Die Beschäftigten des schwäbischen Kunststoff-Spezialisten Ritter arbeiten seit Wochen auf Hochtouren. Der in Schwabmünchen südlich von Augsburg beheimatete Betrieb wurde von den Behörden als „systemrelevant“ eingestuft.
Die von dem Unternehmen erzeugten medizintechnischen Produkte sind also in Corona-Zeiten von nationaler Bedeutung für das Gesundheitswesen. Deswegen darf die Produktion des Anbieters sieben Tage rund um die Uhr laufen.
Ralf Ritter: „Ich bin sehr stolz auf die Beschäftigten“
„Es ist unglaublich, welche Energiereserven unsere Mitarbeiter aktiviert haben. Ich bin sehr stolz auf die Beschäftigten, da sie in Krisenzeiten ein hohes Maß an Solidarität zeigen. Sie wissen, dass sie mit ihrer Arbeit Deutschland unterstützen“, sagt Ralf Ritter, dem die Firma mit seinem Bruder Frank gehört. Doch auf Dauer wäre die Belastung für die Beschäftigten zu hoch. Deshalb sucht das Unternehmen nun „dringend“ langfristig zehn bis 15 zusätzliche Fachkräfte.
Mit ihnen allein wird Ritter die immer größere Nachfrage indes nicht bewältigen können. So haben die beiden Inhaber einen Plan entwickelt: Sie werben zusätzlich um weitere Mitarbeiter, die bereit sind, kurz- und mittelfristig bei Ritter einzusteigen, um den Auftragsboom abzuarbeiten.
Dabei appellieren die Unternehmer an die Verantwortlichen anderer Betriebe der Region, die sich in Kurzarbeit befinden, ihnen Experten vorübergehend zu überlassen. Die Schwabmünchner Kunststoff-Spezialisten wissen natürlich nicht, wie lange die Nachfrage nach Corona-Tests auf einem derart hohen Niveau bleibt. Doch derzeit ist die Situation dramatisch.
Massive Nachfrage bei Ritter in Schwabmünchen wegen Corona
Die Ritter-Geschäftsführer hat etwa ein Brief aus Großbritannien erreicht, in dem die Chefs einer Kinderklinik dringend bitten, ob sie einzelne Test-Pakete von dem bayerischen Betrieb bekommen können. Und Labore aus der Region schicken Sprinter-Fahrzeuge in Eilmissionen zu Ritter nach Schwabmünchen, um heiß ersehntes neues Material für Untersuchungen zu ergattern.
Ähnlich wie bei Masken hat also auch in der Labor-Diagnostik längst ein massiver Ansturm auf die Hersteller entsprechender Materialien eingesetzt. Ritter profitiert nun vom Zufall, dass im März dieses Jahres der Bau einer weiteren Produktionshalle mit 6000 Quadratmetern in Schwabmünchen fertig geworden ist. Dort sollen die bis zu 20 neuen Spritzgussanlagen aufgestellt werden, welche die Firma bestellt hat, um dem Auftragssegen gerecht zu werden. Zu den bisherigen beiden Kuka-Robotern kommen dann acht weitere hinzu.
Dabei hatten die Ritter-Inhaber vorsorglich in der Krise auch Kurzarbeit angemeldet. Doch schnell wurde klar, dass vielmehr deutliche Mehrarbeit ansteht. Denn die Pipettenspitzen der Schwaben, mit denen Testflüssigkeiten von Behälter zu Behälter transportiert werden können, stellen weltweit nicht viele Firmen in der Qualität her. Konkurrenten von Ritter sitzen vor allem in den USA. Diese börsennotierten Konzerne kaufen selbst bei den Bayern ein.
Ritter-Brüder: „Wir wollen Deutschland, ja wir wollen Europa schützen.“
Die Ritter-Testmaterialien wandern schließlich in drei bis sechs Meter lange, tonnenschwere Geräte, die automatisch überprüfen, ob Tests positiv oder negativ sind. Dank solcher Roboter lassen sich mehrere tausend Proben am Tag mit einer Maschine auswerten. Den Ritter-Brüdern geht es nach eigenem Bekunden nicht so sehr um das zusätzliche Geschäft, auch wenn das für sie erfreulich ist. Immer wieder beteuern sie im Gespräch: „Wir wollen Deutschland, ja wir wollen Europa schützen. Ja, wir sehen uns als deutsches Unternehmen in die Pflicht genommen.“ Dabei kündigen die Unternehmer an, „die Kapazitäten zum Großteil für den europäischen Markt zur Verfügung zu stellen“.
Das funktioniert nur mit einem regionalen Solidaritätsmodell, einer Art unkompliziertem schwäbischen Beschäftigungspakt: Auf diese Weise könnte etwa ein Mitarbeiter aus der Autoindustrie, dessen Unternehmen Kurzarbeit fährt, vorübergehend die Mannschaft in Schwabmünchen verstärken.
Dabei ist Ritter nicht nur mit medizinischen Produkten erfolgreich. Das Unternehmen stellt vor allem Kunststoff-Kartuschen her, in denen etwa in Baumärkten Silikon abgefüllt ist. Die Firma liefert auch „Capsa“ genannte, selbst entwickelte Kaffeekapseln für Dallmayr. Und wenn der Boden zum Beispiel auf Reit-, Park- oder Golfplätzen befestigt werden muss, kommen wabenförmige Kunststoffgitter des Unternehmens zum Einsatz.
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