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Augsburg: Wie Weltbild in die Krise rutschte

Augsburg

Wie Weltbild in die Krise rutschte

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    Die Frage, wie es mit ihrem Unternehmen weitergeht, quält viele Beschäftigte der Augsburger Verlagsgruppe Weltbild. Eine für den heutigen Freitag angesetzte Betriebsversammlung ist gestern verschoben worden.

    Der Betriebsrat nannte drei Gründe: Zum einen verhandele man über ein Fortführungskonzept und die Zahl der Entlassungen, zum anderen sei noch offen, welche Maßnahmen zur sozialen Abfederung durchgesetzt werden können. Schließlich gebe es „offene Fragen bezüglich der finanziellen Beteiligung der Kirche“.

    Herrscht bald Klarheit?

    Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz teilte über seinen Sprecher Patrick Hacker mit, er begrüße die Verschiebung. Zum neuen Termin könne mehr Klarheit herrschen, was Investoren, Personal und die Zukunft des Unternehmens betrifft. Im Erzbistum München-Freising wies Weltbild-Aufsichtsrats-Chef Peter Beer indes den Eindruck zurück, die Kirche sei schuld an der Terminverschiebung.

    „Die Kirche steht zu ihren bisher gemachten Zusagen“, sagte Beer unserer Zeitung. Man führe gute Gespräche mit Betriebsrat und der Gewerkschaft, müsse noch vertragliche Dinge regeln, hoffe aber, nächste Woche zu einer guten Einigung zu kommen.

    Das Unternehmen Weltbild

    Zahlen und Fakten zur Augsburger Weltbild-Gruppe:

    Weltbild beschäftigte einst insgesamt rund 6800 Mitarbeiter, davon 2200 am Standort Augsburg.

    Weltbild gehörte den zwölf katholischen Bistümern, dem Verband der Diözesen Deutschlands und der Soldatenseelsorge Berlin.

    Weltbild startete 1948 als Winfried-Werk in Augsburg. Der Verlag gab katholische Zeitschriften heraus. Als zusätzlichen Service gab es einen Bücherdienst.

    In den 1980er Jahren blühte das Unternehmen auf, es kaufte Verlage und Zeitschriften dazu. 1994 eröffnete man die ersten Filialen.

    Seit 1997 gibt es den Onlinehandel. Während das Buchgeschäft floriert, kränkelte das Zeitschriftengeschäft. 2008 stieß Weltbild den kompletten Bereich ab.

    Unter dem Dach der Holding DBH waren die Buchhandlungen Hugendubel, Weltbild und Jokers gebündelt. Zum Konzern gehörten auch die Vertriebsmarken Weltbild, Jokers, Kidoh und buecher.de.

    2012 verkündete die Verlagsgruppe 1,59 Milliarden Euro Umsatz.

    In den vergangenen Jahren geriet das Unternehmen unter Druck - die Konkurrenz von Amazon und anderen machte Weltbild zu schaffen.

    Im Januar 2014 meldete Weltbild Insolvenz an.

    In den folgenden Monaten bekamen hunderte Beschäftigte die Kündigung ausgesprochen.

    Im Mai kündigte Investor Paragon an, Weltbild zu übernehmen.

    Wenig später stieg Paragon wieder aus. Anfang August übernahm dann die Beratungs- und Investmentgruppe Droege die Mehrheit an Weltbild.

    Der Online-Medienhändler bücher.de gehört ab August 2014 vollständig zur Weltbild-Gruppe.

    September 2014: Nach der Mehrheitsübernahme durch den Düsseldorfer Investor Droege gibt es eine neue Geschäftsführung: Gerd Robertz, Patrick Hofmann und Sikko Böhm.

    Nach nur sieben Wochen tritt Gerd Robertz ab und widmet sich wieder nur dem Onlinegeschäft bücher.de.

    Im November kündigt die Geschäftsführung von Weltbild an, in der Verwaltung rund 200 Arbeitsplätze zu streichen.

    2015: Weltbild verkauft 67 Filialen an die kleine Kette "Lesenswert".

    Juli 2015: Rund ein halbes Jahr nach der Übernahme der 67 Filialen ist der Käufer pleite.

    Juli 2015: Knapp ein Jahr nach der Übernahme des Weltbild-Konzerns durch den Düsseldorfer Investor Droege muss der Logistikbereich von Weltbild erneut Insolvenz anmelden.

    Wie konnte es zu dem Weltbild-Drama kommen? Gestützt auf Berichte aus dem Unternehmen, der Kirche und der Gewerkschaft Verdi lässt sich mittlerweile ein klares Bild zeichnen.

    Stellen doppelt besetzt

    Rückblick. Noch im Juli 2012 meldete Weltbild einen Umsatz von 1,59 Milliarden Euro und ein „positives Ergebnis“. In Augsburg habe man 450 neue Stellen geschaffen, teilte das Unternehmen damals mit. In der Zentrale arbeiteten 2300 Mitarbeiter, dazu kamen 3500 in den Buchläden des Konzerns.

    In den folgenden Monaten muss die Buchhandelskrise das Unternehmen frontal getroffen haben. Da ist die Konkurrenz durch Amazon, da sind mehrere Filialen, die rote Zahlen schreiben, da ist das immer schwierigere Katalog-Geschäft. Der Umsatz habe sich „immer weiter nach unten geschraubt“, sagt heute ein Beobachter.

    Doch das allein ist es nicht. Offenbar sind viele Investitionen zu groß angelegt. Das Logistikzentrum gilt heute als nicht ausgelastet. Die Einführung eines neuen IT-Programms zog sich hin. Viele Stellen im Unternehmen gelten als doppelt und dreifach besetzt.

    Ereignisse überschlugen sich

    Die Banken aber glaubten an Weltbild. Noch im Dezember 2012 gaben sie unbesicherte Kredite, bestanden aber offenbar darauf, dass endlich Klarheit über die Eigentümerstruktur herrscht. In der Hand von 14 Eigentümern – zwölf Bistümern, dem Verband der Diözesen Deutschlands und der Soldatenseelsorge – zogen sich Entscheidungen zu lange hin.

    Aufsichtsratschef Beer machte sich deshalb dafür stark, Weltbild einer Stiftung zu übertragen. Doch auch dies in die Wege zu leiten, dauerte zu lange. Die Ereignisse überschlugen sich.

    Im September berichtete die FAZ von einer drohenden Insolvenz. Leiharbeiter mussten gehen, in der Buchproduktion und später im Kundencenter fielen Stellen weg. Hunderte Beschäftigte zogen aus Protest im Oktober in einem „Trauermarsch“ zum Augsburger Dom.

    Das Beratungsunternehmen KPMG bescheinigte Weltbild in der zweiten Jahreshälfte 2013 indes in einem internen Gutachten, sanierungsfähig zu sein – und schätzte die Kosten auf rund 65 Millionen Euro. Das Beratungsunternehmen Tammo Andersch bestätigte im Großen und Ganzen diese Sicht.

    "Getäuscht und betrogen"

    In langen Verhandlungen stimmte die Kirche zu, 65 Millionen Euro bereitzustellen. Weltbild-Chef Carel Halff sagte Ende Oktober 2013 unserer Zeitung, die „Liquidität ist ausreichend“. Im ersten Quartal 2014 solle eine Finanzierung für das Unternehmen stehen. Der Sanierungsexperte Josef Schultheis kam an Bord.

    Der Niedergang von Weltbild

    Mit Pornoliteratur fing vor knapp zweieinhalb Jahren der Niedergang des Weltbild-Verlages an.

    Dass ausgerechnet ein von der katholischen Kirche getragenes Medienunternehmen Geld mit Erotikangeboten oder Esoterikbüchern macht, sorgte für Schlagzeilen und stürzte die Augsburger Verlagsgruppe in die Krise.

    Seitdem hat sich Weltbild nicht mehr erholt. Der Insolvenzantrag ist der vorläufige traurige Höhepunkt der Entwicklung bei dem Konzern mit mehr als 6000 Beschäftigten und etwa eineinhalb Milliarden Euro Umsatz.

    Als im Oktober 2011 das Erotikangebot bei Weltbild bekannt wurde, trat zunächst der von der Kirche entsandte Aufsichtsratsvorsitzende zurück. Dann preschte der Kölner Kardinal Joachim Meisner vor und verlangte eine Trennung von Weltbild.

    Seitdem wurde breit darüber diskutiert, wie sich die Diözesen von Weltbild trennen können. Eine Stiftung war im Gespräch, eine Lösung gab es nicht. Die Beschäftigten appellierten dabei immer wieder an die soziale Verantwortung der Bischöfe.

    Doch nicht nur der Wirbel um Buchtitel wie "Zur Sünde verführt" oder "Das neue Kamasutra" setzte dem Unternehmen zu. Im Wettbewerb mit Online-Gigant Amazon hatten es die Augsburger zunehmend schwer mit ihrem eher klassischen Katalog-Versandhandel.

    Seinen stationären Buchhandel hatte Weltbild im Jahr 2007 mit der Familie Hugendubel zusammengelegt. Das damals gegründete Gemeinschaftsunternehmen betreibt seitdem die Filialen unter etlichen Markennamen wie "Hugendubel", "Weltbild plus", "Jokers" sowie die Karstadt-Buchabteilungen.

    Dass die angeschlagene Verlagsgruppe zuletzt ihre zweiköpfige Geschäftsführung extra um den Sanierungsexperten Josef Schultheis erweiterte, konnte Weltbild nicht mehr retten. Er sollte den Umbau des Hauses in Richtung digitalem Handel beschleunigen.

    Möglicherweise kam dieser Schritt zu spät: Obwohl Weltbild im Weihnachtsgeschäft sogar etwas über dem Plan lag, musste das Unternehmen im ersten Halbjahr des laufenden Geschäftsjahres (30. Juni) Einbußen bei Umsatz und Ergebnis verbuchen.

    "Das auch für die nächsten drei Jahre erwartete geringere Umsatzniveau verdoppelt den Finanzierungsbedarf bis zur Sanierung", begründete das Unternehmen den Insolvenzantrag.

    Die Gewerkschaft Verdi warf der Kirche umgehend vor, sich aus der Verantwortung zu stehlen.

    Erst im Oktober wurde bekannt, dass Weltbild in Augsburg ihren Kundendienst auslagern will - 140 Mitarbeiter sind davon betroffen. Doch weitere konkrete Zahlen und detaillierte Planungen zur Sanierung waren seit jeher von Weltbild kaum zu erfahren. Denn was Transparenz anging, operierte das Unternehmen ähnlich verschwiegen wie der große Konkurrent Amazon.

    Ende des Jahres wurde deutlich, wie dramatisch die Situation tatsächlich ist. Weltbild hat allein in einem Jahr offenbar 100 Millionen Euro Verlust gemacht. Zuvor war stets von deutlich weniger die Rede. Man sei „getäuscht und betrogen worden“, sagen heute Gewerkschafter. Das Unternehmen sitzt Insidern zufolge auf rund 190 Millionen Euro Bankschulden.

    Betroffen sind Commerzbank und Hypovereinsbank, kirchliche Banken, aber auch Sparkassen. Betriebsrat und Gewerkschaft schlugen nach eigener Darstellung eine Insolvenz nach dem neuen Schutzschirmverfahren vor, das eine Sanierung in Eigenregie ermöglicht. Die Geschäftsführung habe das abgelehnt. Es sei noch genug Geld vorhanden.

    Sanierungsbedarf stieg immer weiter an

    Das Weihnachtsgeschäft lag dann acht Millionen Euro unter Soll. Unternehmensberater rechneten den Sanierungsbedarf neu durch. Sie kamen nun auf 135 Millionen Euro statt den bisherigen 65 Millionen – verteilt auf drei Jahre. Chefsanierer Schultheis versuchte, die Kirche zu bewegen, mehr Geld nachzuschießen. Die Banken hatte er offenbar an Bord. Doch es lief anders als erwartet.

    Am Dienstag, 7. Januar, informierte die Geschäftsleitung Weltbild-Aufsichtsratschef Beer über den verdoppelten Kapitalbedarf, der Aufsichtsrat traf sich. Am Mittwoch informierte Beer die Bistümer. Am Donnerstag kam die Gesellschafterversammlung zusammen.

    Wie geht es mit Weltbild weiter?

    Chefsanierer Schultheis forderte Angaben aus Teilnehmerkreisen zufolge eine 51-prozentige Zusage, dass die Kirche die 135 Millionen Euro bereitstellt. Die Bischöfe fühlten sich überrumpelt, das Wort „Erpressung“ macht seither die Runde. Die Eigentümer zogen die Reißleine, ihre Schmerzgrenze war erreicht. Mehr als die zugesagten 65 Millionen Euro zahlt die Kirche nicht.

    Am Freitag, 10. Januar, meldete die Weltbild-Geschäftsführung Insolvenz an. Seither sucht Insolvenzverwalter Geiwitz nach einem Investor, hunderte Jobs sind gefährdet.

    Vieles von all dem ist Vergangenheitsbewältigung. Wie es nun weitergeht, sollen die Mitarbeiter kommenden Donnerstag erfahren. Dann ist die neue Betriebsversammlung angesetzt.

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