Herr Plagge, sind Lebensmittel in Deutschland zu günstig? In vielen anderen Ländern kosten Fleisch, Milch oder Eier mehr. Hierzulande wollen viele Verbraucher das aber offenbar nicht zahlen.
Jan Plagge: Das ist tatsächlich so. Dahinter steckt aber ein Denkfehler. Denn die billigen Lebensmittel sind in Wirklichkeit wahnsinnig teuer.
Das müssen Sie erklären. Was ist an einem Hähnchenfilet für 2,99 teuer?
Plagge: Die indirekten Kosten, die wir für dieses Lebensmittel zahlen, sind immens. Durch die industrielle Landwirtschaft wird das Grundwasser stark belastet, dadurch steigen die Trinkwasserpreise. Die Landschaft verarmt, wir setzen die ökologische Vielfalt unserer Kulturlandschaft und das Klima aufs Spiel.
Wann ist ein Preis aus Ihrer Sicht dann fair?
Plagge: Wenn sich die gesamte Wertschöpfungskette vom Landwirt über den Hersteller bis zum Handel darin widerspiegelt und alle an der Produktion Beteiligten davon langfristig leben können. Und natürlich muss der Preis auch fair für den Verbraucher sein. Das heißt, dass er auch mit einem durchschnittlichen Einkommen die Chance hat, sich regionale und frische Lebensmittel zu kaufen, bei deren Herstellung Umwelt und Tiere geachtet werden.
Viele Verbraucher klagen aber, dass ihnen Bio-Lebensmittel zu teuer sind.
Plagge: Wenn man bewusst mit frischen Lebensmitteln und abfallarm kocht, dann sind diese in der Regel nicht teuer, auch nicht, wenn sie bio sind. Was das Essen teuer macht, sind die Verarbeitung und viele Fertigprodukte. Klar ist aber auch: Je mehr Bio-Produkte es gibt, desto günstiger wird bio auch. Im Moment haben wir noch einen Strukturnachteil durch die kleineren Verarbeitungsstätten und die aufwendigere Handelslogistik. Solange der Bio-Markt noch zu klein ist, ist bio also automatisch ein wenig teurer.
Der Verbraucher hat im Supermarkt heute unheimlich viel Angebot. Wie soll er da noch einschätzen können, ob ein Preis angemessen ist?
Plagge: Es ist Fakt, dass viele gar nicht mehr wissen, was ihr Essen wert ist. Aber man kann diese Verantwortung auch nicht allein dem Kunden überlassen. Keiner von uns hat im Alltag die Zeit, die Produktionsbedingungen hinter einem Angebot von Aldi und einem aus dem Bioladen zu vergleichen. Es ist die Verantwortung von Handel und Politik, hier Aufklärung zu leisten.
Inwiefern?
Plagge: Es ist ein Unding, dass manche Hersteller immer noch durch Bilder suggerieren dürfen, ihre Milch käme aus einer Berglandschaft von weidenden Kühen, obwohl die Kühe ganzjährig im Stall stehen. Das ist eine Täuschung des Kunden. Vor allem aber brauchen wir eine transparente, mehrstufige Kennzeichnung aller Fleischprodukte, damit der Verbraucher entscheiden kann, aus welchem Haltungssystem die Produkte stammen, die er kauft.
Sie meinen eine Kennzeichnung analog zu denen der Eier?
Plagge: Genau, der Kunde kann heute genau erkennen, wie die Hennen gehalten wurden, die seine Eier legen. Am Anfang war in diesem System auch noch die Käfighaltung dabei. Als aber plötzlich auf dem Ei stand, dass die Tiere im Käfig leben, haben Verbraucher das nicht mehr akzeptiert. Der Handel hat Eier aus Käfighaltung daraufhin abgeschafft – bevor die Haltungsart gesetzlich verboten wurde. Genauso wird es auch beim Fleisch sein.
Der Discounter Lidl will nun einen entsprechenden Haltungskompass einführen. Was halten Sie davon?
Plagge: Das geht in die richtige Richtung. Die Voraussetzung ist aber, dass die Bundesregierung das zu einem verpflichtenden System macht. Es ist eigentlich beschämend, dass sie das nicht schon längst durchgesetzt hat und dass ein Discounter wie Lidl nun so etwas machen muss.
Zur Grünen Woche in Berlin haben wieder Zehntausende gegen das Agrarsystem protestiert. Was ist aus Ihrer Sicht das größte Problem?
Plagge: Dass das Geld der Steuerzahler mit der Gießkanne verteilt wird. In Deutschland hat ein Landwirt keinen Anreiz, mehr für den Schutz der öffentlichen Güter zu machen, also in Tierschutz oder Umweltschutz zu investieren. Das ist eine ineffiziente Verwendung von Steuergeldern. Der Bürger hat nichts davon, weil seine Gelder nur breit verteilt werden und die Probleme, die aus einer industriellen Landwirtschaft resultieren, nicht gelöst werden. Dagegen gehen die Leute auf die Straße.
Was wäre die Alternative?
Plagge: Zielgerichtet die Betriebe, die mehr für Umwelt- und Tierschutz tun wollen, dafür zu honorieren. Aktuell ist es so, dass die Landwirte, die mehr düngen, auch mehr ernten und dadurch mehr verdienen. Landwirte, die sich stattdessen darum kümmern, das Wasser sauber zu halten, bekommen dafür kein Geld.
Das klingt nach einer Art Teufelskreis...
Plagge: Das ist es auch. Sobald ich als Landwirt mehr für Tierwohl, Natur und Umwelt mache, habe ich höhere Kosten. Der Ausweg ist die Transparenz. Ein Kennzeichnungssystem wird dazu führen, dass die Bürger an der Ladentheke abstimmen, wie die Landwirtschaft sich entwickelt. Es wird auch weiterhin einen Markt für günstige Massenware geben. Aber daneben gibt es einen wachsenden Markt für regionale, biologische Qualitätsprodukte.
Der Großteil der Bauern wird sich dann umstellen müssen. Wie sieht Ihr Modell der neuen Landwirtschaft aus?
Plagge: Die Landwirtschaft muss weg von der Maxime, immer günstiger zu produzieren, um am Weltmarkt mithalten zu können. Stattdessen muss sie sich an den Bedürfnissen der Menschen vor Ort orientieren. Dann komme ich automatisch auf eine andere Landwirtschaft. Bauern kümmern sich dann auch darum, das Trinkwasser sauber zu halten, die Umwelt zu pflegen und Lebensmittel herzustellen, für deren Produktion Tiere so gehalten werden, dass Verbraucher sich das jederzeit anschauen könnten.
Aber laufen Landwirte nicht Gefahr, dann weniger zu verdienen?
Plagge: Wenn ich mein Betriebssystem darauf ausrichte, was gut für Mensch, Natur und Umwelt ist, dann schaffe ich es auch, dem Verbraucher zu vermitteln, dass er einen Mehrwert bekommt, der auch mehr kostet. Wenn das die große Masse macht, dann entwickelt sich ein Preisniveau, von dem alle Landwirte leben können. Weil nicht mehr der amerikanische Großbauer oder der Fleischproduzent in Brasilien mein Wettbewerber ist, sondern nur die Betriebe, die vor Ort sind.