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Corona-Krise: Gewerkschaft IG Metall verliert zehntausende Mitglieder

Corona-Krise

Gewerkschaft IG Metall verliert zehntausende Mitglieder

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    Die Krise der Metall- und Elektroindustrie bekommt nun auch die Gewerkschaft zu spüren: Die Mitgliederzahlen sind rückläufig, die Aussichten für die Tarifrunde alles andere als rosig.
    Die Krise der Metall- und Elektroindustrie bekommt nun auch die Gewerkschaft zu spüren: Die Mitgliederzahlen sind rückläufig, die Aussichten für die Tarifrunde alles andere als rosig. Foto: S. Schuldt, dpa (Symbol)

    Über Jahre hinweg kam die IG Metall im Gegensatz zu anderen Großorganisationen in den Genuss steigender Mitgliederzahlen. Mit dem Boom in der Metall- und Elektroindustrie, der nach der Finanzmarktkrise 2010 richtig einsetzte, ging es auch für die Gewerkschaft bergauf. Sie konnte nicht nur in Tarifrunden spürbare Gehaltsverbesserungen durchsetzen, sondern auch die Mitgliederzahl von 2,24 Millionen Stück für Stück nach oben schrauben.

    Doch bereits Ende 2019 wurde deutlich: So geht es nicht weiter. Die 2018 einsetzende Rezession in der Metall- und Elektroindustrie, die vor allem auf die Krise der in einem radikalen Umbauprozess befindlichen Autobranche zurückgeht, stoppte den lange währenden Lauf der IG Metall. Ende 2019 zählte die Gewerkschaft mit gut 2,26 Millionen Mitstreitern 8000 weniger als im Jahr zuvor.

    Dann kam Corona, was gerade für Gewerkschafter, die bei der Mitgliederwerbung Menschen gerne direkt ansprechen, eine schwierige Situation ist. Denn auf digitalem Weg finden sich nicht so leicht neue Beitragszahler. Einfacher ist es, wenn Beschäftigte vor Ort etwa in einer Konfliktsituation in ihren Betrieben hautnah erleben, dass eine Gewerkschaft für sie nützlich ist und eine Mitgliedschaft sich auszahlen kann.

    In der Metall-Branche wurden 120.000 Jobs abgebaut

    Auch weil die Metall- und Elektroindustrie 2019 noch tiefer in die Krise gerutscht ist, beschleunigte sich der Aderlass bei den Unterstützern der Gewerkschaft: Die Zahl der Mitglieder ging, wie IG-Metall-Chef Jörg Hofmann am Donnerstag erläuterte, 2020 um knapp 48.000 auf 2,21 Millionen zurück. Dabei ist eine derartige Entwicklung in einer Branche, in der 2020 etwa 120.000 Arbeitsplätze abgebaut und zehntausende Leiharbeiter abgemeldet wurden, zwangsläufig. Das gilt umso mehr, als nach Rechnung der IG Metall die Zahl der Ausbildungsplätze in Industrie und Handel um 13,9 Prozent eingebrochen ist.

    Können sich nun also die Arbeitgeber in der laufenden Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie die Hände reiben, weil die IG Metall –wenn auch von einem hohen Niveau aus – Mitglieder und damit Macht und Beitragseinnahmen verliert? Sinkt nun die Kampfbereitschaft der Gewerkschaft? Hier stellte Jürgen Kerner, Hauptkassierer und Vorstandsmitglied der IG Metall, fest: „Wir stehen finanziell gut da. Keine politische Aktion, kein Streik wird an den Finanzen scheitern. Das garantiere ich.“ Der frühere Augsburger IG-Metall-Chef verwies darauf, dass trotz des Mitgliederrückgangs und der massenhaften Kurzarbeit in der Branche die IG-Metaller 2020 doch 591 Millionen Euro an Beiträgen aufgebracht haben. Das sind zwar sieben Millionen Euro weniger als 2019, aber über fünf Millionen Euro mehr als 2018.

    IG-Metall-Streikkasse ist gut gefüllt

    Damit ist klar: Die Streikkasse dürfte gut gefüllt sein, zumal die Summe der Beitragszahlungen von 2011 bis 2019 stetig gestiegen ist. Und dass sich die Gewerkschaft auch unter Corona-Bedingungen in der Lage sieht, nach Auslaufen der Friedenspflicht Anfang März zu Warnstreiks aufzurufen, hatte IG-Metall-Chef Hofmann im Interview mit unserer Redaktion deutlich gemacht: „Wir werden als handlungsmächtige Gewerkschaft auftreten.“ Hier verwies er auf die bei Protestkundgebungen wie bei Voith in Sonthofen gesammelten Erfahrungen. Überhaupt wirkt er entspannt, was den weiteren Fortgang der Gespräche mit den Arbeitgebern nach der zweiten Tarifrunde betrifft. Es entsteht der Eindruck, Hofmann habe es nicht allzu eilig und lasse die Forderungen von Unternehmensvertretern aus seiner baden-württembergischen Heimat nach einer Nullrunde und etwa dem Abbau von Spätzulagen an sich abprallen.

    In Arbeitgeberkreisen ist zu hören, der IG-Metall-Chef versuche auf Zeit zu spielen. Wenn sich allerdings die Corona-Lage wegen hochinfektiöser Mutationen des Virus zuspitzen sollte, kann schnell der Druck wachsen, doch rasch Frieden an der Tariffront zu schaffen. Wie es weitergeht, ist also für Beobachter des Geschehens offen. Das gilt auch für die Frage, in welchem Bezirk ein Pilotabschluss ausgehandelt wird. Hier scheinen sich zwar die Verantwortlichen in Nordrhein-Westfalen gute Chancen auszurechnen, doch die Tarif-Profis in Baden-Württemberg stehen wie immer allzeit bereit.

    IG Metall verhindert "Kahlschlag" bei MAN Truck & Bus

    Einstweilen geht der Arbeitsplatzabbau in der Metall- und Elektroindustrie weiter. Doch Betriebsräten und Gewerkschaftern gelingt es zumindest, die Arbeitgeber immer wieder deutlich nach unten zu handeln und tausende Jobs zu sichern. So ist dies beim Nutzfahrzeuge-Hersteller MAN Truck & Bus gelungen. Hier wollte das zum VW-Konzern gehörende Unternehmen ursprünglich 9500 Stellen streichen.

    Den „Kahlschlag“ verhinderten die Arbeitnehmervertreter. Am Ende konnten 6000 Arbeitsplätze gerettet werden. Es fallen aber 3500 Jobs weg. Sie sollen sozialverträglich, also etwa über Altersteilzeit, abgebaut werden. Kerner, Aufsichtsratsvize der MAN Truck & Bus, ist froh, dass es somit betriebsbedingte Kündigungen in Deutschland nicht geben werde: „Wir haben sozialverträgliche Maßnahmen vereinbart, mit denen das Unternehmen seiner Verantwortung für die Kolleginnen und Kollegen nachkommt.“ Dennoch fallen 3500 Stellen weg, wie tausende Arbeitsplätze bei anderen Firmen. Es bleibt bei weitem nicht beim Verlust von zuletzt 120.000 Jobs in der Branche. Auf welche Zahl sich der Aderlass dann in den nächsten Jahren summiert, will Gewerkschaftschef Hofmann noch nicht hochrechnen.

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