Deutschland ist ein Land, das die Dinge vernünftig angeht. Beim Kampf gegen das Corona-Virus hat sich diese deutsche Tugend bezahlt gemacht. Auf der ganzen Welt wird die Bundesrepublik dafür bewundert. Bei Großprojekten hat der Nimbus konzentrierten, zielorientierten effizienten Handelns zuletzt aber deutlich an Glanz verloren. Der Berliner Flughafen BER, Stuttgart 21, die Elbphilharmonie – sie alle gerieten zum Desaster. Im Ausland fragte man sich, ob die Deutschen das Bauen verlernt und ihr Organisationstalent verloren haben?
Drei Faktoren sind Chaos-Faktoren
Für die Wirtschaftsprofessoren Klaus Schmidt und Eckhard Janeba liegt der Fehler im System. Gemeinsam mit weiteren Wissenschaftlern haben sie umfassend untersucht, was beim Bau von Straßen, Schienen, Flughäfen und Bahnhöfen im Argen liegt. Sie kommen zu dem Schluss, dass es vor allem drei Faktoren sind, die für Chaos sorgen:
- Unehrlichkeit der Politik
- Schwach besetzte Baubehörden
- Komplizierte Ausschreibungsverfahren.
Wegen Faktor 1 beginnt die Malaise von Prestigeprojekten lange vor dem Spatenstich. Zwischen den zuständigen Politikern, Architekten und Baufirmen gibt es eine Art stille Übereinkunft, wie Schmidt erklärt. „Man rechnet die Kosten klein. Einen solchen Anreiz gibt es ganz klar im politischen Prozess“, sagt der Ökonom von der Ludwig-Maximilian-Universität München.
Gewinne für Planer und Firmen zum Nachteil der Steuerzahler
Die Wähler sehen es nicht gerne, wenn (zu) viel Steuergeld für „Baudenkmäler“ von Ministerpräsidenten, Ministern und Bürgermeistern ausgegeben wird. Die Kostenschätzungen sind daher oft von Beginn an Makulatur. Beispiel Berlin: Der Flughafen wird sieben Milliarden Euro verschlungen haben, wenn er am 31. Oktober in Betrieb gehen wird. Ursprünglich eingeplant waren 1,7 Milliarden Euro. Beispiel Stuttgart 21: Zu Beginn taxierte die Bahn die Ausgaben auf 2,8 Milliarden Euro. Inzwischen wird mit über acht Milliarden gerechnet, die an Planer, Projektsteuerer und Baufirmen gehen. „Der eigentliche Gewinn wird in der Nachverhandlung gemacht“, meint Schmidt. Die Negativfolge haben die Steuerzahler.
Der zweite Faktor, der öffentliche Bauprojekte ins Verderben führt, sind die Baubehörden. Die Wissenschaftler, die ihre Analyse im Auftrag des Wirtschaftsministeriums verfasst haben, bemängeln, dass den Ämtern das nötige Personal fehlt. Sei es, weil Dörfer und Kleinstädte zu klein sind, um sich einen gut ausgestatteten Apparat leisten zu können oder weil in Krisenzeiten an Personal gespart wird.
Ein gutes Beispiel ist wiederum der BER. Die Baubehörde des Landkreises Dahme-Spreewald war mit der Begleitung der riesigen Baustelle völlig überfordert. Die Lösung sind aus Sicht der Wissenschaftler Investitionsfördergesellschaften. Die Idee ist simpel: Statt kleiner Bauämter in jeder Kommune oder jedem Kreis werden die Kräfte gebündelt. In den Fördergesellschaften, die für ganze Regionen zuständig sind, können sich Spezialisten um spezifische Bereiche kümmern. Selbst die Hamburger Verwaltung war mit der Elbphilharmonie überfragt, wie der Untersuchungsausschuss zum Bauskandal feststellte.
Derweil versauern in Fördertöpfen die Milliarden
Ein positiver Nebenaspekt der Konzentration der Kräfte könnte darin liegen, dass Fördermittel des Bundes endlich abgerufen werden. Ein vom Bund 2015 eingerichteter Hilfstopf war vier Jahre später noch immer mit mehr als der Hälfte der Gelder gefüllt. In verschiedenen Förderprogrammen des Bundes versauern Milliarden ungenutzt.
Chaos-Faktor Nummer 3 ist die Gestaltung der Ausschreibungsverfahren. Die Professoren halten es für nicht zielführend, dass die Bürger derart viele Einspruchsmöglichkeiten haben. „Es geht nicht darum, sie abzuschaffen, es geht darum, sie zu straffen“, erklärt Schmidt. Ein anderer Hemmschuh für zügigen Baufortschritt sei die oft gewünschte Beteiligung des Mittelstandes. Das führe dazu, dass Projekte in viele kleine Scheiben, sprich Auftragspakete, geschnitten würden. Folge: Der Koordinierungsaufwand steigt. Die Experten halten es für besser, wenn Großprojekte von Großkonzernen durchgezogen werden.
Wenngleich das keine Garantie für Erfolg ist: Hamburg plante sein neues Wahrzeichen mit einem Architekturbüro und einem Baukonzern. Die Struktur war schlank, aber dennoch fehleranfällig. Das Konzerthaus wurde sieben Jahre später fertig. Die Kosten verzehnfachten sich auf 790 Millionen Euro.
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