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Arbeitsrecht: Erreichbarkeit im Job: Warum abschalten so wichtig ist

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Erreichbarkeit im Job: Warum abschalten so wichtig ist

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    Auch nach Feierabend müssen viele Mitarbeiter noch telefonieren und E-Mails schreiben.
    Auch nach Feierabend müssen viele Mitarbeiter noch telefonieren und E-Mails schreiben. Foto: Jan-Philipp Strobel (dpa)

    Der Chef ruft schon am Sonntagabend an – weil er noch kurz die Strategie für das Kundengespräch am nächsten Morgen absprechen will. Und am Abend darauf schickt er eine E-Mail, um noch kurz ein paar Fragen zu klären. Dass der Arbeitnehmer die Anfrage auch nach Dienstschluss beantwortet, versteht sich von selbst – schließlich ist die Sache dringend.

    Geht es nach Detlef Wetzel, soll mit dieser „unzumutbaren“ Praktik bald Schluss sein. Der neue Chef der Gewerkschaft IG Metall fordert, berufliche Anrufe, SMS und E-Mails nach Feierabend und an Wochenenden zu unterbinden – und zwar per Gesetz. Der Bild sagte Wetzel: „Die Digitalisierung darf nicht dazu führen, dass Arbeitnehmer rund um die Uhr erreichbar sind.“ Und dass die neue Große Koalition „strenge Regeln gegen Stress im Job und zu Hause“ vereinbaren müsse. Für den Gewerkschafter steht fest: Jeder Arbeitnehmer hat ein Recht auf Feierabend und planbare Freizeiten.

    So sieht man das auch bei Volkswagen. Deutschlands größter Autobauer hat vor zwei Jahren eine Betriebsvereinbarung unterzeichnet, wonach Mitarbeiter nach Feierabend nicht mehr erreichbar sein müssen. Mehr noch: 30 Minuten nach Dienstschluss werden beim Autokonzern keine Mails mehr an die Firmenhandys weitergeleitet. Ähnliche Regelungen gibt es auch beim Konkurrenten Daimler. Bei der Telekom haben sich alle leitenden Angestellten verpflichtet, ihren Mitarbeitern nach Dienstschluss, am Wochenende und im Urlaub keine Mails hinterherzuschicken.

    Ein Drittel der Berufstätigen ist jederzeit erreichbar

    Dennoch ist die verordnete Funkstille die Ausnahme – und die ständige Erreichbarkeit längst selbstverständlich geworden. Das legt zumindest eine repräsentative Umfrage des IT-Branchenverbands Bitkom aus dem Jahr 2011 nahe. Demnach sind 88 Prozent der Berufstätigen auch außerhalb ihrer regulären Arbeitszeiten für Kunden, Kollegen oder Vorgesetzte zu sprechen – und fast ein Drittel der Befragten jederzeit erreichbar. Für Verbandspräsident Dieter Kempf steht deshalb fest: „Eine klare Trennung zwischen Arbeit und Privatleben gibt es für die meisten Berufstätigen nicht mehr.“

    Und genau darin besteht das Problem, sagt Arbeitspsychologe Tim Hagemann von der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld. Denn wer ständig erreichbar ist, wer auch am Abend Firmenmails beantwortet und mit dem Chef telefoniert, schafft es nicht abzuschalten. Weil der Körper im Arbeitsmodus bleibt, schüttet er weiterhin Stresshormone aus. In diesem Zustand werden andere Ressourcen allerdings zurückgefahren, etwa die Magen-Darm-Funktion und das Immunsystem. Wer also permanent für den Chef im Stand-by-Modus ist und Entspannungsphasen auslässt, kann anfällig für Stresserkrankungen sein.

    Andererseits, betont Hagemann, sage die reine Arbeitszeit wenig aus über die Belastung. Dafür spricht auch, dass sich Top-Manager am wenigsten gestresst fühlen, wie eine Studie der Stanford University belegt. „Entscheidend ist, wie gut ich abschalten kann und wie sehr meine Arbeit mich belastet.“

    Nur in den wenigsten Fällen gibt der Chef die ständige Erreichbarkeit vor, sagt der Stressforscher. Oft lesen Beschäftigte von sich aus berufliche E-Mails nach Feierabend – entweder, weil das andere Kollegen so machen, weil sie das Gefühl haben, erreichbar sein zu müssen, oder weil das Smartphone ohnehin an ist. Sobald eine neue Nachricht eingeht, falle es schwer, diese zu ignorieren.

    E-Mail-Sperren, wie es sie bei Volkswagen gibt, hält Hagemann für sinnvoll, nicht aber starre Verbote, wie sie die IG Metall jetzt fordert. „Ein Umdenken in den Firmen wäre wichtiger als noch ein Gesetz“, sagte Hagemann. Ein Umdenken, dass die Effizienz nicht von der ständigen Erreichbarkeit abhängt, sondern von der Fähigkeit, auch mal abzuschalten.

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