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Corona-Beschränkungen: Vor dem Gipfel: Regionale Firmen sehen Homeoffice-Pflicht kritisch

Corona-Beschränkungen

Vor dem Gipfel: Regionale Firmen sehen Homeoffice-Pflicht kritisch

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    Das Thema Homeoffice bewegt die Wirtschaft.
    Das Thema Homeoffice bewegt die Wirtschaft. Foto: Ralf Lienert (Symbolbild)

    Angesichts der zweiten Welle der Corona-Epidemie in Deutschland steigt der Druck der Politik auf Unternehmen, ihre Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten zu lassen. „Ich habe den Eindruck, dass wir fast einen Rückschritt im Vergleich zum Frühjahr beim Thema Homeoffice haben“, warnte Ministerpräsident Markus Söder am Dienstag. Er hat für diesen Mittwoch einen Homeoffice-Gipfel mit Gewerkschaften und Arbeitgebern angesetzt. Viele Firmen nutzen das Homeoffice intensiv – von Kanzleien über die Industrie bis ins Handwerk. Eine Homeoffice-Pflicht sehen sie aber kritisch.

    Kanzlei Pohlmann Hofmann: Fast alle 60 Mitarbeiter im Homeoffice

    Große Unterstützung erfährt das Thema in Unternehmen, in denen viele Mitarbeiter am Schreibtisch arbeiten – zum Beispiel Kanzleien. „Ich und wir als Kanzlei stehen dem Thema Homeoffice – schon seit jeher – sehr offen gegenüber, sofern die konkreten Tätigkeiten nicht zwingend eine Präsenz in einem unserer Büros voraussetzen“, sagt Matthias Hofmann von der Kanzlei Pohlmann Hofmann aus Augsburg, die auf Insolvenzrecht spezialisiert ist. „Es gibt viele Tätigkeiten, die bei entsprechender technischer Ausstattung und Vorbereitung von nahezu überall auf der Welt ausgeübt werden können.“ Seit der Corona-Krise hat die Kanzlei das Thema forciert: Mit Ausnahme von etwa fünf Mitarbeitern kanzleiweit arbeite das gesamte gut 60-köpfige Team aus Homeoffices. Die Kanzlei hat die IT verstärkt, noch mehr Mitarbeiter mit Notebooks ausgestattet und Prozesse digitalisiert, in denen bisher mit Papier und Originalunterschriften gearbeitet wurde.

    Eine Homeoffice-Pflicht sieht Hofmann trotzdem kritisch: „Ich bin kein Fan stärkerer gesetzlicher Regulierung – auch und gerade nicht beim Thema Homeoffice“, sagt er. „Jeder Streit über einen etwaigen gesetzlichen Anspruch auf Homeoffice blockiert am Ende nur freiwillige und gesunde Transformation.“

    Handwerk: Firma Öko-Haus nutzt Homeoffice für die Hälfte der Schreibtisch-Arbeit

    Auch im Augsburger Immobilienunternehmen Patrizia ist Homeoffice zum Standard geworden. Der Konzern mit 800 Mitarbeitern ist an 24 Standorten rund um den Globus vertreten – beispielsweise in Madrid, New York, Tokio oder Zürich. „Die Anwesenheit im Büro ist auf absolut notwendige und geschäftskritische Tätigkeiten beschränkt“, berichtet Patrizia. Selbst im Handwerk findet das Thema inzwischen seinen Platz. Das Handwerksunternehmen Öko-Haus in Eppishausen im Unterallgäu mit 35 Mitarbeitern plant und installiert Photovoltaik-Anlagen. „Wir nutzen das Thema Homeoffice in allen Bereichen, in denen es sich anbietet – unter anderem der Projektabteilung und dem Vertrieb“, sagt Geschäftsführer Felix Steber. „Es funktioniert gut.“

    Rund die Hälfte der Büroarbeitsplätze sei derzeit mobil. Mitarbeitern, die aus Kempten oder Schwabmünchen anfahren müssten, komme das Homeoffice entgegen. Noch leichter werde es, wenn der Betrieb am Ende des Jahres schnelles Internet bekommt.

    Einer Homeoffice-Pflicht steht Steber aber skeptisch gegenüber: „Ich denke, eine gesetzliche Regelung ist nicht notwendig. Betriebe konkurrieren um Fachkräfte und können in Zukunft Mitarbeiter leichter gewinnen wenn sie Homeoffice anbieten.“ Monteure oder Servicetechniker müssen zudem weiterhin kurz in die Firma kommen, bevor sie zur Baustelle fahren.

    BDI-Präsident Russwurm: "Schweißen aus dem Homeoffice hat noch niemand erfunden"

    In der Industrie sind dem Homeoffice Grenzen gesetzt. Das „Schweißen aus dem Homeoffice“ habe noch niemand erfunden, sagte der neue BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Seiner Meinung nach wissen die Unternehmen selbst am besten, wer und wo ins Homeoffice wechseln kann. Das bestätigt die Erfahrung von Hirohito Imakoji, Geschäftsführer der Liebherr-Elektronik GmbH in Lindau: „Mobiles Arbeiten ist nicht überall möglich“, sagt er. Diese gelte für die Produktion, aber auch für die Entwicklung: „Da geht es unter anderem um Themen wie Geheimhaltung, die in vielen Verträgen festgeschrieben ist und die beim mobilen Arbeiten nicht gewährleistet werden kann.“ Seiner Erfahrung nach könne man aber mobiles Arbeiten in sehr viel größerem Umfang ermöglichen als es früher denkbar war. „Im Einkauf zum Beispiel arbeiten derzeit rund 90 Prozent der Kollegen mobil.“ Eine Verpflichtung zum Homeoffice lehnt Imakoji trotzdem ab: Dies greife „zu sehr in die unternehmerische Freiheit ein“, sagt er als Chef der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft im Allgäu.

    Auch das auf Wasseraufbereitung spezialisierte Unternehmen Grünbeck aus Höchstädt mit rund 660 Mitarbeitern weist darauf hin, dass Homeoffice in der Industrie Grenzen hat: „Unseren Mitarbeitern bieten wir selbstverständlich die Möglichkeit zum mobilen Arbeiten von zu Hause aus an“, heißt es. Seit Beginn der Pandemie habe man zusätzlich rund 100 Büroarbeitsplätze mit Laptops ausgestattet. „Gerade weil wir vor allem ein produzierendes Unternehmen sind, müssen aber Mitarbeiter speziell in der Fertigung und Logistik vor Ort sein“, berichtet Grünbeck. Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeiter liegen der Firma jedoch am Herzen. Hygienevorgaben der Regierung würden konsequent umgesetzt, Mitarbeiter können auf dem Gelände einen Corona-Test vornehmen, zudem will Grünbeck FFP2-Masken ausgeben.

    Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) will keine Homeoffice-Pflicht.
    Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) will keine Homeoffice-Pflicht. Foto: Josefine Kaukemüller, dpa

    Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger warnt ebenfalls vor einer Homeoffice-Pflicht: „Zunächst einmal sind die Betriebe kein Hotspot für Corona-Ansteckungen“, sagte er unserer Redaktion. „Dennoch ist Homeoffice, wo es machbar ist, in der Pandemie eine vernünftige Maßnahme. Eine allgemeine Pflicht wird aber der Wirtschaft nicht gerecht“, meint der Freie-Wähler-Politiker. „Wir brauchen flexible Lösungen, die mit den Unternehmen vereinbart werden“, fordert Aiwanger.

    Einen möglichen Ausweg aus dem Dilemma hat Söder am Dienstag skizziert: Er könne sich vorstellen, statt Zwang auch Begünstigungen zu gewähren – „also die Anreizsituation zu verbessern, um Homeoffice zu fördern“.  Söder betonte aber auch: "Dass sich etwas bewegen muss beim Thema Homeoffice, ist klar."

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