Es geht um tausende Arbeitsplätze beim Luftfahrtzulieferer Premium Aerotec. Allein am Augsburger Standort sind etwa 2800 Frauen und Männer von den radikalen Plänen des Mutterkonzerns Airbus betroffen, nach denen Premium Aerotec zerschlagen und eine große Sparte – die Einzelteilefertigung – womöglich verkauft wird. Käme es dazu, müssten in Augsburg rund 2200 Beschäftigte mit einem neuen Arbeitgeber leben. Betriebsräte befürchten für den Fall einen massiven Job-Abbau und ein langfristiges Ausbluten des Standortes.
Kanzleramt ist an Airbus beteiligt und vertritt die Interessen Deutschlands
Entsprechend erbost sind die Arbeitnehmervertreter, dass sie an dem am Donnerstag vom Bundeskanzleramt unter Regie von Minister Helge Braun (CDU) veranstalteten digitalen Airbus-Gipfel nicht teilnehmen durften. Dabei hatte sich Bayern, wie ein Sprecher der Staatskanzlei unserer Redaktion bestätigte, dafür starkgemacht, dass die Beschäftigtenvertreter zu dem Treffen eingeladen werden. Das Kanzleramt vertritt die Interessen Deutschlands bei Airbus, ist das Land doch wie Frankreich mit knapp elf Prozent an dem europäischen Flugzeugbauer beteiligt.
Nach Informationen unserer Redaktion nahmen an dem Airbus-Gipfel die drei Konzern-Spitzenmanager Guillaume Faury, Michael Schöllhorn und Dominik Asam teil. Sie erläuterten ihre Pläne Braun, dem Luftfahrtkoordinator Thomas Jarzombek (CDU) sowie politischen Vertreten Bayerns, Niedersachsens, Bremens und Hamburgs. In den Bundesländern und Hansestädten liegen Airbus- und Premium-Aerotec-Standorte. Die Repräsentanten der Politik wollten, wie es hieß, endlich Klarheit erlangen, was Airbus etwa mit den Premium-Aerotec-Werken in Augsburg oder im niedersächsischen Varel (etwa 1300 Mitarbeiter) vorhat. Werden die Standorte ganz oder teilweise verkauft? Oder bleiben sie im Schoß von Airbus? Dann müsste der Luftfahrt-Riese die Fabriken selbst sanieren. Das werde jedoch nicht ohne Schmerzen erfolgen, hatte Airbus-Spitzenmann Schöllhorn unserer Redaktion im Interview gesagt.
Ergebnisse des Gipfels lagen bis zum späten Donnerstagabend nicht vor. Es gab keine Abschlusserklärung. Die Teilnehmer haben dem Vernehmen nach Stillschweigen vereinbart. Die Airbus-Führungsmannschaft konnte sich zumindest bislang nicht zu einer Entscheidung durchringen, ob sie Plan A favorisiert, also einen Investor für Premium Aerotec sucht, oder Plan B zum Zuge kommt. Dann würde Augsburg ein Airbus-Werk. Klar ist aber in beiden Fällen: Die Standorte werden kräftig umgebaut. Einfachere Arbeiten, die nach Einschätzung des Unternehmens nicht mehr wettbewerbsfähig geleistet werden könnten, sollen ausgelagert werden.
Airbus-Gipfel endet am Donnerstag ohne konkrete Beschlüsse
Insider bezweifeln, dass die Airbus-Topleute den Politikern schon konkrete Pläne vorlegen konnten. Es dürfte bei einem Austausch von Standpunkten und der Schilderung des Zwischenstandes der Diskussionen geblieben sein. Hier hätten auch gerne die Arbeitnehmervertreter ihre Position deutlich gemacht.
Jürgen Kerner, der im Vorstand der IG-Metall für die Luftfahrtindustrie zuständig ist, übte massive Kritik: Dass Belegschaftsvertreter nicht beim Airbus-Gipfel dabei sein durften, sei ein fatales Signal für die Kolleginnen und Kollegen, die sich angesichts der aktuellen Pläne des Konzern-Managements große Sorgen um ihre Arbeitsplätze und ihre Standorte machten. Der aus Augsburg stammende Gewerkschafter sagte: „Wir fordern die Politik auf, die Sorgen der Beschäftigten endlich ernst zu nehmen und das Gespräch mit uns zu suchen.“
Damit mussten die Politiker aus den Airbus-Städten und -Bundesländern die Interessen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vertreten. Daran haben etwa Bayern und Niedersachsen keinen Zweifel gelassen. Die Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) und Stephan Weil (SPD) wandten sich in einem Brief an Kanzlerin Angela Merkel und pochen darauf, dass die Interessen der Beschäftigten in Deutschland und Frankreich in gleicher Weise wahrgenommen werden. Hier war zuletzt der Eindruck entstanden, das Airbus-Management bevorzuge Frankreich gegenüber Deutschland: So soll das französische Pendant zu Premium Aerotec, der französische Luftfahrtzulieferer Stelia Aero-space, nicht wie das deutsche Unternehmen zerschlagen werden.
Ungleiche Behandlung? Augsburger Abgeordneter schreibt Frankreichs Wirtschaftsminister
Um eine Gleichbehandlung von Deutschland und Frankreich innerhalb des Luftfahrtkonzerns hatte auch der Augsburger CSU-Bundestagsabgeordnete Volker Ullrich in einem Brief an den französischen Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire eindringlich gebeten. Der Franzose soll nun wiederum, wie es in Berlin heißt, mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) über die Zukunft der Luft- und Raumfahrtindustrie in Europa gesprochen haben. Dabei seien auch Augsburger Angelegenheiten diskutiert worden.
In das Thema kommt zunehmend Bewegung, was dem Druck von Gewerkschaftern und Bundestagsabgeordneten aus Airbus-Regionen zu verdanken ist. Die Beschäftigtenvertreter haben dem Airbus-Management bereits abgerungen, dass neben einem Verkauf von Premium Aerotec der Verbleib im Airbus-Konzern geprüft wird. Hier sind die Gewerkschafter zu schmerzlichen Einschnitten bereit. Sie akzeptieren die Einschätzung des Airbus-Managements, dass 600 bis 700 Arbeitsplätze in der Einzelteilproduktion bei Premium Aerotec nicht mehr wettbewerbsfähig seien und verlagert werden müssten.
Doch die Arbeitnehmervertreter würden einem solchen Abzug von Arbeit aus Augsburg und Varel nur zustimmen, wenn die Airbus-Spitze zu einem Deal bereit ist und im Gegenzug profitable Arbeitspakete, die etwa an einen Hersteller in der Türkei vergeben wurden, zurückholt.
Zukunft von Airbus und Premium Aerotec: Konzern packt Thema trotz Bundestagswahl an
Es müsste also ein Geben und Nehmen herrschen, um den Konflikt um die Zukunft von Airbus und Premium Aerotec beizulegen. Ob die Führung des Konzerns dazu bereit ist, wirkt weiter unklar. Auch bei Airbus sollen die Meinungen auseinandergehen. Führende Manager seien aber, wie es am Airbus-Stammsitz in Toulouse heißt, fest entschlossen, Premium Aerotec nach vielen Jahren ohne Entscheidungen wettbewerbsfähig zu machen. Airbus-Mann Schöllhorn machte deutlich: „Das Unternehmen häuft seit zwölf Jahren Verluste an.“ Deshalb hat der Vorstand des Konzerns das Thema in diesem Jahr angepackt – und das, obwohl eine Bundestagswahl ansteht.
Es war den Verantwortlichen klar, dass der Fall „Airbus/Premium Aerotec“ in den betroffenen Regionen zum Wahlkampfthema wird. Doch den Airbus-Managern läuft die Zeit davon, den Sanierungsfall „Premium Aerotec“ zu regeln. Schließlich deutet sich an, dass die Luftfahrtindustrie, zumindest was Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge betrifft, schneller als gedacht wieder abhebt. Dann ist Airbus in stärkerem Maße darauf angewiesen, dass etwa die in Augsburg gefertigten Rumpfenden für Maschinen der A320-Familie schnell geliefert werden. In einer Phase des Hochlaufs der Produktion kann ein Konzern schwer Standorte umstrukturieren und verkaufen. Das sorgt für Proteste seitens der Belegschaft. Auch Streiks wären denkbar. Daher wollen die Airbus-Lenker das jetzige Zeitfenster, in dem sich die Luftfahrtindustrie immer noch in der Krise befindet, für sich ausnutzen, um ohne Lieferdruck wie in Boom-Phasen Premium Aerotec auf Kurs zu bringen.
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