Die Verärgerung ist Andreas Schön deutlich anzuhören. „Die Versprechungen aus der Politik geben einem etwas Hoffnung, dass man diese Krise vielleicht doch mit zwei blauen Augen überleben kann. Dann kommt im Nachhinein alles ganz anders. Ich war zuerst sprachlos, dann richtig sauer.“ Der Augsburger Hotelier gehört mit seinem Haus zu den ungezählten Betrieben in Deutschland, die dringend auf Hilfe angewiesen sind – und die große Hoffnung auf die mit viel Tamtam angekündigte Überbrückungshilfe II des Bundes gesetzt haben. Wer nachweisen kann, dass er durch die Krise erhebliche Umsatzausfälle erlitten hat, soll für die Monate September bis Dezember 2020 einen bedeutenden Teil seiner Fixkosten aus staatlichen Mitteln ersetzt bekommen – so hieß es zumindest. Bis Anfang Dezember.
Dann hat das Bundesfinanzministerium offenbar recht kurzfristig die Förderbedingungen geändert – und wohl vergessen, alle, die mit der Bearbeitung der komplexen Förderanträge ohnehin schon vollkommen ausgelastet sind, zu informieren. Das sind zuallererst die Steuerberater, die alle Anträge bearbeiten müssen und so mit in die Haftung für die Richtigkeit der Angaben genommen werden. Sebastian Hoinle aus Wemding etwa. Er hat am 18. Dezember über einen Berufsverband erstmals von der Änderung erfahren, die den Hotelier Schön nun so wütend macht – und die dazu führen könnte, dass viele Betriebe aus der Förderung fallen oder sofern sie schon Gelder erhalten haben, diese womöglich wieder zurückzahlen müssen. Es ist ein Satz in den Förderbedingungen, der den Sprengstoff enthält: „Zu beachten sind darüber hinaus die beihilferechtlichen Voraussetzungen der ,Bundesregelung Fixkostenhilfe 2020‘.“ Er könnte, wie es Hoinle ausdrückt, zu einer „Deckelung über die Hintertür“ führen.
Steuerberater kritisiert undurchschaubare Regeln
Wer für das Überbrückungsgeld II antragsberechtigt war, musste bislang für die Fördermonate September bis Dezember 2020 nachweisen, dass er mindestens 30 Prozent weniger Umsatz gemacht hat als im Vorjahreszeitraum. Danach sollte es gestaffelte Zuschüsse zur Deckung der dennoch anfallenden Fixkosten geben, der Miete etwa oder für Zinszahlungen. Dank der „Bundesregelung Fixkostenhilfe 2020“ werden jetzt nur anteilsmäßig Fixkosten für jene Monate erstattet, in denen dem Betrieb ein Verlust entstanden ist. Schuld daran ist das europäische Beihilferecht, das zu großzügige staatliche Unterstützung für Privatunternehmen verbietet. Darum spricht das Ministerium auch von „ungedeckten Fixkosten“. Doch klar ist deswegen nichts.
„Ich habe für meine Mandanten bislang nur zwei Anträge auf Überbrückungshilfe II gestellt, dann habe ich aufgehört. Es ist einfach nicht geklärt, wie ein ungedeckter Verlust zu berechnen ist. Auch bei vielen anderen Kriterien gilt: Je tiefer ins Detail man geht, desto mehr Widersprüche deckt man auf“, sagt der Steuerexperte Hoinle – der wie viele seiner Berufskollegen derzeit mit fast nichts anderem als den diversen Hilfsprogrammen beschäftigt ist. Dazu kommt: Die Frist zur Antragsstellung läuft Ende Januar ab. Eine Verlängerung ist bisher nicht vorgesehen. Wenn Hoinle nun doch noch für weitere krisengeschüttelte Mandanten Anträge stellt, müssen die im schlimmsten Fall damit rechnen, Geld für eine Nothilfe zu bezahlen, die sie am Ende gar nicht bekommen.
Augsburger Hotelier kritisiert "halbe Wahrheit"
Hotelier Schön will das Wagnis dennoch eingehen. Für die Ausfälle im Frühjahr hat er immerhin schon Geld bekommen. Dazu kommt das Kurzarbeitergeld für die Belegschaft und, ganz frisch, eine Sofortzahlung aus der Novemberhilfe. Er hat grundsätzlich viel Verständnis für die Politik: „Fehler passieren und mit Corona wusste keiner richtig umzugehen.“ Doch wenn die Politik nur die halbe Wahrheit sage, werde es auch für ihn schwierig. Als Geschäftsführer bekomme er kein Kurzarbeitergeld, sondern gehe einfach leer aus, wenn das Geschäft nicht genug abwirft. „Wir hatten geplant in diesem Jahr die Fassade unseres Hotels zu erneuern. Das rückt jetzt erst einmal nach hinten – wie weit, weiß ich nicht.“
Auch bei der Augsburger Rechts- und Steuerberaterkanzlei Sonntag & Partner, die eher große Kunden betreut, ist der Unmut bei Mandanten und Steuerberatern groß. „Bei den November- und Dezember-Hilfen hatte die Regierung einzelnen Branchen pauschal 75 Prozent Ausgleich für die Umsatzausfälle versprochen, aber wenn man sich die Details der 35 Seiten langen Bestimmungen ansieht, sind in der Praxis die Hürden so hoch, dass bei uns die Hälfte der Betroffenen sofort rausgefallen ist“, berichtet Steuerberater Jörg Seidel. „Wir werden dabei in die Rolle des Buhmanns und des Überbringers der schlechten Nachrichten gedrängt: Die Regierung verspricht nach außen großzügige Hilfen und wir müssen vielen unserer Mandanten sagen, sie kommen leider nicht an das Geld ran.“ Viele Betroffene, die gerade so durch die Krise kämen, müssten nun möglicherweise bereits überwiesene Abschlagszahlungen zurückzahlen.
"Gegenteil von unbürokratischer schneller Hilfe"
Neben Seidel arbeitet bei Sonntag & Partner ein Mitarbeiter seit Monaten sogar ausschließlich an Überbrückungshilfe-Anträgen. Insgesamt geht es dabei um eine mittlere einstellige Millionensumme. „Die Hilfsversprechen wurden nach außen anders kommuniziert, als sie in der Wirklichkeit gewährt werden“, sagt Seidel „Nach dem Lockdown im November wurde immer nur von Fixkosten gesprochen, Mitte Dezember hieß es dann plötzlich, dass es nur um ungedeckte Fixkosten gehen soll. Das bedeutet in der Praxis, Überbrückungshilfe bekommt nur, wer echte Verluste erleidet. Das war eine echte Änderung, die alle Steuerberater, Kammern und Verbände aufgeschreckt hat.“
Selbst der Steuerberater klagt über die komplizierten Vorschriften: „Von dem Versprechen der Politik, schnell und unbürokratisch Hilfe zu leisten, merken wir leider nichts. Wenn man sich unseren Aufwand ansieht, ist das Gegenteil der Fall.“ Seidel befürchtet deutlich mehr Insolvenzen: „Gerade im Handel wird es sehr große Probleme geben, weil viele vor dem geplanten Weihnachtsgeschäft Ware geordert haben, die sie nicht mehr verkaufen konnten. Ihnen helfen die Überbrückungshilfen nicht, weil es sich dabei nicht um Fixkosten handelt.“
Die Änderungen bei den Überbrückungshilfen seien für die Betroffenen fatal, sagt auch der Vizepräsident des Bundesverbands der Steuerberater, Valentin Schmid. „Die betroffenen Unternehmen reagieren mit Enttäuschung und Frustration“, berichtet er. „Wir erwarten eine erhebliche Zahl von Unternehmenszusammenbrüchen, die tendenziell zu steigen droht, wenn nun nachträgliche Einschränkungen vorgenommen werden.“
Das Bundesfinanzministerium und das Wirtschaftsministerium hatten in den vergangenen Wochen die Bestimmungen mehrfach im Frage-Antwort-Katalogs der beiden Ministerien im Internet angepasst. Auf große Kritik trifft, dass kurz vor Weihnachten dort bekannt gegeben wurde, dass beim Programm der Unterstützungshilfe Geld nur für „ungedeckte Fixkosten“ als „zwingende Voraussetzung“ fließt, also nur für die tatsächlichen Verluste, die ein Unternehmen nicht mit noch vorhandenen Einnahmen bei den Fixkosten decken kann. Das Bundeswirtschaftsministerium begründet dies mit dem EU-Beihilferecht.
Laut dem Bundessteuerberaterkammer und Steuerberaterverband kam diese Regelung völlig überraschend: „Dies ist aus Sicht unserer Mandanten natürlich fatal, zumal die betroffenen Unternehmen ohnehin schon über keine oder nur geringe Reserven verfügt habe“, sagt Steuerberater-Vizepräsident Valentin Schmid. Von schneller und unbürokratischer Hilfe könne keine Rede sein: „Die Regelungen insbesondere zu den Überbrückungshilfen und den Förderkrediten sind viel zu kompliziert“, sagt der Steuerberater. „ Erschwerend kommt hinzu, dass praktisch keine Rückfragen gestellt werden können und die elektronischen Anträge keinerlei Raum für Hinweise und Ergänzungen lassen“, fügt er hinzu. Dies wäre jedoch dringend für die Antragssteller erforderlich: „Denn fehlerhafte Angaben können schnell zum Vorwurf von Subventionsbetrug führen“, betont Schmid.
FDP-Fraktionsvize beklagt Wortbruch der Bundesregierung
Die Opposition klagt über Wortbruch: „Dass die Bundesregierung ständig rückwirkend die Regeln ändert, ist eine absolute Frechheit und in einem Rechtsstaat ein bemerkenswerter Vorgang“, sagt der stellvertretende FDP-Fraktionschef Michael Theurer. „Kleine Unternehmen zahlen so in vielen Fällen sogar mehr für den Steuerberater als sie hinterher an Hilfe bekommen“, kritisiert der Wirtschaftspolitiker die verantwortlichen Bundesminister. „Für dieses stümperhafte Vorgehen ist das Duo Infernale Peter Altmaier und Olaf Scholz persönlich verantwortlich“, betont Theurer.
Laut dem FDP-Politiker wäre unbürokratische Hilfe möglich: „Es ist absolut unverständlich, dass die Auszahlung der Hilfen nicht über die Finanzämter und ohnehin vorhandene Daten läuft“, sagt Theurer. Bei einer Ausgestaltung in Form eines Verlustrücktrags und Auszahlung über das Finanzamt wäre das Verfahren einfacher gewesen. „Es rächt sich, dass die Bundesregierung sich monatelang geweigert hat, sich auf die zweite Welle vorzubereiten“, sagt er. „Und das in der größten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg.“
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