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Coronavirus: Der BER öffnet - nur was bringt das, wenn kaum einer fliegt?

Coronavirus

Der BER öffnet - nur was bringt das, wenn kaum einer fliegt?

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    So viel Betrieb ist am BER nur zu Testzwecken. Wenn der Hauptstadtflughafen im Oktober öffnet, dürfte aufgrund der Corona-Krise wenig Betrieb sein.
    So viel Betrieb ist am BER nur zu Testzwecken. Wenn der Hauptstadtflughafen im Oktober öffnet, dürfte aufgrund der Corona-Krise wenig Betrieb sein. Foto: Patrick Pleul, dpa

    Endlich, endlich, neun Jahre später als geplant, öffnet er doch noch. Und wird dann wohl gar nicht mehr gebraucht – zumindest mittelfristig. Irgendwie passt das zu der unendlichen Geschichte um den Bau des Pannen-Airports, der offiziell Flughafen Berlin Brandenburg „Willy Brandt“ heißt. Denn dessen voraussichtlich letztes Kapitel fällt ausgerechnet in die Zeit der Corona-Pandemie. Die hat zu einer beispiellosen Krise der weltweiten Luftfahrt geführt.

    Um bis zu 98 Prozent sind die Fluggastzahlen deutscher Airports aktuell eingebrochen. Am Münchner Flughafen hat man das Terminal 1 für die Passagierabfertigung geschlossen. Und an den bestehenden Hauptstadtflughäfen Tegel und Schönefeld starten und landen derzeit nur noch ein Bruchteil der sonst üblichen Passagierzahlen. Zumindest im Moment scheint der neue Mega-Airport, der zunächst auf 34 Millionen, in einer künftigen Ausbaustufe sogar auf bis zu 58 Millionen Fluggäste im Jahr ausgelegt ist, so überflüssig wie ein Kropf.

    Trotzdem soll es nach 14 Jahren Bauzeit und etlichen verschobenen Eröffnungsterminen am 31. Oktober nun wirklich so weit sein. Doch es scheint nahezu ausgeschlossen, dass zu diesem Zeitpunkt die Nachfrage bereits wieder alte Höhen erreicht hat. Das wird, selbst wenn die aktuellen Reise- und Flugbeschränkungen bald aufgehoben werden sollten, wohl noch Jahre dauern.

    Der neue Mega-Airport scheint in diesen Tagen so überflüssig wie ein Kropf

    Skeptiker hatten damit gerechnet, dass auch bis zur Inbetriebnahme des BER noch weitere Jahre ins Land ziehen würden. Zu groß schien vor allem das Chaos um die Sicherheitsstromversorgung im Hauptterminal. Vor wenigen Tagen nun erteilte der zuständige TÜV die letzte noch ausstehende Genehmigung. Damit ist die gesamte Sicherheitstechnik, lange Zeit ein besonders ergiebiger Problemquell des an Problemen insgesamt nicht armen Flughafenbaus, abgenommen.

    Wie Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup dem Brandenburger BER-Sonderausschuss versicherte, steht damit der Eröffnung nichts mehr im Weg. „Bei der Inbetriebnahme im Oktober 2020 sehen wir keine Risiken.“ Laut Lütke Daldrup sorge die Pandemie zwar auf dem Erweiterungsterminal 2 für Verzögerungen, da viele Arbeiter nicht auf die Baustelle kommen könnten. Angesichts des geringen erwarteten Fluggastaufkommens aber reiche das Terminal 1 bei weitem aus. Ursprünglich war für Ende April eine große Übung mit 20000 Komparsen geplant, die wegen Corona verschoben wurde. Sie soll nun im Juni in reduzierter Form stattfinden, so ein Flughafensprecher.

    Besichtigungen des riesigen Flughafen-Geländes im brandenburgischen Landkreis Dahme-Spreewald im Süden der Hauptstadt erlaubt die Betreibergesellschaft derzeit nicht. Die Bauarbeiten sind weitgehend abgeschlossen. Aktuell laufen noch Abnahmen, Messungen und Prüfungen. Auf den Rollfeldern sind schon jede Menge Flugzeuge aufgereiht. Es handelt sich um aktuell nicht benötigte Maschinen der von der Krise schwer gebeutelten Lufthansa. Starts und Landungen finden nicht statt, die Düsenjets stehen einfach nur da. Gerade dadurch wirkt das 1470 Hektar große Gelände nicht wie eine Baustelle, sondern wie ein Geisterflughafen. Dabei hätte schon ab Herbst 2011 hier geflogen werden sollen.

    In Berlin sollte ein Denkmal deutscher Ingenieurskunst und Effizienz entstehen

    Es kam anders, denn auf Europas größter Flughafenbaustelle ging schief, was schiefgehen konnte. Nach der deutschen Wiedervereinigung, so hatte die Politik Jahre vorher entschieden, sollte auch die neue Hauptstadt Berlin einen ihrer Bedeutung angemessenen Flughafen bekommen. Ein Denkmal deutscher Ingenieurskunst und Effizienz sollte entstehen. Doch nicht erst mit dem ersten Spatenstich im September 2006 wurde der Bau zu einem Desaster. Nach Meinung der Kritiker war schon der Standort im Süden der Stadt falsch gewählt. Ganze Dörfer mussten weichen, die Klagen der Betroffenen sorgten für lange und teure Gerichtsverfahren, gestritten wurde auch um Flugrouten und Lärmschutz.

    Als schließlich die Arbeiten begannen, war auch der Grundstein für das spätere Chaos schon mit gelegt. Die Politik –Bauherren sind die Länder Berlin und Brandenburg sowie der Bund – machte gleich mehrere gravierende Fehler. Ein Name spielt in allen Diskussionen um den BER-Schlamassel die Hauptrolle: Klaus Wowereit. Unter dem schillernden Regierenden Bürgermeister Berlins wurden Politiker zu Bauherren und scheiterten in dieser Rolle krachend.

    Zu Beginn des Projekts war noch geplant, die Bauarbeiten einem privaten Konsortium als Generalunternehmer zu übergeben. Dieses bei Großvorhaben bewährte Prinzip aber wurde im Streit über die Kosten und die Frage, wer welche Risiken übernehmen sollte, aufgegeben. Stattdessen wurde das Projekt unter Regie der öffentlichen Hand weiterverfolgt. Im Aufsichtsrat saßen keine Experten, sondern Freunde von Wowereit, wurde immer wieder kritisiert. Auch für zahlreiche nachträgliche, kostspielige Sonderwünsche zeichnete die Politik verantwortlich. So musste für eine zweite Fluggastbrücke für den Super-Airbus A380 die gesamte Ladenzeile umgebaut werden. Im Hintergrund standen Befürchtungen, der Airport könnte schon bei seiner Eröffnung zu klein sein.

    Es verwundert nicht, dass das Projekt immer weiter in Verzug geriet, ein Flughafenchef um den anderen scheiterte. Nachdem auch der Eröffnungstermin 2012 geplatzt war, suchten die für das Desaster verantwortlichen Politiker nach Sündenböcken und schickte die bisherigen Planer und Architekten in die Wüste. Damit waren die Einzigen, die noch so etwas wie einen Überblick hatten, nicht mehr da. Mit einem Schlag ging wertvolles Detailwissen über das Bauprojekt verloren. Nachfolger mussten zuerst mühevolle „Baustellen-Archäologie“ betreiben, um den Anschluss zu finden. Auf Terminverpflichtungen ließen sich die neuen Planer nicht mehr ein. Weil wichtige Auftragnehmer nach Stunden und nicht nach Leistung bezahlt wurden, hielt sich das Interesse an einer zügigen Fertigstellung in engen Grenzen. Schier unüberwindlich schienen zwischenzeitlich die Mängel im Brandschutz, die Entrauchungsanlage erwies sich als fehlerhaft konstruiert. Geplant hatte sie ein Bauzeichner, der sich nur als Ingenieur ausgegeben hatte.

    Viele sahen nur einen Ausweg: den BER abreißen und neu bauen

    Wände mussten eingerissen und wieder aufgebaut werden. Überall Kabelsalat. Nichts passte zueinander. Kilometerlange Leitungsstränge mussten teils komplett ausgetauscht werden. Selbst seriöse Experten sahen zeitweise nur einen Ausweg: abreißen und neu bauen.

    Gleichzeitig bekam die boomende Hauptstadt ein Verkehrsproblem. Das legendäre Flugfeld Tempelhof, wo zu Zeiten der Berlin-Blockade die amerikanischen „Rosinenbomber“ landeten, wurde planmäßig 2008 geschlossen. Tegel im Nordwesten der Stadt sollte 2012 folgen. Doch daraus wurde nichts. Tegel arbeitet bis heute weit über seiner Kapazitätsgrenze. Der ebenfalls veraltete Flughafen Schönefeld, wo einst die Maschinen der DDR-Linie Interflug abhoben, musste zwischenzeitlich erweitert werden, weil auf der BER-Baustelle nebenan kein Ende in Sicht war.

    Dabei sind am neuen Hauptstadtflughafen viele Teile seit Jahren fertiggestellt und müssen aufwendig vor dem Verfall geschützt werden. Laufbänder sind mit Decken und Holzplatten abgedeckt, damit sich Staub und Dreck nicht in die Technik fressen. Vor Haltestellen halten keine Busse, Großparkhäuser stehen leer. Dabei hatten schon 2011 hunderte Komparsen den Vollbetrieb getestet. Doch bislang war keiner der Eröffnungstermine haltbar.

    Ihren Höhepunkt erreichte die Ernüchterung, als 2013 eine Mängelliste präsentiert wurde, die mehrere zehntausend Punkte umfasst. Jahr für Jahr wurde seither Fehler um Fehler behoben, doch der Prozess ging schleichend voran und war von Rückschlägen und Streit geprägt. Politiker, Planer und Firmen schoben sich gegenseitig die Verantwortung für die Pannenserie zu. Wenn sich klärte, wer tatsächlich nach den Verträgen verantwortlich war, dann beharrte der in aller Regel darauf, er sei nicht informiert gewesen. Und damit natürlich auch nicht verantwortlich.

    BER kostet zur Fertigstellung rund 7,1 Milliarden Euro

    Auf umfassende Aufklärung der hanebüchenen Vorgänge wurde nicht allzu viel Wert gelegt. Ein Pressesprecher, erst wenige Monate im Amt, sagte 2016 etwas zu ehrlich, die alte Flughafencrew habe zu viel verbockt, zu viele Milliarden seien in den Sand gesetzt worden. Er musste seinen Hut nehmen, wie so viele BER-Funktionäre zuvor. Mehrere Flughafenchefs wurden verschlissen. Wie es scheint, ist nun der ehemalige Staatssekretär Engelbert Lütke Daldrup der Mann, der die Anlage wirklich in Betrieb nimmt. Rund 7,1 Milliarden Euro wird das Projekt den Steuerzahler bis zur Fertigstellung gekostet haben – mehr als das Dreifache der ursprünglich veranschlagten Summe.

    Inzwischen wirkt das helle Holzfurnier, das die zentrale Abflughalle dominiert, so in die Jahre gekommen, wie es ja auch ist. Dass der Eröffnungstermin nun ausgerechnet in die Zeit fällt, in der die Luftfahrt pandemiebedingt am Boden liegt, ist für Lütke Daldrup kein Grund für eine weitere Verschiebung. Er gehe davon aus, dass die Branche bald wieder anziehe. Der BER werde dringend gebraucht, auch weil er viel Platz biete, um die im Kampf gegen das Coronavirus nötigen Abstandsregelungen einzuhalten. Die niedrigeren Passagierzahlen seien für den Start im Oktober sogar ein Vorteil. „Das wird den Eröffnungsprozess entspannen, weil wir uns nicht mehr auf den Volllastbetrieb vorbereiten müssen.“

    In der Berliner Folklore, die längst eine eigene Kategorie der BER-Witze kennt, wird diese Art Zweckoptimismus so übersetzt: Wenn keiner fliegt, funktioniert der BER sicher ganz prächtig. Oder wie es Die Welt zuletzt in einem Satirestück formulierte: Der riesige BER müsse wegen der amtlichen Corona-Einschränkungen auf 800 Quadratmeter verkleinert werden, bevor er an den Start gehen darf.

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