Wenn die Juristin Daniela Bergdolt auf einer Hauptversammlung nach vorne geht, um an einem Pult Managern schon mal die Leviten zu lesen, hören nach wie vor überwiegend männliche Vertreter dieser Spezies von Frau genau zu. Die Worte der Vize-Präsidentin der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz haben Gewicht, spätestens seit sie den früheren Siemens-Chef Heinrich von Pierer 1999, lange vor dem Korruptionsskandal, aufforderte: „Bringen Sie den schlingernden Tanker Siemens auf Kurs, lösen Sie ihre unzähligen Versprechen ein – oder verlassen Sie die Brücke.“ Ein Raunen ging durch die Olympiahalle. Die damals rund 7300 Teilnehmer der Veranstaltung erlebten einen besonderen Tag der Aktionärsdemokratie: Eine Frau hatte es gewagt, einen der mächtigsten Vorstandsvorsitzenden zu provozieren, indem sie ihm mangelnde Durchsetzungskraft vorwarf.
BMW-Chef Oliver Zipse beantwortet kritische Fragen
Dergleichen muss Oliver Zipse kaum befürchten, der in seinen neun Monaten als BMW-Chef – und gerade jetzt in der Cornona-Krise – nicht durch unterdurchschnittliche Entschlossenheit auffiel, und wenn auch nicht auf das beste, so doch auf ein gutes Geschäftsjahr zurückblicken kann. Doch Bergdolt hätte sich auch gerne mit diesem Manager lieber live in der Olympiahalle in München auseinandergesetzt, statt nur Fragen an ihn vorab einzureichen, die dann am Donnerstag von Zipse verlesen und beantwortet wurden.
Bei der ersten, in der Corona-Krise notgedrungen digitalen Hauptversammlung der Aktiengesellschaft durften wegen des nach wie vor geltenden Verbots von Großveranstaltungen weder wie sonst tausende Aktionäre noch deren Sprecher vor Ort sein. Vorstand und Aufsichtsräte sitzen nun in der BMW-Welt nahe der Olympiahalle auf einem Podium ohne direkte Zuschauer. Anteilseigner können die statisch wirkende Veranstaltung von zu Hause aus verfolgen, ob sie am Küchentisch oder am Sofa Platz genommen haben. Für Vorstände und Aufsichtsratschefs wirkt das virtuelle Format bequemer, „ist doch ein Schlagabtausch nicht möglich“, wie Bergdolt bemängelt. Sie spricht von „blutleeren, meist langweiligen Veranstaltungen, bei denen es nicht möglich ist, auf Antworten des Managements Nachfragen zu stellen“.
Verbale Ping-Pong-Spiele bleiben auf der Strecke
Spontanität und verbale Pingpong-Spiele bleiben in Pandemie-Zeiten auf der Strecke. Es ist unmöglich, Widerspruch derart vernehmbarer kundzutun, wie es einst 1993 dem streitbaren Professor Ekkehard Wenger bei der Daimler-Hauptversammlung gelang. Er fetzte sich mit dem leicht reizbaren und zu Zornesröte neigenden einstigen Aufsichtsratsvorsitzenden Hilmar Kopper. Als der Banker dem ebenso leicht in provokative Wallungen geratenen Kritiker von Unternehmens-Boss Edzard Reuter nur fünf Minuten Redezeit zugestehen wollte, kam es zum Eklat: Wenger wollte partout nicht vom Podium weichen. Kopper blieb stur und ließ Ordnungskräfte anrücken. Der Professor geriet ins Wanken, wurde aus dem Saal getragen und endgültig zur Legende.
Dergleichen muss Bergdolt sicher niemals befürchten, zu stilsicher und letztlich höflich verhält sie sich, selbst wenn die Rechtsanwältin Managern die Meinung sagt. Dem BMW-Chef stellt Bergdolt schriftlich zwar unangenehme Fragen, vermeidet aber alles Lärmende. Und so geht Zipse in ruhigem Ton unter Nennung des Namens der Aktionärssprecherin ausführlich sowie sachlich auf deren Einlassungen ein.
Warum zahlt BMW in Krisenzeiten Dividende?
Bergdolt bemängelt, dass BMW eine, wenn auch von 3,50 auf 2,50 Euro je Stammaktie gekürzte Dividende zahlt: „Es stellt sich die Frage, ob selbst eine solche Ausschüttung gerechtfertigt ist, nachdem 2020 wohl kein Gewinn erzielt werden kann, BMW vom Staat eine Kaufprämie für neu produzierte Autos fordert und immerhin 30.000 Mitarbeiter in Kurzarbeit sind.“ Müsse man dann nicht sein Pulver trocken halten? Das will die Aktionärsschützerin vom Konzern-Chef wissen. Auch wenn das alles von Zipse korrekt widergegeben wird, wirken die Fragen der Juristin nicht so pointiert, als hätte Bergdolt sie vor tausenden Menschen mit entsprechender Mimik und womöglich unter Applaus von Aktionären vorgetragen. Nach dieser und anderen virtuellen Hauptversammlungen ist klar: Digital lässt es sich, zumindest bei solchen Formaten, nicht so gut zoffen wie analog. Für Bergdolt sind virtuelle Aktionärstreffen daher nur in einer Ausnahmesituation wie der gegenwärtigen akzeptabel. Sie hofft, schon nächstes Jahr wieder auf dem Podium der Olympiahalle den BMW-Verantwortlichen in die Augen schauen zu können – ein Wunsch, den Zipse übrigens teilt.
Auf alle Fälle nutzt der BMW-Chef die Lage nicht aus, um unliebsamen Fragen auszuweichen. Er setzt sich immer wieder mit der Kritik an den Dividenden-Zahlungen auseinander. Für den Manager ist es wichtig, dass die BMW-Aktionäre „am Erfolg ihres Unternehmens beteiligt werden“. Und erfolgreich war der Autobauer auch 2019, wurden doch 5,0 Milliarden Euro Gewinn erwirtschaftet. Nun sollen rund 1,65 Milliarden Euro an die Aktionäre verteilt werden. Dabei werden Dividenden – und das ist das Hauptargument Zipses – rückwirkend gezahlt, also 2020 für das Geschäftsjahr 2019. Für ihn ist es wichtig, dass BMW „zuverlässig handelt, auch in der Dividenden-Politik“. Denn selbst die Erfolgsbeteiligung der Mitarbeiter sei an die Kenngröße gekoppelt. Das Thema ist also komplex, es lassen sich Argumente für und gegen Dividenden-Zahlungen in Corona-Zeiten finden.
BMW-Chef Zipse: „BMW kann auch Krise“
Damit die 100. Hauptversammlung in der BMW-Geschichte digitalbedingt dann doch nicht zu blutleer gerät, blickt Zipse betont emotional weit in die Historie des Unternehmens zurück und gibt die Losung aus: „BMW kann auch Krise.“ Das belegt der Manager etwa am Beispiel der legendären und non-virtuellen Hauptversammlung des Unternehmens am 9.Dezember 1959. Damals fehlte nicht viel und die finanziell am Abgrund stehende BMW AG wäre vom Rivalen Daimler geschluckt worden. Doch die fiese Attacke der Stuttgarter scheiterte am Widerstand widerborstiger Kleinaktionäre. Die Münchner wissen also kritische Köpfe zu schätzen.
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