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Interview: Arbeitgeber-Präsident: "Wir schaffen das mit der Integration"

Interview

Arbeitgeber-Präsident: "Wir schaffen das mit der Integration"

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    Seenotretter und Arbeitgeberchef: Ingo Kramer stammt aus Bremerhaven. Er schätzt Pragmatismus.
    Seenotretter und Arbeitgeberchef: Ingo Kramer stammt aus Bremerhaven. Er schätzt Pragmatismus. Foto: Skolimowska, dpa

    Herr Kramer, Sie engagieren sich für die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Fahren Sie als deutscher Arbeitgeber-Präsident mit 65 immer noch raus auf hohe See?

    Ingo Kramer: Natürlich fahre ich noch raus, an diesem Wochenende mache ich einen alljährlichen zweitägigen Auffrischungslehrgang als Rettungs-Sanitäter. In der Osterwoche lebe ich bei meinem nächsten siebentägigen Einsatz an Bord und werde bei Rettungseinsätzen mit aufs Meer hinausfahren. Ich bin aktiver Seenotretter. Das macht mir Freude, das liegt mir im Blut. Ich komme aus Bremerhaven von der Küste. Unsere Firma mit rund 300 Beschäftigten arbeitet viel für den Schiffbau. Ich war bei der Marine, wurde dort in Navigation ausgebildet und bin Hochsee-Segler. So bin ich zur Seenotrettung gekommen. Ich bin einer der drei Vorstände der Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Wenn ich in den Alpen aufgewachsen wäre, wäre ich vielleicht bei der Bergwacht. Unsere Seenotrettungsstation wird übrigens auch von einem Bayern unterstützt, der jedes Mal extra aus dem Süden anreist.

    Von ihrem Fenster in Berlin aus sehen Sie die Spree. Könnten Sie einem Schiffbrüchigen helfen, dessen Boot dort gekentert ist?

    Kramer: Ich würde es auf jeden Fall versuchen, das ist doch klar!

    Sie kennen sich aus mit Gefahren. Wie gefährlich ist der Brexit für die deutsche Wirtschaft?

    Kramer: Das ein oder andere deutsche Unternehmen wird darunter leiden. Aber die deutsche und europäische Volkswirtschaft wird den Brexit verkraften. Ich hoffe, dass die britische Volkswirtschaft als Folge des Brexits nicht zusammenbricht, denn für die Briten ist die EU der Handelspartner Nummer eins. Solange in Großbritannien aber keiner aufwacht und erkennt, dass dies ein Desaster für die eigene Bevölkerung wird, gibt es keinen rationalen, ja ökonomisch vertretbaren Ausweg für Großbritannien.

    Es müssten doch selbst hartgesottene Brexit-Fans erkennen, wie kurzsichtig ihre Haltung ist. In Großbritannien werden etwa die Flügel für Airbus-Flugzeuge zusammengebaut.

    Kramer: Und aus Bayern und Norddeutschland kommen Teile für solche Airbus-Flügel. Doch wenn man das einem Brexit-Fan vorhält, sagt der nur, wir Deutsche würden zu pragmatisch denken. Ich habe in England Firmen-Vertreter - von Mini, also BMW, bis Airbus - getroffen, und ich habe Politiker getroffen. Was mich erschüttert hat: Die Hardcore-Brexitanhänger kümmern sich nicht um solch ökonomische Zusammenhänge. Ihnen geht es nur um Unabhängigkeit und Freiheit von Europa. Aus ihrer Sicht wird sich der Rest schon finden.

    Ist diesen Brexit-Fanatikern gar nicht beizukommen?

    Kramer: Schwer. Nehmen wir die Kurbelwelle eines Mini-Autos. Die geht vier Mal über den Ärmelkanal hin und her, bis sie eingebaut wird, weil das Bauteil von verschiedenen Zulieferern bearbeitet und veredelt wird. Wenn man dieses Beispiel gegenüber Brexit-Befürwortern anführt, sagen die nur: Das ist nicht unser Problem! Über solche wirtschaftlichen Zusammenhänge machen sich diese Menschen keine Gedanken. Stattdessen gehen die Brexit-Anhänger historisch bis zur Schlacht von Hastings im 11. Jahrhundert zurück, als französische Normannen einen ersten Erfolg bei der Eroberung Englands erzielten, aber so den Widerstand der Angelsachsen weckten. Die Brexit-Anhänger beharren auf ihrer Position, dass ihnen keiner Vorschriften machen darf, auch kein Europäischer Gerichtshof. Diese Hardcore-Brexitanhänger verstehen den Wert europäischer Zusammenarbeit im Gegensatz zur schwächenden Zersplitterung nicht.

    Kostet der Brexit Deutschland Wachstum?

    Kramer: Natürlich dürfte der Brexit auch Auswirkungen auf die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland haben, insbesondere bei einzelnen Unternehmen, aber keine gravierenden für die Volkswirtschaft. Denn Großbritannien ist für uns nur einer von vielen wichtigen Handelspartnern. Für dieses Jahr gehen die Prognosen von rund 1,5 Prozent Wachstum für Deutschland aus. Im kommenden Jahr wird das Wachstum nicht höher ausfallen, eventuell sogar etwas niedriger. Wir bleiben aber auf einem, wenn auch schwächeren Wachstumspfad um 1,5 Prozent, wie die Konjunktur-Forscher sagen. Die euphorische Grundstimmung, die Deutschland über Jahre getragen hat, neigt sich etwas dem Ende entgegen. Die Hälfte der Wirtschaftspolitik ist eben Psychologie. Wir bräuchten aber mehr Wachstum.

    Wozu brauchen wir mehr Wachstum?

    Kramer: Wenn ich mir anschaue, was die Bundesregierung alles für die nächsten Jahre an sozialen Wohltaten verspricht, vor allem bei der Rente, lässt sich das nur mit stärkerem Wachstum finanzieren. Wenn sich die Konjunktur allerdings eintrübt und der Fachkräftemangel weiter verschärft, werden wir nicht genug Geld haben, um die angekündigte Ausweitung der Sozialleistungen zu finanzieren.

    Sind Sie pessimistisch für die Zukunft Deutschlands?

    Kramer: Nein, Unternehmer sind Optimisten. Nehmen wir als Beispiel unsere größte nationale Herausforderung: den Fachkräftemangel. Ich glaube, wir schaffen es zum Beispiel, dass mehr Mütter, die dies auch wollen, arbeiten können, wenn es immer mehr ganztägige Kinder-Betreuungsmöglichkeiten gibt. Zwar gibt es noch nicht genug dieser Einrichtungen, aber die Richtung stimmt. Wir müssen auch versuchen, die Langzeitarbeitslosigkeit zu reduzieren, indem wir sicherstellen, dass keine Jugendlichen ohne abgeschlossene Berufsausbildung ins Leben treten, da diese den größten Teil der Langzeitarbeitslosen ausmachen. Und was die Fachkräfteeinwanderung betrifft, bin ich zuversichtlich, dass die Große Koalition unter Einbeziehung der CSU gute Lösungen findet. Wir müssen das Thema Migration auf alle Fälle nüchterner betrachten als in der Vergangenheit. Viele Migranten sind eine Stütze der deutschen Wirtschaft geworden. Wir müssen weiterhin eine offene Gesellschaft bleiben, die bereit ist, Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben. Wenn uns das nicht gelingt, besteht die Gefahr, dass wir wirtschaftlich wieder zurückfallen wie in den 90er-Jahren. Dann bräuchten wir allerdings wieder einen Politiker wie den einstigen SPD-Kanzler Gerhard Schröder, der den Mut aufbringt, das Ruder radikal rumzureißen. Dem Politiker selbst schadet das meist, wie das Beispiel Schröder gezeigt hat. Seine Reformen jedoch waren ein Segen für unsere Volkswirtschaft.

    Trotzdem gibt es in der SPD und innerhalb der Grünen Bestrebungen, die Hartz-Reformen als Kernelement von Schröders Agenda mehr oder weniger zurück zu drehen.

    Kramer: Es gibt keinen Anlass, die Reform-Agenda von Herrn Schröder radikal zurückzudrehen. Das Dilemma der SPD ist, dass sie auf Funktionärsebene innerparteilich eine Diskussion über Hartz IV führt, die so in der Gesellschaft nicht diskutiert wird. Etwas anderes ist es, an Stellschrauben nach zu justieren.

    Was fordern Sie konkret? Wo muss Hartz IV nachgebessert werden?

    Kramer: Zum Beispiel müssen wir die Hinzuverdienstmöglichkeiten so verbessern, dass ihre Anreize auf die Aufnahme einer Vollzeittätigkeit gerichtet sind. Derzeit darf man 100 Euro behalten und muss von allem darüber in der Regel mindestens 80 Prozent abgeben. Und weiter müssen wir mehr unternehmen, um gerade Langzeitarbeitslose und insbesondere deren Kinder aus dem Hartz-IV-Milieu herauszubekommen.

    Steht das Prinzip des Förderns und Forderns auf dem Spiel?

    Kramer: Nein, beim Prinzip des Förderns und Forderns müssen wir bleiben. Ich kann hier nur dem Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, beipflichten, der zurecht sagt: das Mindeste, was man von einem Arbeitslosen erwarten kann, ist, dass er sich bei einer Position, die für ihn gefunden wurde, auch vorstellt. Wenn nicht, muss es möglich sein, Mittel zu ergreifen. Ohne Sanktionen, die übrigens nur in drei Prozent aller Fälle verhängt werden, geht es nicht. In der Familie gibt es ja auch das Prinzip „Hilf mit, dann gibt es Taschengeld“.

    Grünen-Chef Habeck sieht das anders. Er will Hartz IV abschaffen und durch eine Garantie-Sicherung ersetzen. Mit dem Fordern von Arbeitslosen wäre es vorbei.

    Kramer: Herr Habeck vertritt klügere und weniger kluge Auffassungen. Ansonsten ist er ein sehr interessanter Gesprächspartner. Vielleicht kann ich ihm ja den ein oder anderen nicht so klugen Gedanken wie etwa seinen Hartz-IV-Vorstoß ausreden. Natürlich brauchen wir eine solidarische Gesellschaft. Aber wenn die Gesellschaft solidarisch mit den Schwächeren umgeht, müssen die Schwächeren auch akzeptieren, dass sie das, was sie leisten können, auch leisten sollten. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Dieses Prinzip lernt man schon in der Familie.

    Unternehmer zeigen sich solidarisch und integrieren auch mit großem Erfolg Flüchtlinge. Doch manche als Arbeitskräfte dringend benötigte Migranten werden abgeschoben. Was können Firmen-Inhaber hier tun?

    Kramer: Es genügt ein Blick ins Gesetzbuch. Wer bei uns eine Ausbildung beginnt, darf in den drei Jahren der Ausbildung nicht abgeschoben werden. Dieser Schutz gilt dann noch für zwei weitere Jahre.

    Das ist bekannt. Dennoch werden Migranten mit abgeschlossener Ausbildung abgeschoben.

    Kramer: Das darf nicht sein. Das Wichtigste ist, dass Arbeitgeber zusammen mit ihren betroffenen Azubis und sozial integrierten Mitarbeitern rechtzeitig zur Ausländerbehörde gehen und einen Aufenthaltsstatus beantragen. Es gibt allerdings ein Dilemma: Wenn eine Ausweisungsverfügung erlassen wurde, bevor dieser Aufenthaltsstatus erwirkt wurde, dann müssen die Betroffenen abgeschoben werden. Das heißt: Unternehmer und Mitarbeiter müssen sich rechtzeitig schlau machen und kümmern. Zwar obliegt die letzte Entscheidung der Ausländerbehörde, aber wenn etwa der Handwerkmeister rechtzeitig kommt und für seinen gut integrierten Mitarbeiter wirbt, dann stehen die Chancen gut, dass dieser bleiben darf.

    Und wie sollten sich die Ausländerbehörden verhalten?

    Kramer: Ich appelliere an die Behörden, sich beim Arbeitgeber rechtzeitig zu informieren, ehe sie Ausweisungsverfügungen erlassen. Nur dann können Firmen-Inhaber ihre Fälle vortragen. So lassen sich unsinnige Ausweisungen verhindern. Generell finde ich: Wir dürfen keine Angst vor Zuwanderung haben, sondern müssen Menschen, die zu uns kommen und hier arbeiten, als Bereicherung sehen.

    Wie kann man den Menschen die Angst vor Zuwanderung nehmen?

    Kramer: In Bremerhaven haben wir durch einen zurückliegenden Strukturwandel immer noch eine Arbeitslosigkeit von über zehn Prozent. Doch gibt es bei uns in den Hafenstädten nicht dieses Maß an Ausländerfeindlichkeit. Hafenstädte sind es, seit Schiffe fahren, gewohnt, mit Menschen aus fremden Ländern umzugehen. Die Angst vor Ausländern ist in Gegenden, wo Fremde traditionell zum Leben dazugehören, offenbar nicht so groß wie dort, wo es kaum Ausländer gibt.

    Sollten wir mehr Ausländer zur Gewöhnung nach Ostdeutschland schicken?

    Kramer (lacht): Auf alle Fälle haben viele Menschen Angst vor dem Unbekannten. Die Situation wird aber dadurch verschärft, dass diese Angst geschürt wird, unter anderem von den neuen Populisten der AfD. Ich bin mir sicher, dass einige AfD-Leute selbst nicht alles glauben, was sie erzählen. Aber sie schüren diese Ängste vor dem Fremden, weil es Wählerstimmen bringt. Und solange diesen Geistern auch noch besonders viel Platz in den Medien eingeräumt wird, verschärft sich dieser Eindruck. Das ist eine bittere Erkenntnis. Aber ich höre nicht auf, für mehr Toleranz zu werben: In unseren Krankenhäusern, bei der Polizei oder in der Wissenschaft - überall arbeiten gut integrierte Menschen aus aller Welt. Diese Bilder müssen medial stärker aufgegriffen werden als Bilder von Schwierigkeiten in manchen Asylunterkünften, wo Migranten monatelang in bedrückender Enge festgehalten werden.

    Schaffen wir das also mit der Integration der Flüchtlinge, wie Kanzlerin Angela Merkel gesagt hat?

    Kramer: Mit dieser Annahme liegt Frau Merkel richtig. Und ja, wir schaffen das mit der Integration. Die meisten jungen Migranten können nach einem Jahr Unterricht so gut Deutsch, dass sie dem Berufsschulunterricht folgen können. Von mehr als einer Million Menschen, die vor allem seit 2015 nach Deutschland gekommen sind, haben heute bald 400.000 einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz, die große Mehrheit in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, und sind damit integriert. Ich bin selbst überrascht, dass das so schnell geht. Doch die Unternehmer machen das schon. Vor allem wir Mittelständler sind doch auf der Suche nach Mitarbeitern.

    Sie loben Merkel. Was erwarten Sie jetzt von Annegret Kramp-Karrenbauer als neuer CDU-Chefin?

    Kramer: Sie wird mehr Augenmerk auf die Umsetzung der Politik auf Ebene der Kommunen und Bundesländer legen. Frau Kramp-Karrenbauer hat den großen Vorteil, dass sie mehrfach Fachministerin und später Ministerpräsidentin im Saarland war, also in einem Land, dem es wirtschaftlich nicht so gut geht. Sie weiß aus eigenem Verwaltungshandeln, wie sich Politik an der Basis auswirkt und worauf es in einem schwierigen Bundesland, das nicht auf Rosen gebettet ist, ankommt. In der Wirtschaft genießt Frau Kramp-Karrenbauer dort einen sehr guten Ruf als integrierende Kümmerin. Dass sie sich gegen Friedrich Merz durchgesetzt hat, ist doch keine Entscheidung der CDU-Delegierten gegen die Wirtschaft.

    Hätten Sie sich lieber Merz als CDU-Chef gewünscht?

    Kramer: Ich gehöre nicht der CDU, sondern der FDP an. Die CDU hat entschieden. Alle drei Kandidaten haben wirtschaftlichen Sachverstand. Frau Kramp-Karrenbauer kann auch Andersdenkende mitnehmen, moderieren und Mehrheiten zusammenbringen. Das hat sie im Saarland und als CDU-Generalsekretärin bewiesen. Sie hat das nötige wirtschaftspolitische Einfühlungsvermögen und kann in breite Kreise der Gesellschaft hineinwirken. Für mich ist sie eine gute Wahl. Aber ich fände es auch gut, wenn Herr Merz der CDU weiterhin seine wirtschaftspolitische Kompetenz zur Verfügung stellen würde.

    Zur Person: Ingo Kramer, 65, hat als Unternehmer intensive Erfahrungen als Kommunalpolitiker gesammelt. Er war Fraktionsvorsitzender der FDP in Bremerhaven, seiner Heimatstadt. „Unten muss man es hinkriegen“, lautet denn auch ein Credo des Arbeitgeberpräsidenten. Seit Ende 2013 ist er Nachfolger Dieter Hundts als Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Bis 2018 war Kramer Geschäftsführer des Bremerhavener Mittelständlers J. Heinr. Kramer. Mit 65 hat er sich in diesem Jahr aus der operativen Geschäftsführung zurückgezogen. Seine vier Kinder halten seit fünf Jahren die Mehrheit der Anteile. Der älteste Sohn ist nun mit seinen Kollegen Geschäftsführer des Anlagenbau-Unternehmens.

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