Die Zahl der Lebensmitteltafel-Nutzer ist im vergangenen Jahr um zehn Prozent auf aktuell 1,65 Millionen Menschen angestiegen. Besonders dramatisch sei der Anstieg bei den Senioren um 20 Prozent, sagte der Vorsitzende des Bundesverbandes Tafel Deutschland, Jochen Brühl, in Berlin. Völlig inakzeptabel sei auch die Zunahme von Kindern und Jugendlichen bei den Tafeln.
Immer mehr Deutsche sind auf Lebensmittel von der Tafel angewiesen
Fast 50.000 junge Menschen mehr, ein Plus von zehn Prozent, sind demnach auf die Unterstützung mit Lebensmitteln angewiesen. Insgesamt liegt der Anteil von Kindern und Jugendlichen bei 30 Prozent der Tafel-Nutzer. „Wir Tafeln sind eine Art Seismograph der Gesellschaft“, sagte Brühl und sprach von einer „alarmierenden Entwicklung“. Niedrige Renten seien nach Langzeitarbeitslosigkeit der zweithäufigste Grund, eine Tafel aufzusuchen. „Altersarmut wird uns in den kommenden Jahren mit großer Wucht überrollen“, warnte der Vorsitzende.
Zugleich wüchsen mit aktuell 500.000 bedürftigen Kindern und Jugendlichen die „Altersarmen von morgen heran“. Es zeige sich immer deutlicher, auch Armut werde vererbt, sagte Brühl. Es sei gefährlich für die Gesellschaft, wenn sich ein Teil generationenübergreifend als abgehängt betrachte. Einen Rückgang hat es dagegen bei Flüchtlingen um sechs auf 20 Prozent gegeben.
Bundesweit gibt es derzeit 947 Tafeln mit 60.000 Mitarbeitern. 90 Prozent der Mitarbeiter engagieren sich ehrenamtlich. Die Mehrheit der Helferinnen und Helfer sind Frauen (61 Prozent) und Senioren (63 Prozent). 20 Prozent sind Bedürftige oder frühere Bedürftige. Nur sechs Prozent der Ehrenamtlichen sind unter 30-Jährige. Manches freiwillige Engagement scheitere schon am zu teuren Busticket, das sich mögliche Helfer nicht täglich leisten können, sagte Brühl. Auch deshalb fordert er staatliche Unterstützung für die Tafeln.
Mit ihrem Engagement retteten die Tafeln gut 265.000 Tonnen Lebensmittel im Jahr, sagte Tafel-Geschäftsführerin Evelin Schulz. Doch es könnte noch mehr sein, denn vernichtet würden in Deutschland bis zu 18 Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr. „Den Tafeln fehlt es aber an Geld für mehr Kühlfahrzeuge und Lagerkapazitäten – und vor allem brauchen sie mehr Helferinnen und Helfer“, sagte Schulz. Die erste Tafel wurde vor 26 Jahren in Berlin gegründet.
Warum in Bayern nicht so viele zu den Tafeln gehen
Während bundesweit die Zahlen der Tafelnutzer steigen, ist ein solcher Trend in Bayern hingegen nicht zu erkennen, sagte Peter Zilles, Vorsitzender Tafel Bayern, unserer Redaktion. Im Freistaat gibt es 169 Tafeln, die geschätzt pro Woche 200.000 bis 250.000 Menschen versorgen. Zilles spricht von 7000 Ehrenamtlichen, die an den bayerischen Tafeln tätig sind, dazu kommen einige Hauptamtliche, die zumeist bei größeren Tafeln angestellt sind. Zwar gebe es natürlich auch in Bayern Armut. Aber die Zustände seien wegen der insgesamt guten wirtschaftlichen Situation im Freistaat nicht mit anderen Bundesländern vergleichbar. Ähnlich wie auf Bundesebene stelle er aber fest, dass das Thema Altersarmut auch hier einen immer größeren Raum einnehme.
Fragt man direkt bei Tafeln in der Region nach, kommt man zu ähnlichen Resultaten: „Bei uns ist der Bedarf seit Jahren eher konstant“, sagte etwa Peter Gutjahr, Zweiter Vorsitzender der Augsburger Tafel. „Eine Weile kamen natürlich viele Flüchtlinge, aber die Zahl ist längst wieder zurückgegangen.“ Insgesamt werden in den sechs Augsburger Tafelausgabestellen 4500 Menschen versorgt. Vermehrt sind aber ältere Menschen betroffen.
„Auch bei uns sind die Zahlen nicht gestiegen“, ergänzt Gertrud Sauter, Vorsitzende der Kaufbeurer Tafel, die im kommenden Jahr seit 20 Jahren existiert. Im Schnitt erhalten in Kaufbeuren und Neugablonz 160 Menschen Lebensmittel. Aus organisatorischen Gründen darf pro Familie nur ein Mitglied kommen. So erklärt sich aber, dass diese 160 insgesamt etwa 400 Menschen versorgen, sagt Sauter. Die Kaufbeurer Tafel erhält ihre Lebensmittel vor allem von Rewe, Netto, Aldi, dem V-Markt und von fast allen Bäckereien der Region. (epd, mab)
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