Die deutschen Ärzte kämpfen gegen eine neue Verordnung der EU-Kommission, mit der Arzneimitteltests an Patienten vereinfacht werden sollen. „Wir dürfen nicht zulassen, dass das Schutzniveau von Versuchspersonen heruntergefahren wird“, warnte der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery.
Seine Sorge gilt einem Entwurf, der Versuche mit neuen Präparaten entbürokratisieren will. In den kommenden Wochen beginnen die parlamentarischen Beratungen.
Brüssel will die unabhängige Ethikkommission abschaffen
„Da muss noch nachgebessert werden“, forderte neben Montgomery auch der CDU-Europa-Politiker Peter Liese, der vor seiner politischen Laufbahn Stationsarzt in einem westfälischen Krankenhaus war. Hintergrund: Bislang müssen Tests in Deutschland von einer unabhängigen Ethikkommission genehmigt werden. Diese Instanz will die Kommission nun abschaffen und es den Mitgliedstaaten überlassen, wie sie Versuche organisieren und erlauben. Außerdem sollen künftig die Testergebnisse in einem Mitgliedstaat ausreichen, um eine Zulassung innerhalb der ganzen Gemeinschaft zu erreichen, wobei sich der Hersteller das Land für seinen Testlauf aussuchen kann.
Präsident der Ärztekammer warnt vor "Ethik-Shopping"
Montgomery warnt vor den Gefahren: „Solches Ethik-Shopping können weder Ärzte noch Politiker verantworten.“ Dies gelte vor allem für Präparate, die für eine besonders sensible Patientengruppe entwickelt werden. Man brauche zwar unbedingt die Forschung und auch neue Arzneimittel für Kinder, für Behinderte und vor allem für Demenzkranke (nicht einwilligungsfähige Personen). „Patienten dürfen aber künftig nicht weniger geschützt werden, als das bisher der Fall war“, sagte der Ärzte-Chef. Ein Abbau des heutigen hohen Levels sei jedoch zu befürchten, wenn die Ethikkommissionen in Deutschland abgeschafft werden müssten.
Das wäre die Konsequenz, sollte die EU aus der elf Jahre alten Richtlinie (diese konnte noch von den Mitgliedstaaten national ausgestaltet werden) eine Verordnung mit unmittelbarer, europaweiter Gültigkeit machen. Dann könne auch die Bundesrepublik keine höheren Auflagen für Tests an Menschen erlassen.
Pharmakonzerne dürfen für Studien nicht auf Dritte Welt-Länder ausweichen
Allerdings bietet der Entwurf der Kommission auch Fortschritte. Pharmakonzerne sollen demnach nicht mehr mit Studien in Länder der Dritten Welt ausweichen dürfen. Dies ist seit Jahren Praxis, weil beispielsweise in Indien aufgrund der verarmten Bevölkerung leicht viele Probanden zu finden seien, die einem deutlich höheren Risiko ausgesetzt werden als in Deutschland, wo der Schutz für Versuchspatienten höher ausgestaltet wurde. Deshalb sieht der Entwurf aus Brüssel für Arzneimitteltests eine Klausel vor, die eine Übernahme von Versuchsergebnissen von außerhalb Europas ausdrücklich untersagt.
Einig sind sich alle Beteiligten, dass die EU neue Spielregeln für derartige Untersuchungen braucht. Schon heute werden 24 Prozent aller Arzneimittel-Erprobungen in mehr als nur einem Land durchgeführt, weil die Mitgliedstaaten für sich genommen zu klein sind, um – zum Beispiel für seltene Erkrankungen – eine genügend große Probandenzahl stellen zu können.