Wie soll der Kunde das verstehen? Handelsvertreter Genth sagt: „Da ist die Stiftung Warentest übers Ziel hinausgeschossen.“
Ritter Sport zog gegen die Stiftung Warentest vor Gericht
Ritter Sport hat gewagt, was nur wenige Hersteller tun: Die Schokoladenfirma zog vor Gericht und erwirkte eine einstweilige Verfügung. Die Stiftung legte daraufhin Berufung ein. Frühestens im Juli geht der Fall vor das Oberlandesgericht.
Längst ist es nicht nur dieser Fall, der Kritikern sauer aufstößt. Da sind die Adventskalender, bei denen die Tester vor Mineralöl in der Schokolade warnten. Das hielt selbst das Bundesinstitut für Risikobewertung für übertrieben. Da sind die Funktionsjacken, die im Test einem Wolkenbruch standhalten sollten. 450 Liter Wasser pro Quadratmeter ließ man auf die Jacken prasseln – zehn Mal mehr, als bei einem gewöhnlichen Platzregen niedergehen.
Dass zehn von 17 Jacken die Note vier oder fünf bekamen, wundert Genth nicht: „Diese Normen haben nichts mehr mit Wanderbekleidung zu tun. Da müssten Sie schon auf einer Bohrinsel arbeiten.“
Brackemann findet daran nichts Falsches. „Wir glauben nicht, dass wir an unserem Selbstverständnis etwas ändern müssen.“ Die Stiftung teste nach wissenschaftlichen Kriterien, die bisweilen über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen. Ein Verfahren, das der Bundesgerichtshof genehmigt hat.
Andere vermuten darin Taktik. So wie Michael Braungart, wissenschaftlicher Leiter des Hamburger Umweltinstituts. „Die Stiftung skandalisiert mittlerweile nahezu willkürlich. Sie schürt Ängste unter den Verbrauchern, die teilweise völlig unberechtigt sind“, sagte er zuletzt der Welt.
Will die Stiftung Warentest mit Negativschlagzeilen ihre Heftverkäufe steigern?
Geht es der Einrichtung darum, in Zeiten sinkender Auflagen mehr Test-Hefte zu verkaufen? Anita Stocker wird wütend, wenn sie so etwas hört. „Die Leute erwarten von uns keine Negativschlagzeilen, sondern Kaufempfehlungen“, sagt die Test-Chefredakteurin und argumentiert, dass die Stiftung schwarze Zahlen schreibt, dass nach wie vor die Note „gut“ am häufigsten vergeben wird. Brackemann wiederum betont, dass die Stiftung in 50 Jahren nie zu Schadenersatz verurteilt wurde.
Draußen vor dem Prüfinstitut rollen Rasenroboter über die Wiese, drinnen rumpelt die Waschmaschine. Doch wer hier testen will, kann nicht irgendwelche T-Shirts hernehmen, er braucht vergleichbare Bedingungen. „Wissen Sie, hier ist alles vorgegeben“, sagt der Mitarbeiter. Was Normteppich „Wilton“ für den Staubsauger ist, das ist der Schmutzstreifen für die Waschmaschine.
Sechs Schmutzarten von Rotwein bis Kakao sind darauf enthalten. Diese kauft das Institut von fremden Herstellern, genauso wie den Norm-Staub. Cheftester Brackemann scheint zu ahnen, wie das für Außenstehende klingt: „Prüfer sind schon eine ganz spezielle Spezies.“