Jedes Jahr befragt die R+V Versicherung die Deutschen nach ihren Ängsten. Was in diesem Jahr auffällt: Auf den ersten Rängen stehen dabei vor allem die Sorgen um die eigene Finanzkraft. 53 Prozent der Befragten äußerten große Furcht vor höheren Steuern oder gekürzten Leistungen wegen Corona. Auf Platz zwei liegen Inflationsängste: Jeder zweite Befragte sieht steigende Lebenshaltungskosten. Dazu passt ein Trend, der seit einigen Jahren anhält: Immer mehr Beschäftigte in Bayern haben einen Zweitjob, um über die Runden zu kommen. Das geht aus Zahlen der Bundesagentur für Arbeit hervor, angefragt hatte die Linkspartei. Seit dem Jahr 2003 hat sich der Anteil der sogenannten Doppeltbeschäftigten mehr als verzweifacht. Zum Stichtag des 31. Dezember 2020 gingen in Bayern 695.170 Beschäftigte mehreren Jobs nach. Das entspricht einem Anteil von 10,8 Prozent. Damit liegt der Freistaat auf Platz zwei hinter Baden-Württemberg (11,1 Prozent) – und damit sind zwei besonders wohlhabende Bundesländer an der Spitze. Der bundesdeutsche Durchschnitt liegt bei 9,1 Prozent. Ende 2003 waren noch 258.332 Personen in Bayern mehrfachbeschäftigt (5,1 Prozent) – damit haben sich sowohl die absolute Zahl als auch der Anteil der Mehrfachbeschäftigten in weniger als 20 Jahren mehr als verdoppelt.
In einigen Regionen ist die Quote mit mehr als 13 Prozent besonders hoch: Dies trifft zu für Rosenheim (13,1 Prozent), Bad Tölz-Wolfratshausen (14,1 Prozent), Dachau (13,3 Prozent), Ebersberg (13,2 Prozent), Erding (14,1 Prozent), Freising (13,6 Prozent), Garmisch-Partenkirchen (15,0 Prozent), Miesbach (13,8 Prozent), Kempten (13,1 Prozent), Memmingen (13,3 Prozent) und das Oberallgäu (13,4 Prozent). Überraschend: in den östlichen Bundesländern, in denen der Niedriglohnsektor stark verbreitet ist, ist die Zahl der Mehrfachbeschäftigten deutlich geringer. In Brandenburg haben nur 5,2 Prozent der Beschäftigten einen Nebenjob, in Mecklenburg-Vorpommern 5,0 Prozent, in Sachsen 5,2 Prozent.
Susanne Ferschl: Im Süden reicht ein Job nicht mehr zum Leben
„Während im Osten Niedriglöhne an der Tagesordnung sind, reicht auch im Westen und gerade im teuren Süden das Einkommen von einem Job nicht mehr zum Leben“, kritisiert Susanne Ferschl, stellvertretende Vorsitzende der Linken im Bundestag. „Wenn Menschen, um über die Runden zu kommen, einen Zweitjob benötigen, haben wir ein entschiedenes Problem.“ Sie plädiert deshalb für eine Erhöhung des Mindestlohnes auf 13 Euro. „Die finanzielle Not der Beschäftigten ist meist der Grund, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu einer Mehrfachbeschäftigung gezwungen sind“, sagt Ferschl.
Was den Zweitjob für viele Bundesbürgerinnen und -bürger attraktiv oder notwendig macht, hat kürzlich auch das Institut der deutschen Wirtschaft untersucht. Ein Grund dürfte schlicht die finanzielle Notwendigkeit sein. „Während jeweils gut jeder Vierte Einfachbeschäftigte alleinstehend oder alleinerziehend ist, lebt von den Mehrfachbeschäftigten schon mehr als ein Drittel allein“, so das IDW. „Ein geringeres Einkommen kann somit seltener durch Lebenspartner, die ihre Einkünfte mit in den gemeinsamen Haushalt bringen, aufgestockt werden.“ Da Bundesbürger mit mehreren Anstellungen darüber hinaus häufiger in Teilzeit arbeiten und öfter geringer qualifiziert sind, liege die Vermutung nahe, dass der Zweit- oder Drittjob vor allem aus finanziellen Gründen nötig ist. „Möglicherweise sollen so die Einkommensrisiken, die mit der Teilzeit im Haupterwerb verbundenen sind, zumindest teilweise ausgeglichen werden.“ Während einfach angestellte Bundesbürger am häufigsten 35 und mehr Wochenstunden arbeiten und damit zum großen Teil als Vollzeitbeschäftigte gelten, jobben Mehrfachbeschäftigte in ihrem Haupterwerb fast doppelt so oft in Teilzeit, so die Untersuchung.
Gründe sind vor allem finanzielle Nöte
Eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2019 bestätigte dies: Darin nennen 53 Prozent der Befragten finanzielle Nöte als ausschlaggebenden Grund. Weitere Gründe für Nebentätigkeiten sind die Verwirklichung einer Leidenschaft und die Zusammenarbeit mit anderen Menschen. Vor allem Beschäftigte, die in Dienstleistungsberufen arbeiten, im Bereich Erziehung, Gesundheit oder Soziales, hatten einen Zweitjob.
Laut Bundesagentur für Arbeit war in Bayern (Stand Ende 2020) die häufigste Form der Mehrfachbeschäftigung die Kombination aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung und mindestens einer zusätzlichen geringfügigen Beschäftigung, also einem Minijob. Für dieses Modell entschieden sich 601.202 Beschäftigte. Einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis mit mindestens einer weiteren sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung 68.893 Personen nach. Eine geringfügige Beschäftigung mit mindestens einer weiteren geringfügigen Beschäftigung kombinierten 38.355 Beschäftigte - dies ist der niedrigste Wert seit 2006. Die Kehrseite dieser Form sind Lücken in der sozialen Absicherung und niedrige Rentenanwartschaften. Frauen sind in dieser Statistik häufiger vertreten als Männer, Menschen mit Migrationshintergrund häufiger als Deutsche.