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Antibiotika in Nutztierhaltung: Aigner plant strengere Vorgaben für Tierärzte

Antibiotika in Nutztierhaltung

Aigner plant strengere Vorgaben für Tierärzte

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    Bundeslandwirtschaftsministerin Aigner will die Bestimmungen für den Medikamenteneinsatz in der Tiermast verschärfen. Foto: Bodo Marks dpa
    Bundeslandwirtschaftsministerin Aigner will die Bestimmungen für den Medikamenteneinsatz in der Tiermast verschärfen. Foto: Bodo Marks dpa

    Schärfere Kontrollen, strengere Regeln: Tierärzte sollen Antibiotika bei der Massenhaltung von Hühnern oder Schweinen nur noch in engeren Grenzen einsetzen dürfen. Das geht aus einem am Dienstag vorgestellten Gesetzentwurf des Verbraucherministeriums in Berlin hervor. Danach sollen etwa die Regeln zur Anwendungsdauer und Dosierung verschärft werden. Zudem erhalten die Überwachungsbehörden einen besseren Zugriff auf Daten. Das Gesetz, dem der Bundesrat zustimmen muss, könnte im Herbst in Kraft treten. Umwelt- und Verbraucherschützer kritisierten die Pläne als unzureichend.

    96 Prozent der Masttiere in NRW und Niedersachsen mit Antibiotika behandelt

    Ministerin Ilse Aigner (CSU) sagte: "Wir brauchen jetzt eine konzertierte Aktion." Die Anwendung von Antibiotika müsse auf ein Minimum beschränkt werden. Dazu komme eine konsequente Überwachung und Ahndung von Verstößen durch die zuständigen Länder. Antibiotika dürfen nur zur Behandlung kranker Tiere eingesetzt werden. Studien der Landesministerien in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen hatten aber ergeben, dass bis zu 96 Prozent der Masttiere damit behandelt werden. Über den Verzehr von Lebensmitteln können Menschen Keime aufnehmen, die gegen Antibiotika unempfindlich sind. Das kann dazu führen, dass die Arznei auch bei kranken Menschen nicht anschlägt.

    Wie Ministerin Aigner den Antibiotika-Einsatz in der Tierhaltung verringern will

    Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) will den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung stark einschränken - und damit langfristig auch die Tierhaltung insgesamt verbessern. Erreichen will sie dies unter anderem mit Änderungen im Arzneimittelgesetz, denn der Einsatz von Antibiotika ist eine «Schlüsseltechnologie in der Tierhaltung», wie ihr Ministerialdirektor Bernhard Kühnle sagt. Folgendes soll passieren:

    INFORMATIONEN ÜBER BEHANDELTE TIERE: Tierarzt und Tierhalter müssen schon heute dokumentieren, welche Tiere welche Medikamente in welcher Dosis und Dauer bekommen. Künftig sollen die Behörden eines Bundeslandes die Tierärzte verpflichten können, diese Daten auch weiterzugeben, und zwar im Umfang und in Zeiträumen, welche die Behörde bestimmt. So sollen sich die Länderbehörden einen schnellen Überblick verschaffen können.

    INFORMATIONEN ÜBER EINGESETZTE MEDIKAMENTE: In rund sechs Monaten sollen erstmals genaue Daten über die Mengen der in Deutschland verabreichten Antibiotika veröffentlicht werden. Diese Daten werden zur Zeit erhoben. Anhand dieser Zahlen sollen die Behörden dann sehen, in welche Bezirke mit welcher Postleitzahl die Arzneimittelhersteller besonders viel Medikamente an die Tierärzte liefern - ein erster Anhaltspunkt für Kontrollen.

    NEUE VORSCHRIFTEN FÜR DIE ANTIBIOTIKA-BEHANDLUNG: Tierärzte dürfen derzeit entscheiden, welches Medikament sie welchem Tier wie oft verschreiben. Künftig dürfen sie fast gar keine Antibiotika mehr verschreiben, die eigentlich für Menschen gedacht sind. Sollen Tiere ein Medikament oder ein alternatives länger als sieben Tage bekommen, muss der Tierarzt den Krankheitserreger und die Wirksamkeit des Medikaments im Labor testen lassen - das kostet, und zwar den Tierhalter. Tierärzte sollen zudem nicht mehr von den Anwendungsbestimmungen abweichen können, die für eine Arznei vorgeschrieben sind.

    INFORMATIONEN FÜR DEN SCHLACHTBETRIEB: Der Tierhalter muss den Schlachtbetrieb künftig darüber informieren, welche Medikamente das Tier bekommen hat, und zwar sein ganzes Leben lang. Bisher galt diese Informationspflicht für die letzten sieben Tage vor der Schlachtung, in denen ein Tier gar keine Medikamente bekommen darf. Aigner hofft, dass Schlachtbetriebe und der Lebensmitteleinzelhandel das Fleisch von Tieren nicht nehmen, die viele Medikamente bekommen haben.

    EINSCHRÄNKUNG FÜR TIERÄRZTE: Das Ministerium prüft zur Zeit, ob Tierärzte das sogenannte Dispensierrecht behalten sollen: Sie dürfen Arzneimittel selber herstellen und auch verkaufen. Das bedeutet für manchen Tierarzt eine erhebliche Einnahmequelle. In diesem Punkt wie auch bei den neuen Regeln zum Verschreiben von Antibiotika rechnet das Ministerium mit großem Widerstand.

    KONTROLLEN DER LÄNDER: Kontrollieren und überwachen sollen die neuen Vorschriften die Bundesländer mit ihren Veterinär- und Lebensmittelkontrolleuren. Dafür brauchen die Länder mehr Personal; und das kostet. Auch hier ist also Widerstand gegen die geplanten Gesetzesänderungen zu erwarten.

    Konkret plant Aigner Änderungen des Arzneimittelgesetzes, die die alltägliche Verschreibungspraxis von Tierärzten spürbar beschränken. So sollen sich Veterinäre strikt an die Anwendungsbestimmungen auf der Packungsbeilage halten müssen. Bisher können sie aus fachlichen Erwägungen je nach Fall auch von der Dosierung oder der Dauer der Anwendung abweichen.

    Änderungen des Arzneimittelgesetzes ist Kritikern nicht genug

    Antibiotika, die auch Menschen bekommen, sollen nur noch unter besonderen Voraussetzungen über die Zulassung hinaus benutzt werden dürfen, etwa für andere Tierarten. Wenn Veterinäre eine Anwendung mit einem anderen Wirkstoff wiederholen wollen, müssen sie künftig zuerst einen Labortest zur tatsächlichen Wirksamkeit machen. Festschreiben will das Ministerium auch, dass für einen deutlich längeren Zeitraum vor dem Schlachttermin Arzneimittel-Einsätze zu dokumentieren sind. Für Geflügel gilt dies bisher meist für sieben Tage, das Ministerium erwägt aber, dies auf die gesamte Mastdauer auszuweiten.

    Diskutiert werden soll auch, eine Sonderberechtigung für Tierärzte einzuschränken. Sie können Arznei direkt an Bauern verkaufen und sind damit vom sonst geltenden Monopol der Apotheken ausgenommen. Mitte des Jahres sollen erstmals genaue Daten über die Antibiotika-Mengen in Deutschland vorliegen. Das berichtete auch die Passauer Neue Presse. Damit soll erkennbar werden, in welchen Postleitzahl-Bereichen besonders viel Tierarznei eingesetzt wird.

    Die Grünen nannten die Pläne Flickschusterei. Notwendig sei, das System der Massentierhaltung grundsätzlich zu verlassen. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) forderte die Beseitigung von Anreizen für Tierärzte, möglichst viele Antibiotika zu verkaufen. Der Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Gerd Billen, verlangte in den "Ruhr Nachrichten" (Dienstag) einen Plan, innerhalb von zehn Jahren zu einer völlig antibiotikafreien Tiermast zu kommen. Bauernpräsident Gerd Sonnleitner verwies darauf, dass der Antibiotika-Einsatz in der Landwirtschaft bei steigender Produktion gesunken sei. Kranke Tiere müssten aber therapiert werden. "Alles andere wäre Tierquälerei." dpa/AZ

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