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Berlin: Ist der Pannenflughafen BER wirklich bereit zur Öffnung?

Berlin

Ist der Pannenflughafen BER wirklich bereit zur Öffnung?

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    Das Terminalgebäude des Hauptstadtflughafens Berlin Brandenburg Willy Brandt (BER).
    Das Terminalgebäude des Hauptstadtflughafens Berlin Brandenburg Willy Brandt (BER). Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

    Weil sie das Monster gezähmt haben, kann sich Roland Böhm jetzt mit 7000 Koffern beschäftigen. Sie wurden am Abend vor den Toren der Abflughalle in Frachtcontainern verstaut. An diesem Morgen werden sie wieder in das Terminal gebracht. Ein Flughafen wird trainiert. Das Monster, das ist die Entrauchungsanlage, die den Flughafen Berlin Brandenburg – den BER – zu Deutschlands peinlichster Baustelle machte. Dazu später mehr.

    Roland Böhm ist so etwas wie der Cheftrainer, dafür verantwortlich, dass am BER am 31. Oktober die ersten Maschinen landen können. Nur noch vier Wochen. „Es gibt kein Zurück mehr“, sagt er.

    Der Bauingenieur sagt: „Es gibt kein Zurück mehr“

    Nach 14 Jahren Bauzeit, einer Kostenexplosion, ungezählten haarsträubenden Pannen und verschobenen Eröffnungsterminen ist Skepsis allerdings die angebrachte Geisteshaltung, vor allem, wenn es um vermeintliche Sicherheiten an Berlins Tor zur Welt geht. Sicher ist derzeit nur, dass dem Flughafen die Pleite droht – und das, noch ehe er eröffnet ist.

    250 Millionen Euro werden gebraucht, damit der BER nicht bankrott geht. Denn in Berlin werden im Winterhalbjahr nur ein Viertel so viele Passagiere abheben oder ankommen wie im vergangenen Jahr. Der Seuchenschutz fordert seinen Tribut. Wegen der Corona-Pandemie erlebt die Luftfahrtbranche ihre schwerste Krise seit dem Ende des Krieges. Dem neuen Flughafen fehlen die geplanten Einnahmen.

    BER-Cheftrainer Böhm weiß um die dramatische Leere in den Kassen, darf das aber nicht an sich heranlassen. Der große, kräftige Bauingenieur hat 47 Probebetriebstage angesetzt. Mitte Oktober steht der letzte auf dem Terminplan. 10.000 Menschen müssen geschult werden, damit alles funktioniert am neuen Flughafen. Flugbegleiterinnen, Wachleute, Putzfrauen, Polizisten, Piloten, Zollbeamte, die Männer von der Gepäckabfertigung, Köche, Kellner und Verkäuferinnen sollen vorbereitet sein, wenn es losgeht.

    Der Flughafen-Tester meint: „Schön ist anders“

    „Leben in die Bude“ bringen, so nennt Roland Böhm seine Aufgabe. An diesem grauen Tag Ende September steht er in der Abflughalle. Er beobachtet, wie Passagiere die Rolltreppe nach oben kommen, den Kopf im Nacken streifen ihre Blicke durch den Raum. Glas, Beton und hellbraune Holzverkleidung überwölbt von einer riesigen roten „Koralle“, die weit über den Köpfen an der Decke hängt. Fliegender Teppich wird das Kunstwerk genannt.

    Es sind keine richtigen Passagiere, sie spielen nur Flughafen. Ohne die Komparsen bliebe das Proben für den großen Tag Trockenübung. 400 sind an diesem Tag gekommen. Sie sollen die (fast) unendliche Geschichte im Süden der Hauptstadt zu einem guten Ende führen. Es sind bei weitem nicht nur Berliner und Brandenburger, sondern Leute aus ganz Deutschland. Einige sind sogar aus anderen Ländern angereist.

    Rudolf Hertz, einer von ihnen, wohnt in Nürnberg und sagt von sich: „Ich bin ein begeisterter Flieger.“ Er weiß, wann sein simulierter Flug startet, und hat noch etwas Zeit. Deshalb sucht er eine Bar, um ein Bierchen zu trinken, wie er es gerne vor dem Abheben macht. Doch die Bar nimmt nicht am Probebetrieb teil.

    Hertz war schon dabei, als 1992 der Münchner Flughafen von Riem nach Erding zog. Sein erster Eindruck über den Hauptstadtflughafen fällt gemischt aus. „Schön ist anders. Von außen ist es eine betonierte Trostlosigkeit, innen geht es“, sagt er. Wie die anderen Komparsen auch hat Hertz einen Zettel erhalten mit seinem Drehbuch. Da geht es zum Beispiel von Berlin nach Madrid als erste Aufgabe des Tages. Danach folgt ein Rückflug von Sevilla nach Berlin. Auf den Tickets stehen nicht die richtigen Namen, sondern Fantasienamen wie „Hidden Chamäleon“ oder „Nick Whitey“. Die Reise-Schauspieler erhalten einen oder zwei der 7000 Koffer, Rucksäcke und Taschen. Sie sind mit einem X markiert und befüllt. Eine spezialisierte Firma aus Erbendorf in Franken hat sie geliefert.

    BER-Tester Rudolf Hertz
    BER-Tester Rudolf Hertz Foto: Christian Grimm

    Ein Teil der Fluggäste muss sich einen Gepäckwagen organisieren, andere fliegen nur mit Handgepäck. Später gehen sie an die Schalter, durch die Sicherheitsschlange, um schließlich am Gate zu warten. Als Lohn für Warten und Stehen winkt ein grauer Rucksack aus dünnem Stoff mit dem BER-Schriftzug, Gratis-Kaffee und ein Lunchpaket. Geld gibt es nicht.

    Der Flughafen in Berlin sorgte international für Hohn und Spott

    Roland Böhm will wissen, wo die Zahnräder nicht richtig ineinandergreifen. Wie lange dauert die Gepäckaufgabe? Wie schnell kommen die Reisenden durch die Sicherheitsschleuse? Verstehen sie die Schilder? Weiß das Personal am Info-Schalter, wo das Sperrgepäck aufgegeben werden kann? „Das richtige Leben beginnt, wenn ein Fluggast mit Hochsprungstange und einem Hund kommt“, sagt er. Zum richtigen Leben gehört auch ein herrenloser Koffer, der einen Bombenalarm auslöst. Eine Demo, die von der Flughafenpolizei begleitet wird. Und der Ausfall des Röntgengeräts an der Gepäckaufgabe, was für erhebliche Wartezeiten sorgt. Fehlen im Programm darf ebenfalls dieser Klassiker nicht: Ein Ausweis ist in der Reisetasche gelandet, die schon aufgegeben wurde und durch die Innereien des Flughafens kreist. „Passiert am Flughafen Tegel jeden Tag“, sagt Böhm.

    Freundlich und geduldig beantwortet er die Fragen der Komparsen. Einer will jetzt rauchen, aber die Raucherlounge ist noch verschlossen. Böhm muss kurz überlegen, wo sich eine andere befindet, und weist ihm den Weg. Er hatte viel Zeit, um sich auf diese besonderen Fälle vorzubereiten. Böhm übte schon einmal mit Freiwilligen. Das war im Jahr 2012, als der BER mit großem Pomp eröffnet werden sollte. Die Einladungen waren bereits verschickt.

    So weit wie an diesem Tag kam Böhm damals nicht. Für ihn geht es nun darum, dass hier und dort ein zusätzliches Schild angebracht wird, die Trockenbauer die Läden im Duty-free-Bereich fertigstellen und die Ladesäulen für Handys pünktlich aufgestellt werden. Denn als die Architekten den Flughafen planten, wurde das Leben noch nicht von diesen kleinen Kästchen bestimmt, die jeder in Hosen- oder Jackentasche bei sich trägt. Zudem fehlt es an Steckdosen im Terminal. Die Mülleimer sind zu schmal – zwei zerknüllte Zeitungen und die Öffnung wäre verstopft. 300 neue Mülleimer müssen bestellt werden.

    Im Vergleich zu den Problemen der Vergangenheit sind das Peanuts.

    So soll er Ende Oktober in Betrieb genommen werden

    Über Jahre flogen am BER nur die Manager: Die Geschichte des Projekts ist eine groteske Farce von Pfusch, Mängeln, Absurditäten und Schlendrian. Schon 1999 bei der Auftragsvergabe war der Wurm drin. Ein Gericht stellte Fehler bei ihr fest. Damals planten die Bauherren, also der Bund und die beiden Länder Berlin und Brandenburg, dass spätestens 2008 die ersten Maschinen würden abheben können. Doch es folgten Jahre, in denen die Meldungen vom BER allenfalls für Hohn und Spott in Deutschland und der ganzen Welt sorgten.

    Geisterzüge sausten durch den unterirdischen Tunnel, damit die Röhren belüftet werden – es sollte sich ja kein Schimmel bilden. Auf der Baustelle brannte Tag und Nacht das Licht, weil die Lichttechnik so verkorkst war, dass es sich nicht ausschalten ließ. Die Rolltreppen vom Bahnhof zum Terminal waren zu kurz. Für automatische Türen fehlte der Stromanschluss, sodass die Wände noch einmal aufgestemmt werden mussten. Die Klopapierhalter auf den Toiletten fielen aus der Wand, weil falsche Dübel verwendet wurden. 600 Bäume mussten abgesägt und zerhäckselt werden, weil die falsche Sorte gepflanzt worden war. Der Architekt wurde gefeuert, das Chaos war komplett. Die Serie ließe sich beliebig fortsetzen.

    Die Kosten, die beim ersten Spatenstich mit zwei Milliarden Euro beziffert waren, kletterten auf sechs Milliarden ohne Zinsen. Der BER mutierte zum Bermudadreieck für Steuergeld. Es waren zwei Kardinalfehler, die die Baustelle zum Fiasko für Deutschlands Ruf als Nation der Planer und Ingenieure werden ließen.

    Fehler 1: Die Verwaltung setzte sich selbst den Bauhelm auf, um die Kosten eines Generalunternehmers zu sparen, und ertrank an der Komplexität des Projekts.

    Fehler 2: Aus ästhetischen Gründen sollte die Entrauchungsanlage nicht unter der Decke des Terminals angebracht werden. Im Falle eines Brandes sollte der Qualm durch die Wände nach unten abgesaugt und nach draußen befördert werden. Die Planer hatten sich überschätzt, weil sie die Physik besiegen wollten. Sie hatten ein Monster geschaffen.

    Bei einem Probelauf kollabierte das System unter der Volllast der Siemens-Turbinen. In den Griff bekam es erst der amtierende Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup. Er gilt als bester Mann des Regierenden Bürgermeisters von Berlin.

    Flughafen BER: Chronik des Scheiterns

    Im September 2006 ist Spatenstich. Damals rechnet man noch damit, den Flughafen im Oktober 2011 eröffnen zu können.

    Dass der geplante Eröffnungstermin nicht eingehalten werden kann, steht im Juni 2010 fest. Eine Planungsfirma war pleite gegangen. Neuer Termin: Juni 2012.

    Auch das war zu optimistisch. Im Mai 2012 werden Probleme mit der Brandschutzanlage festgestellt. Die für Juni geplante Eröffnung muss abgesagt werden. Nun soll es im März 2013 soweit sein.

    Eine Analyse im September 2012 deckt zahlreiche Mängel auf. Die Eröffnung wird auf Oktober 2013 verschoben.

    Weil im Januar 2013 weitere Baumängel zu Tage treten muss erneut verschoben werden. Dieses Mal legt man sich nicht fest. Der neue Eröffnungstermin? Unbestimmt.

    Im Dezember 2014 formuliert der Aufsichtsrat dann ein neues Ziel: Im zweiten Halbjahr 2017 soll es losgehen.

    Januar 2017: Wegen Problemen mit den automatischen Türen und Sprinkleranlagen verschiebt sich die Eröffnung auf 2018.

    Im März 2017 bekommt der BER erneut einen neuen Chef, den Berliner Staatssekretär Engelbert Lütke Daldrup.

    Für den Abschluss der Bauarbeiten rechnet man im August 2017 noch ein weiteres Jahr ein. Eine Eröffnung vor 2019 ist damit ausgeschlossen.

    Im Dezember 2017 wird dann der letzte Termin bekanntgegeben: Im Oktober 2020 soll der Flughafen BER eröffnen.

    Im März 2018 erklärt die Flughafengesellschaft, den Ausbau künftig privat unterstützen zu lassen. Das Terminal 2 soll als Mietkauf- oder Leasingobjekt gebaut werden. Die Eröffnung des BER wird auf Herbst 2020 terminiert.

    Im Juli 2018 erteilt das Bauordnungsamt des Landkreises Dahme-Spreewald die Genehmigung für den Bau von Terminal 2.

    November 2019: Ein Meilenstein - die Tüv-Prüfungen am BER verlaufen erfolgreich. Damit können die Vorbereitungen für den Umzug von Tegel beginnen.

    Damit bei der Eröffnung tatsächlich alles funktioniert, proben ab Juli 2020 Komparsen den Flughafenbetrieb am BER. Ingesamt sollen 9000 Komparsen an den Tests teilnehmen. Sie testen unter anderem den Check-in, die Gepäckabgabe, die Sicherheitskontrollen sowie die Ankünfte.

    August 2020: Der Sicherheitscheck am Flughafen läuft. Das sogenannte Cleaning dauert zehn Tage und ist die Voraussetzung dafür, dass der endgültige Sicherheitsbereich am Flughafen abgegrenzt werden kann. Wer ihn künftig betritt, muss vorher durch die Sicherheitskontrolle.

    Pünktlich zur geplanten Eröffnung des Hauptstadtflughafens BER am 31. Oktober ist auch dessen Terminal 2 (T2) fertig geworden - gebraucht wird es aber aufgrund der niedrigen Passagierzahlen in der Corona-Krise zunächst nicht. Es soll zum Sommerflugplan 2021 in Betrieb gehen.

    Das Coronavirus stellt den Flughafenchef vor ein gewaltiges Problem

    Doch auch die Fähigsten sind machtlos gegen die Bedrohung, die von einem unsichtbaren Virus ausgeht. Aufgrund der Corona-Krise ist Lütke Daldrup die gesamte Kalkulation zusammengebrochen. Er hat das geschafft, woran viele scheiterten und steht, angekommen am Ziel, doch vor dem nächsten Abgrund. Der Flughafenchef verhängte also einen Einstellungsstopp, baute 400 Stellen ab und verschob Investitionen. 50 Millionen Euro soll das Sparprogramm bringen. Dennoch braucht er 250 Millionen Euro mehr von seinen Eignern, um die Zahlungsunfähigkeit abzuwenden. In den nächsten Jahren werden weitere Zuschüsse nötig sein. In der Branche rechnet keiner damit, dass die Einbrüche nächstes Jahr ausgeglichen werden können, selbst wenn ein Corona-Impfstoff verfügbar ist.

    Der Flughafen in Berlin Brandenburg steht kurz vor seiner Eröffnung. Aber die Corona-Krise birgt neue Probleme.
    Der Flughafen in Berlin Brandenburg steht kurz vor seiner Eröffnung. Aber die Corona-Krise birgt neue Probleme. Foto: Christian Grimm

    Und nun? Eine feierliche Flughafen-Eröffnung in vier Wochen? „Es gibt keine große Party, wir machen einfach auf“, sagt Engelbert Lütke Daldrup. Zwei Maschinen sollen am Nachmittag des 31. Oktober parallel am BER einschweben und den symbolischen Anfang markieren. Tags darauf sollen dann die ersten Flieger regulär abheben. Es werden viel weniger sein als einmal geplant.

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