Startseite
Icon Pfeil nach unten
Wirtschaft
Icon Pfeil nach unten

Corona: Clemens Tönnies: Der Fleischkönig, den das Virus in die Krise stürzte

Corona

Clemens Tönnies: Der Fleischkönig, den das Virus in die Krise stürzte

    • |
    "So werden wir nicht weitermachen. Wir werden diese Branche verändern": Clemens Tönnies bei der Pressekonferenz am Samstag.
    "So werden wir nicht weitermachen. Wir werden diese Branche verändern": Clemens Tönnies bei der Pressekonferenz am Samstag. Foto: Noah Wedel, Imago Images

    Irgendwann, wahrscheinlich schon bald, machen sie einen Film daraus. Der Titel könnte dann lauten: "Aufstieg und Fall des Schweinebarons". Oder "Wie der Schnitzelkönig sein Reich verlor". Hauptsache reißerisch. Hauptsache Rampenlicht. Denn das hat Clemens Tönnies selbst ja auch Zeit seines Lebens an der Spitze von Europas größtem Fleischkonzern gesucht.

    Clemens Tönnies fühlt sich wohl, wenn alle Aufmerksamkeit auf ihm ruht. Bei den einschlägigen Festen im Kreis Gütersloh hat er in der Vergangenheit zu später Stunde gern die Bühne geentert. Hat Schlager geschmettert. Wie zu seinem 60. Geburtstag, als der Schalke-Boss jede Menge Prominenz geladen hatte, darunter Schlager-Star Helene Fischer. Klar, dass Tönnies auch mit ihr ein Duett gesungen hat.

    Wer im nächsten Jahr zu Tönnies’ Geburtstag kommt, ist schwer zu sagen. Ebenso, ob der Patriarch bis dahin überhaupt wieder in Feierlaune sein dürfte. In diesen Corona-Tagen, in denen sein Unternehmen nicht aus den Negativ-Schlagzeilen kommt, kann man sich das kaum vorstellen. Auch wenn 2021 ein besonderes Jahr wird. Tönnies wird dann 65, sein Schlachter-Imperium ein halbes Jahrhundert alt.

    Aus der Metzgerei wurden ein Schlacht-Imperium

    In der Firmenbroschüre von Tönnies feiern sie die Erfolgsgeschichte schon jetzt. Die Legende will, dass diese Geschichte in der Altstadt von Rheda beginnt. "Hier schlachtete der Metzger Klemens Tönnies sieben bis acht Schweine pro Woche", heißt es. Aus der Metzgerei wurde ein Schlachtbetrieb. Heute werden im "modernsten Schlachthof Europas" pro Tag etwa 30.000 Schweine geschlachtet. Weltweit sind es im Jahr 20 Millionen. Aus dem Unternehmen ist ein Konzern mit 16.500 Mitarbeitern und mehr als sieben Milliarden Euro Umsatz geworden. Und nun der Corona-Hotspot in Deutschland.

    Für den Aufstieg vom kleinen Familienbetrieb zum Marktführer ist zum großen Teil der Sohn des Metzgers verantwortlich, den seine Eltern zur besseren Unterscheidung Clemens mit C nannten. Und Clemens Tönnies ist auch dafür verantwortlich, dass sein Unternehmen nun am Pranger steht.

    In der Fleischfabrik von Tönnies im westfälischen Rheda-Wiedenbrück waren mehr als 1300 Arbeiter positiv auf das Coronavirus getestet worden.
    In der Fleischfabrik von Tönnies im westfälischen Rheda-Wiedenbrück waren mehr als 1300 Arbeiter positiv auf das Coronavirus getestet worden. Foto: David Inderlied/dpa

    Wut schlägt dem Konzernchef in diesen Tagen entgegen, teils auch blanker Hass. Erboste Eltern demonstrierten vor der Firmenzentrale, aber auch vor dem Privathaus von Clemens Tönnies, seit Schulen und Kitas im Kreis Gütersloh nach dem Corona-Ausbruch geschlossen wurden. "Tönnies macht Profit – unsere Kinder bezahlen den Preis", heißt es. Oder: "Können Sie noch ruhig schlafen, Herr Tönnies?" Zuvor machte ein Video aus der Konzern-Kantine die Runde. Darin zu sehen: Menschen, die dicht an dicht beieinander sitzen. Keine Spur von Sicherheitsabstand. Keine Spur von Corona-Hygiene-Richtlinien. Egal, wann das Video aufgenommen wurde, der Eindruck ist verheerend.

    Auch der Tönnies-Standort in Kempten ist geschlossen

    Die Bundeswehr musste vergangene Woche Spezialisten nach Rheda-Wiedenbrück schicken, weil die Behörden vor Ort die tausenden Corona-Tests nicht mehr durchführen konnten. Nach jüngsten Zahlen wurden mehr als 1500 Mitarbeiter des Schlachtbetriebs positiv auf das Virus getestet. So viele Dolmetscher wie möglich wurden in die Mehrfamilienhäuser geschickt, in denen die Werkvertragsarbeiter von Tönnies untergebracht sind – die meisten Rumänen, Bulgaren, Polen. Drei Hundertschaften der Polizei unterstützen die Ordnungsämter dabei, die Quarantäne von mehr als 7000 Menschen sicherzustellen. Das Tönnies-Stammwerk, auch das ist inzwischen klar, bleibt für zwei Wochen geschlossen.

    Und das hat Auswirkungen bis ins Allgäu. In Kempten betreibt Tönnies seit 2011 einen Standort – die ehemalige Allgäu Fleisch GmbH – mit 60 Mitarbeitern. Auch dort steht der Betrieb seit Montag still. Nicht, weil Mitarbeiter positiv auf das Coronavirus getestet worden wären, sondern weil die Produktionskette unterbrochen ist. Denn die Rinder, die in Kempten geschlachtet werden, werden erst im 600 Kilometer entfernten Stammwerk in Ostwestfalen in Einzelteile zerlegt und weiterverarbeitet. Auch so eine Logik dieser Fleischindustrie, die in diesen Tagen in der Kritik steht.

    Und Clemens Tönnies? Gibt sich inmitten der Corona-Krise zerknirscht. "Es geht jetzt nicht ums Unternehmen, es geht um die Menschen und um den Kreis", wird er in einer Mitteilung der Firmengruppe zitiert. Er sagt aber noch etwas, das tief in sein Selbstbild schauen lässt: "Die Unternehmensführung hat gemeinsam mit dem Kreis Gütersloh die vorübergehende Stilllegung des Betriebs beschlossen." Die Botschaft dahinter: Wenn ich nicht will, wird hier gar nichts geschlossen.

    Bei den Behörden vor Ort klingt das ganz anders. Beim Landkreis Gütersloh heißt es, man habe sich Zugriff zu den Personalakten der Firma Tönnies verschaffen müssen, um an die Adressen der Mitarbeiter zu kommen. Von einer Razzia ist die Rede. Thomas Kuhlbusch, Leiter des Krisenstabes, sagt es ganz deutlich: "Das Vertrauen, das wir in die Firma Tönnies setzen, ist gleich Null."

    Nun muss man wissen: Clemens Tönnies hat sich aus den berühmten kleinen Verhältnissen in die Position des bedeutenden Arbeitgebers gearbeitet, an dem vorbei zumindest im Kreis Gütersloh niemand Entscheidungen zu treffen wagt. Wer so weit nach oben gekommen ist, der erträgt die ebenfalls so viel zitierte Augenhöhe von Gesprächs- oder Geschäftspartnern nur schwer. In Tönnies wohnt ganz tief die Überzeugung, dass er auf jede Frage stets schon die beste Antwort hat. Korrigiert wird er in dieser Ansicht nicht.

    "Mächtig" ist der zweite Vorname von Clemens Tönnies

    So hat er sein Fleisch-Imperium bisher geführt. Und so führt er ganz nebenbei den Fußballklub Schalke 04. Dort ist er als Vorsitzender des Aufsichtsrates eigentlich nicht fürs operative Geschäft zuständig, ohne seine Zustimmung aber geht nichts bei Königsblau. Die Vereinspolitik bestimmt er im über Jahre eingeübten Doppelpass mit der Bild-Zeitung. Das Blatt war es auch, das seine Funktion im Klub als erstes mit dem Zusatz "der mächtige" Aufsichtsratsvorsitzende versah. Das haben andere dankbar aufgenommen. "Mächtig" ist so etwas wie der zweite Vorname von Clemens Tönnies geworden. Den Klub führt er wie ein Patriarch, damit ist er der Letzte seiner Art, seit Uli Hoeneß, ein anderer Metzgerssohn, bei Bayern München abgetreten ist.

    Tönnies gibt sich gern leutselig, als Vorsitzender des Schützenvereins, als Fan unter Fans in der Kurve der Schalker Arena, mit Bier und Wodka beim Besuch auf den Gasfeldern des Schalker Geschäftspartners Gazprom in Sibirien, als Kumpeltyp zum Anfassen, als Gastgeber einer schon legendären Saunarunde in seinem Haus in Rheda-Wiedenbrück. Unter den Gästen sind stets ein paar Großmetzger und sehr häufig der ehemalige Fußball-Manager Heribert Bruchhagen.

    Ein Peta-Aktivist, verkleidet als Tod, protestiert vor dem Tönnies-Werk in Rheda-Wiedenbrück.
    Ein Peta-Aktivist, verkleidet als Tod, protestiert vor dem Tönnies-Werk in Rheda-Wiedenbrück. Foto: Friso Gentsch/dpa

    Es geht sicher zünftig zu in dieser Männerrunde. Und nichts von dem, was besprochen wird, gerät nach draußen. Das ist vielleicht auch besser so. Denn vor einem Jahr offenbarte Tönnies in viel größerer, dennoch aber vertrauter Runde sehr bedenkliche Ansichten. Vor Unternehmern in Paderborn erklärte er in lapidarem Tonfall sein Modell zur Bewältigung der Klimakrise auf dem Erdball. Man möge, sagte Tönnies, in Afrika jedes Jahr 20 Kraftwerke hinstellen, "dann hören die auf, die Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, wenn wir die nämlich elektrifizieren, Kinder zu produzieren". Es soll sogar verlegenen Beifall gegeben haben. Wenn der Tönnies ein Witzchen reißt, dann wird eben gelacht. Das ist in Westfalen so, das ist im Unternehmen so, das ist bei Schalke so. Die wesentliche Bewegung im Umfeld des Milliardärs aus Rheda ist ein heftiges Nicken des Kopfes.

    Die Bemerkung von Paderborn war rassistisch, daran gibt es keinen Zweifel. Das muss nicht heißen, dass Tönnies ein Rassist ist. Aber er hätte wissen können, wessen Beifall er sich damit abholt. Entschuldigt hat er sich dafür nicht etwa bei Afrikanern, denen er im Stil des Kolonialherren gute Ratschläge gab, sondern bei den Schalke-Mitgliedern.

    Sein Neffe forderte Clemens Tönnies per Brief zum Rücktritt auf

    Im Verein trat pflichtbewusst der Ehrenrat zusammen, weil Rassismus ausdrücklich im Gegensatz zu den Vereinswerten steht. Im Einklang mit den Vereinswerten scheint aber auch das unerbittliche Vertrauen in Führungskräfte zu stehen. Jedenfalls entsprach der Ehrenrat gehorsam der Empfehlung, die Tönnies selbst ausgesprochen hatte: Für drei Monate ließ er sein Amt ruhen. Die Affäre hat seine Position also offensichtlich nicht erschüttert. Schalke braucht ihn, nicht nur wegen seiner guten Verbindungen zur Boulevardpresse, sondern auch, weil er in der Vergangenheit immer mal wieder mit Geld ausgeholfen hat.

    Clemens Tönnies führt er ganz nebenbei noch den Fußballklub Schalke 04.
    Clemens Tönnies führt er ganz nebenbei noch den Fußballklub Schalke 04. Foto: Ina Fassbender, dpa

    Im eigenen Unternehmen aber gibt es seit Jahren heftigen Gegenwind. Dazu muss man eine andere Geschichte kennen, die Clemens Tönnies gern erzählt. Die, wonach ihm sein Bruder Bernd auf dem Sterbebett das Versprechen abgenommen haben soll, sich um das Unternehmen und die gemeinsame große Fußball-Liebe Schalke 04 zu kümmern. Clemens handelte, ergatterte – wie auch immer – zehn Prozent der Unternehmensanteile der Söhne von Bernd, Robert und Clemens Tönnies Junior. Der Streit brach aus, als die Neffen sich anschickten, ihr berufliches Leben in die Hand zu nehmen. Prozess reihte sich an Prozess, Verletzung an Verletzung.

    Immer wieder versuchte Robert Tönnies, 42, dem die andere Hälfte der Holding gehört, seinen Onkel aus dem Konzern zu drängen. Er will die fünf Prozent der Firmenanteile zurück, die er einst dem Onkel schenkte. Dann wäre er im Besitz der Mehrheit. Die Corona-Misere von Rheda-Wiedenbrück ist für ihn ein neuer, manche sagen willkommener Anlass, zur Attacke. Die letzte folgte vergangenen Freitag – mit einem persönlichen Brief an den Onkel, der ohne Höflichkeitsformel beginnt und mit einer Rücktrittsforderung endet. Stattdessen solle Clemens Sohn Max Tönnies die Geschäftsführung übernehmen.

    Gut möglich, dass es tatsächlich soweit kommt. Kampflos aufgeben aber will Clemens Tönnies nicht. Am Samstag trat er gemeinsam mit dem Landrat vor die Presse. Sagte Sätze wie: "Und dann sehen wir weiter. Ich mach’ mich nicht aus dem Staub." Er entschuldigte sich, betonte, alles tun zu wollen, um den Corona-Ausbruch einzudämmen. "Ich stehe in der Verantwortung." Und: "So werden wir nicht weitermachen. Wir werden diese Branche verändern." Angeschlagen wirkte Tönnies, gerade hat er einen Krankenhaus-Aufenthalt hinter sich. Seine Krebserkrankung liegt erst wenige Jahre zurück.

    So viel Fleisch wird in Deutschland produziert

    Im Jahr 2019 haben die gewerblichen Schlachtbetriebe in Deutschland nach vorläufigen Ergebnissen knapp 60 Millionen Schweine, Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde geschlachtet. Einschließlich des Geflügels erzeugten die Unternehmen insgesamt knapp 8,0 Millionen Tonnen Fleisch.

    Quelle: Statistisches Bundesamt

    Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sank die erzeugte Fleischmenge damit gegenüber 2018 um 1,4 Prozent. Der Rückgang ergibt sich aus der geringeren Schweinefleischerzeugung, die um 3 Prozent zurückging. Die Produktion von Rind- und Geflügelfleisch hingegen ist gegenüber dem Vorjahr gestiegen.

    Betrachtet man die Entwicklung der Fleischmengen über die vergangenen zehn Jahre, zeigt sich insbesondere beim Geflügelfleisch eine deutliche Veränderung: Von 2009 bis 2019 ist die Menge an erzeugtem Geflügelfleisch um 22 Prozent gestiegen, während die Menge an Schweine- und Rindfleisch – mit leichten Schwankungen in einzelnen Jahren – etwa auf dem gleichen Niveau geblieben ist.

    Gut möglich, dass Tönnies umdenken muss. Zu groß ist die Kritik am System, an der fleischverarbeitenden Industrie, ihren fragwürdigen Arbeitsbedingungen und dem Preiskampf, der zulasten der Beschäftigten, der Landwirte und der Tiere geht. Der Patriarch muss aufräumen – einmal mehr. Wie der Konzern danach aussehen wird, was davon übrig bleibt, wenn die Corona-Krise überwunden sein sollte, ist noch nicht absehbar. Stoff genug aber, um daraus einen Film zu machen, wäre es allemal.

    Lesen Sie dazu auch:

    Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden