Es gibt in Montreal, nicht weit vom alten Hafen, ein Geschäft, das „Noël Éternel“ heißt. Ein putziger kleiner Geschenkeladen mit roten Christbaumkugeln, Schnitzwerk, Tannenbäumen, Kunstschnee-Gestöber, (fast) allem, was es zum Fest braucht. Der Laden hat das ganze Jahr geöffnet, ewige Weihnacht. Er ist eine Pilgerstätte für all jene, die schon weit vor dem ersten Advent das erste Mal „Der kleine Lord“ schauen, im Hochsommer den würzigen Duft von Glühwein vermissen und bereits dabei überlegen, was sie dem lieben Kollegen auf der noch allzu fernen Weihnachtsfeier wichteln werden (Rentier-Pullunder in Neongrün, dazu eine Heißklebepistole).
Ein guter Termin, um bei drei bis acht Glühwein alleine oder in doch sehr überschaubarem Kreis Little Lord Fauntleroy im Fernseher zuzuprosten, wird in diesem Pandemie-Winter das Datum der Betriebsweihnachtsfeier sein. Denn die wird es auch in vielen Unternehmen in der Region schlicht und ergreifend nicht geben. Wer sich umhört, bekommt genau das bestätigt.
Einer der größten Arbeitgeber in der Region, Audi, hält es beispielsweise so. Wie im werkseigenen Intranet kommuniziert wurde, hat der Vorstand beschlossen, dass „betrieblich veranlasste Feierlichkeiten wie Weihnachts- bzw. Jahresendfeiern in der Saison 2020/21 ausgesetzt werden“. Die genannten Gründe liegen auf der Hand: Die vergangenen Monate, so heißt es im Audi „mynet“, hätten gezeigt, dass Feiern in Corona-Zeiten ein hohes Infektionsrisiko darstellen. Auslöser der ersten Infektionswelle in Europa seien Après-Ski-Partys, Starkbierfeste und Karnevalsveranstaltungen gewesen, sogar in den Sommermonaten sei das lokale Ausbruchsgeschehen häufig auf Feiern und Feste zurückzuführen gewesen und hätte umfangreiche Quarantänemaßnahmen zur Folge.
Die Maske verrutscht beim Glühweintrinken leicht
Partys in geschlossenen Räumen sind bekanntermaßen noch risikoreicher: Es ist enger, die Aerosoldichte höher und spätestens ab dem vierten Glühwein machen sich nicht wenige lockerer, als es dem Abstand guttut. Außerdem verrutscht die Maske beim Glühweintrinken ziemlich leicht.
Beim Augsburger Roboter-Hersteller Kuka ist Angaben einer Sprecherin zufolge angesichts der „dynamischen Lage“ in Sachen Weihnachtsfeiern derzeit noch nichts entschieden. Laut IHK Schwaben haben die meisten Firmen ihre großen Feiern allerdings bereits abgesagt. Wenn überhaupt, so ist zu hören, werde über sehr kleine Sausen auf Abteilungs- oder Team-Ebene – am besten draußen und mit Heizpilz – nachgedacht.
Fragt man bei den üblicherweise fürs Buffet Verantwortlichen nach, bestätigen auch sie, dass zu Weihnachten in den Betrieben heuer eher „O du traurige“ angestimmt wird. Leca zum Beispiel ist ein Zusammenschluss von 16 deutschlandweit tätigen Caterern. Für sie spricht Georg W. Broich, der in Düsseldorf selbst ein Unternehmen führt. Er sagt, 75 Prozent der bei Leca-Mitgliedern gebuchten Feiern seien dieses Jahr storniert. In der Leca, so Broich, seien viele Unternehmen sehr solide aufgestellt, hätten mehrere Standbeine, aber: „Auch für viele unsere Unternehmen wird die Situation existenzbedrohend.“
In seinem eigenen Geschäft, Broich Catering & Locations, seien von den gebuchten Weihnachtsfeier-Aufträgen noch genau zwei große mit mehr als 200 Personen übrig. Angebote würden er und seine Kollegen gerade kaum noch schreiben. Und wenn, dann gehe es um Aufträge für das kommende Jahr. Dabei allerdings sei das erste Thema der Kunden stets die Stornobedingungen. Sein Unternehmen, erklärt Broich weiter, sei bisher gut durch die Krise gekommen. Er habe niemanden entlassen müssen. Vor Corona seien sie 230 Mitarbeiter gewesen, nun 215. Die Differenz ergebe sich allerdings aus nicht übernommenen Azubis und natürlicher Fluktuation von Köchen. Die Unsicherheit allerdings bleibe – auch mit Blick auf die Weihnachtsfeiern – überall groß. Niemand wisse ja, wann eine Region zum nächsten Risikogebiet erklärt werde.
Bei der Erfurter Event-Agentur Hirschfeld macht das Weihnachtsgeschäft rund ein Viertel des Jahresumsatzes aus, sagt Geschäftsführer Nils Hirschfeld. Er vermeldet – auch in diesem Segment – Einbrüche von 70 bis 80 Prozent. Als Kanzlerin Angela Merkel vergangene Woche zum Corona-Krisengipfel rief, habe das bei ihm – obwohl da die Ergebnisse des Spitzentreffens noch offen waren – die Zahl der Anfragen innerhalb eines Tages halbiert.
Der Trend in diesem Jahr: mobile Weihnachtsmärkte
Für die Betriebe, die doch etwas unternehmen wollen, gehe der Trend zu Veranstaltungen mit kleinen Gruppen, in denen alle Vorschriften eingehalten werden könnten. Am besten: draußen. Ein Anbieter habe zum Beispiel eine Schneeschuh-Wanderung im Programm. Verschiedene Hütten werden angesteuert, auf jeder wird ein Glühwein gereicht. Auch im Programm: eine Gourmet-Wanderung am Starnberger See. Die Imbisse werden dabei natürlich im Freien gereicht. Was auch wirklich gut gehe, seien mobile Weihnachtsmärkte. Die kommen zu den Firmen, bauen bei den Firmen draußen alles auf, entwickeln jeweils an die Örtlichkeiten angepasste Hygienekonzepte. Hirschfeld: „Das gibt es seit vielen Jahren, ist aber heuer besonders gefragt.“
Ein weiterer Trend sind Online-Events. Die seien in Corona-Zeiten ja ohnehin „state of the art“, allerdings gibt es auch da bereits weihnachtliche Spezial-Ideen: So plant Hirschfeld Plätzchenbacken mit Prominenten. Jeder streamt aus seiner Küche. Mit wem genau, bleibt vorerst geheim. Little Lord Fauntleroy ist es jedenfalls nicht. Wem solche Ersatzangebote nicht genügen, jetzt oder im Laufe des kommenden Jahres, weil das nächste Weihnachten so weit hin ist und Corona alles vermiest hat, der muss nicht bis nach Montreal fahren, um sich vorfreudig stimmen zu lassen. Im fränkischen Rothenburg ob der Tauber gibt es bekanntlich das berühmte Weihnachtsdorf. Die schönste Zeit im Jahr ist hier an beinahe 365 Tagen von 11 bis 17 Uhr.
Lesen Sie zum Thema auch: Diese Corona-Regeln gelten aktuell in Schwabens Landkreisen