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Augsburg: Der ganze Kuka-Krimi: Was wirklich hinter Reuters Abgang steckt

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Der ganze Kuka-Krimi: Was wirklich hinter Reuters Abgang steckt

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    Der Abgang vom Kuka-Chef Till Reuter wirft nach wie vor Fragen auf.
    Der Abgang vom Kuka-Chef Till Reuter wirft nach wie vor Fragen auf. Foto: Ulrich Wagner (Archiv)

    Wenn Manager vom Hof gejagt werden, müssen Verbal-Artisten ran. Ihnen obliegt es, den Kern der Trennung mit diplomatischen Wattebäuschen oder Styroporschichten abzudecken, damit der Zwist gut gepolstert unter Floskeln verschwindet. So haben sich der chinesische Kuka-Aufsichtsrats-Chef Andy GuGu und Konzern-Boss Till Reuter natürlich „im Einvernehmen“ getrennt. Und selbstverständlich wird seit Montag vergangener Woche reichlich Zuckerguss über die Watte verteilt. Der eine, Reuter, sagte, er sei stolz, die Robotik gemeinsam mit seinem Team weiterentwickelt zu haben. Der andere, Gu, behauptete, Kuka sei gut positioniert. Warum muss Reuter dann am Nikolaustag die Vorstandsmütze, wie er selbst ironisch angemerkt hatte, an seinen bisherigen Finanzchef Peter MohnenPeter Mohnen übernimmt bei Kuka: Wer ist der neue Interimschef?Augsburg weiterreichen?

    Es waren aufwühlende Tage, in denen Roboter-Manager und Betriebsräte dann doch mal aus Watte waren und geweint haben. Nun aber geben sich die Beteiligten, ob auf Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerseite, weiter wortkarg im nicht endenden Kuka-Krimi.

    Die Parallelen zwischen Kuka und Siemens sind interessant

    Zurückhaltung ist normal in einer solchen Situation. Etwa bei Siemens 2013: Als der damalige Finanzvorstand Joe Kaeser Peter Löscher an der Konzernspitze ablöste, war es neben schlechter als erhofft laufenden Geschäftssparten vor allem eine Gewinnwarnung, die dem Österreicher das Kreuz brach. Dabei hatte der heute 61-Jährige Siemens nach der Korruptionsaffäre vor dem Abgrund bewahrt. Die Parallelen zu Till Reuter sind interessant: Auch er rettete Kuka vor dem Aus im Jahr 2009, in dem der gelernte Investmentbanker die Finanzierung des angeschlagenen Konzerns sicherstellte. Auch ihm wurde am Ende eine Gewinnwarnung zum Verhängnis.

    Doch im Lauf der vergangenen Tage häufen sich – Interview um Interview – die Gründe für Reuters über Deutschlands Grenzen hinaus für Aufsehen sorgenden Abgang. So kommt, ohne dass der Betroffene sich dazu äußert, zunehmend ein um Wattebäusche und Styroporschichten befreites, wenn auch nicht vollständiges Bild zustande: Der künftige Kuka-Chef Peter Mohnen räumte ein, das China-Geschäft habe bisher die Erwartungen nicht erfüllt. Gu pflichtet ihm hier bei. Mohnen wagte zumindest, weitere kritische Punkte anzureißen: Kuka müsse interne Prozesse verbessern, mehr Kundennähe zeigen und an Innovationsgeschwindigkeit zulegen. Im Umkehrschluss heißt das für Branchenkenner: Der Roboter- und Anlagenbauer leidet unter hausgemachten Problemen, ist manchmal zu weit weg von den Käufern und tut sich schwer, Entwicklungen rasch in den Markt einzuführen. So direkt sagt der künftige Kuka-Chef das nicht. Mohnen ist ein Feingeist, kein Haudrauf und entsprechend beliebt bei den Mitarbeitern.

    Geschäft bei Kuka läuft nicht so, wie die Chinesen es wollen

    Gu macht derweil weiter Druck: „Der chinesische Markt entwickelt sich nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben.“ Vorgestellt haben sich die Kuka-Eigentümer des Haushaltsgeräte-Konzerns Midea, dass der Roboterbauer in China die Nummer eins wird. Tatsächlich aber hat Kuka zuletzt Marktanteile verloren. Anspruch und Wirklichkeit klafften auseinander. Reuter ist so in die klassische CEO-, also Chef-Falle für den obersten Angestellten einer Aktiengesellschaft getappt.

    Ein Insider dagegen äußert Zweifel an der Gu-China-Variante. Schließlich sei Kuka keine normale Aktiengesellschaft mehr, kontrolliert Midea doch 94,6 Prozent der Papiere. Der Roboterbauer ist nach der Argumentation des Branchenkenners eben nicht wie Siemens dem Druck diverser, immer für Rabatz sorgender Fondsgesellschaften ausgeliefert. Da chinesische Investoren als Geldgeber mit langem Atem gelten, haben auch andere Experten Zweifel an der Gu-Argumentation.

    Kuka-Chef Till Reuter gibt seinen Posten ab.
    Kuka-Chef Till Reuter gibt seinen Posten ab. Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa (Archiv)

    Zuletzt wurde immer deutlicher, dass die Chinesen sich wohl auch einen stärkeren Technologie-Fluss von Augsburg nach China gewünscht hätten. Schließlich haben sie für die Kuka AG gut 4,5 Milliarden Euro gezahlt, also mit 115 Euro pro Aktie einen immensen Preis. Reuter aber hatte die Dynamik des Midea-Angriffs nicht vorhergesehen. Sein Plan war es nach Informationen unserer Redaktion, mit zwei etwa gleich mächtigen Anteilseignern – dem einen aus China, dem anderen aus Europa – zu arbeiten. Eine ideale Konstellation: Wenn der eine nicht zieht, gewährt einem der andere Rückendeckung. Doch Reuter hat hier wohl zu hoch gepokert und war allein auf die Gunst eines Anteilseigners angewiesen – ein schweres Unterfangen, gerade für einen selbstbewussten und vom Erfolg verwöhnten Manager.

    Gut möglich, dass Till Reuter den Chinesen zu selbstbewusst war

    Vielleicht verhielt Reuter sich, wie hinter den Kulissen gemunkelt wird, für den Geschmack der Chinesen zu selbstbewusst, ganz ohne Watte um seine Worte zu packen. Am Ende hätten das die Midea-Leute lächelnd hingenommen, wenn der Technologiefluss von Augsburg Richtung Asien deutlich schneller vorangekommen wäre.

    Um zu begreifen, wie wichtig das für Chinesen ist, hilft ein Gespräch mit einem Mann, der über sich bescheiden sagt: „Ich bin kein China-Experte.“ Doch Professor Stefan Schlichter, 61, hat intensive Erfahrungen mit Investoren aus dem Land gesammelt. Der Maschinenbau-Ingenieur war Geschäftsführer der Firma Autefa, die seit 2011 Teil der China High-Tech Group Corporation ist. Das Unternehmen baut Maschinen zur Vliesherstellung und ist Weltmarktführer, was vollautomatische Ballen-Verpackungsanlagen für Stapelfasern betrifft.

    Schlichter hat das Schicksal Reuters verfolgt. Schließlich ist auch er aus dem Unternehmen ausgeschieden, nachdem die Chinesen Autefa übernommen hatten. Insider beobachten, dass Chefs von Firmen, die Finanziers aus China gekauft haben, häufig nach zwei bis drei Jahren gehen oder gehen müssen. Meist bleibt es offen, ob der Manager entnervt das Handtuch geworfen hat oder zum Rückzug gezwungen wurde.

    Schlichter hörte 2015 als Autefa-Geschäftsführer auf. Heute arbeitet er als Direktor des mit der Uni Augsburg verbundenen Instituts für Textiltechnik Augsburg. Die Einrichtung ist die einzige ihrer Art in Bayern, die sich mit dem Recycling von leichten und steifen Faserverbund-Werkstoffen, wie sie bei Airbus-Flugzeugen oder Autos zum Einsatz kommen, beschäftigt.

    Schlichter wirkt ebenso diskussionsfreudig wie Reuter. Auch so ein Punkt, mit dem der Wissenschaftler in China an seine Grenzen stieß. Der Professor erinnert sich: „Die Kommunikation mit den neuen Eigentümern war schwierig. Denn ein wesentlicher Teil des Managements sprach kein Englisch. So brauchten wir für alles einen Dolmetscher.“ Dann entsandten die Chinesen einen Landsmann in die deutsche Geschäftsführung, was bei Kuka noch nicht der Fall ist. Aus der Sicht Schlichters wurde „die Kommunikation bei Autefa dadurch noch schwieriger“. Dem Manager fehlte eine „klare Strategie, wo das Unternehmen hinsoll“.

    Hier werden die Erzählungen Schlichters auch aus Kuka-Sicht relevant, berichtet er doch, „dass Strategien in China entwickelt, nicht ausreichend kommuniziert und vor allem mit dem Management vor Ort kaum diskutiert worden sind“.

    Der bisherige Finanzvorstand Peter Mohnen ersetzt Till Reuter an der Kuka-Spitze.
    Der bisherige Finanzvorstand Peter Mohnen ersetzt Till Reuter an der Kuka-Spitze. Foto: Ulrich Wagner

    Zwei oder drei Jahre nach der Übernahme geben die deutschen Manager auf

    Letzteres könnte ein Hinweis darauf sein, warum selbstbewusste Führungskräfte wie Reuter und Schlichter nach diesen zwei, drei Jahren aufgeben. Dabei bleibt in Zusammenarbeit mit Chinesen vieles im Ungefähren. Schlichter liefert indes, ohne die Details im Fall Kuka zu kennen, Erklärungsmuster für deutsch-chinesische Management-Differenzen: „Jeder, der sich ihnen in den Weg stellt, von dem trennen sie sich.“ Denn Chinesen würden zuerst an nationale Interessen denken. Eine China-First-Politik gab es damit schon lange, ehe US-Präsident Donald Trump seine „America-First-Doktrin“ ausrief.

    Nun kommt der Professor zum zentralen Punkt vieler Zerwürfnisse zwischen europäischen Managern und chinesischen Investoren: „Die Asiaten übernehmen Firmen in Deutschland vor allem wegen des Know-hows. Auf diesen Rohstoff sind sie verschärft aus.“ Das besondere Material müsse reichlich nach China übergehen, um die Wirtschaft des Landes im internationalen Wettbewerb zu stärken. Doch an dem Wissenstransfer hapere es oft. Schlichters Analysen legen sich wie eine Blaupause auf den Fall Kuka.

    Was empfiehlt der Wissenschaftler, um Konfliktstoff bei Übernahmen von Anfang an zu entschärfen? Man müsse, rät er, rasch möglichst viel mit Chinesen schriftlich regeln. Wie gut, dass sowohl der neue Kuka-Chef Mohnen wie auch der chinesische Aufsichtsratschef Gu bekräftigt haben, dass der 2016 geschlossene Vertrag Bestand habe, der bis 2023 in Augsburg Standort und Arbeitsplätze absichert. Was die heimischen Jobs betrifft, müssen sich die Mitarbeiter nach den Erfahrungen Schlichters ohnehin die wenigsten Sorgen machen: „Denn die asiatischen Investoren entlassen ungern Mitarbeiter. Schließlich seien die Chinesen bei Auslands-Engagements sehr auf ihren Ruf bedacht.

    Das gilt nicht immer. Im Fall des Augsburger Ledvance-Lampenwerkes agierten andere chinesische Geldgeber knallhart: Sie machen den Ex-Osram-Standort einfach dicht. Und das, obwohl hinter den Kulissen über politische Drähte zur chinesischen Botschaft in Berlin und zu den Verantwortlichen in Peking versucht wurde, das Aus für den Standort noch abzuwenden. Am Ende gilt dann doch der von Gu jüngst geäußerte ganz watte- und styroporlose Grundsatz: „Wir sind Geschäftsleute.“

    Die Kammgarnspinnerei (AKS) in Augsburg konnte mit der Konkurrenz aus Billiglohnländern nicht mehr mithalten. 2002 meldete das Unternehmen Insolvenz an. 2004 musste es schließen.
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    Insolvenzanmeldungen, Schließungen, Einsparungen: Das sind die bekanntesten Fälle in der Region.

    Schlichter warnt auf alle Fälle vor Schwarz-Weiß-Malerei. Auch er prüft für sein Institut die Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern. Der Markt ist einfach zu groß und verlockend. Am Ende müssen sich Deutsche und Chinesen zu beiderseitigem Nutzen zusammenraufen, zumal sich die USA unter Trump zum Schaden Chinas und Deutschlands betonartig abschotten. Schlichter warnt: „Allerdings gilt es, seine eigenen Interessen gegenüber den chinesischen Partnern frühzeitig klar zu formulieren.“

    Wie es bei Kuka weitergeht, ist ungewiss. Zunächst wird nach einem Technikvorstand gefahndet, der das Führungsgremium um die beiden Finanzexperten Mohnen und Andreas Pabst verstärken soll. So könnte der Hochkaräter einst Kuka-Chef werden, wenn Mohnen, was Beobachter für möglich halten, seine Sache nicht so gut macht, dass er oberster Chef bleibt.

    Der Ausgang des Kuka-Krimis ist offen. Wenn Watte und Styropor Schicht um Schicht ganz abgetragen sind, wird es interessant. Rühren die Chinesen dann ab 2023 Beton an? Kuka ist in den vergangenen 15 Jahren fast nie zur Ruhe gekommen.

    Auch in der aktuellen Folge unseres Podcasts "Bayern-Versteher" geht es um Kuka. Chefkorrespondent Stefan Stahl, der das Unternehmen bereits seit vielen Jahren intensiv beobachtet, analysiert gemeinsam mit Michael Stifter, Leiter des Ressorts Politik und Wirtschaft, die Lage beim Augsburger Roboterbauers. Hier können Sie reinhören:

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