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Analyse: Stadler oder Zetsche: Wer geht als Erster?

Analyse

Stadler oder Zetsche: Wer geht als Erster?

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    Enorme Klebkräfte: Audi-Chef Rupert Stadler gibt nicht so schnell auf.
    Enorme Klebkräfte: Audi-Chef Rupert Stadler gibt nicht so schnell auf. Foto: Christof Stache, afp

    Jürgen Pieper ist einer der erfahrensten deutschen Auto-Experten. Seit rund 25 Jahren analysiert der 63-Jährige die Branche. Die Sitten oder besser gesagt Unsitten in dem Wirtschaftszweig gehen dem renommierten Spezialisten des Bankhauses Metzler inzwischen viel zu weit. Zum Diesel-Skandal, der neben VW auch Daimler voll ereilt hat, sagt er unserer Redaktion: „Die Lage ist sehr, sehr schlimm, unsäglich, ja ätzend.“ Drei Jahre nach Aufkommen der Affäre um manipulierte Abgaswerte vermisst Pieper eine konsequente Aufklärung. Fast verzweifelt meint der Auto-Analyst: „Immer wieder werden Dinge gemeldet, die nicht in Ordnung sind. Immer wieder werden Dinge verheimlicht.“ Pieper beobachtet bei Auto-Managern eine ähnliche Haltung, wie sie Vertreter der Bank-Industrie vor 15 Jahren an den Tag gelegt hätten: „Die glauben, sie könnten wegen ihrer Erfolge über Wasser gehen.“

    Wie kann es sein, dass Stadler im Amt verharrt?

    Doch obwohl der Skandal immer weitere Kreise zieht, bleiben Audi-Chef Rupert Stadler und Daimler-Boss Dieter Zetsche noch im Amt. Pieper fällt dazu nur ein: „Vor zehn bis 15 Jahren sind Manager wegen eines Bruchteils an Vorwürfen zurückgetreten.“ Gerade was den Audi-Lenker betrifft, reiben sich Beobachter verwundert die Augen: Wie kann es sein, dass Stadler, nachdem ihm Staatsanwälte eng auf den Pelz rücken, im Amt verharrt? Was ist die Zauberformel für seine Widerstandsfähigkeit?

    Vielleicht hilft eine Anleihe aus der Welt hochwertiger Sonnencremes. Stadler verfügt demnach über einen besonderen Schutzfaktor, die auf den ersten Blick mysteriöse 3-P-Formel. Die ersten beiden „P“ machen besonders deutlich, warum sich der 55-Jährige an den gleißenden Strahlen der Affäre bisher nicht verbrannt hat. Denn die Buchstaben verweisen auf die zwei mächtigen Auto-Dynastien der Porsches und Piëchs. Die beiden Familienstämme verfügen über ihre Holding Porsche SE über 52,2 Prozent der Stimmrechte an der Volkswagen AG. Ohne die Clanführer Wolfgang Porsche, 75, und Hans Michel Piëch, 76, geht nichts im Volkswagen-Kosmos. Gerade Letzterer soll mehr noch als der sanftmütige Wolfgang Porsche – „Wopo“ genannt – fast unbemerkt zum starken Mann im VW-Reich herangereift sein.

    Die Porsches und die Piëchs sind das doppelte Schutzsystem für Stadler, denn die Familien scheinen den Audi-Chef vorerst noch zu stützen. Betriebswirt Stadler genießt wegen seiner finanziellen Kompetenz zumindest nachhaltige Achtung in den Clankreisen. Auch scheinen die Piëchs und Porsches überzeugt zu sein, dass Stadler die Affäre bis zum bitteren Ende aufklären solle. Nicht wenige glauben ja, die Keimzelle des Skandals liege bei der VW-Tochter Audi.

    Stadler hält sich vor allem auch wegen Porsche und Piëch im Amt

    Stadler ist also der Affären-Sonne frontal ausgesetzt. Mutig sagte der Audi-Boss unserer Redaktion unlängst, er werde die Flinte nicht so schnell ins Korn werfen. Wichtiger als eine Flinte ist aber sein 3-P-Faktor. Denn die enorme Klebkraft Stadlers erklärt sich vollends erst mit dem dritten „P“. Hier kommt der erste Buchstabe des Nachnamens von VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, 67, ins Spiel. Der bei den Porsches und Piëchs ebenso wohlgelittene Mann war nämlich von 2003 bis 2015 VW-Finanzvorstand. Gegen den Mann ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Marktmanipulation. Ihm wird vorgeworfen, Anleger zu spät über den Skandal informiert zu haben. Pötsch ist wie Stadler ein Beschuldigter. Wenn einer von beiden gehen müsste, wäre der andere wohl auch dran. Die Piëchs und Porsches wollen aber Pötsch halten. Auch deswegen haben sie sich nicht vom Audi-Chef getrennt. Doch der Druck auf Stadler steigt immens.

    Der Diesel-Skandal bei Audi - eine Chronologie

    18. September 2015: Die amerikanische Umweltbehörde EPA deckt auf, dass der VW-Konzern bei Dieselfahrzeugen die Ermittlungen der Abgaswerte manipuliert hat. Sie geben auf dem Prüfstand geschönte Werte aus. Auch der Audi A3 ist betroffen.

    2. November 2015: Der Skandal weitet sich aus. Die EPA findet heraus, dass auch bei anderen Dieselmodellen die Abgasreinigungsanlage manipuliert wurde. Unter anderem beim Audi A6 Quattro, A7 Quattro, A8, A8L und Q5. Nun ist auch die Rede davon, dass Porsche Abgaswerte schönrechnet. Denn die Porsche-Diesel-Motoren werden von Audi entwickelt.

    4. November 2015: Nach den neuen Vorwürfen der EPA stoppen VW, Porsche und Audi den Verkauf der betroffenen Autos in den USA.

    21. November 2015: Die EPA teilt mit, dass Vertreter des VW-Konzerns eingeräumt haben, bei sämtliche Diesel-Fahrzeuge der Marken VW und Audi mit 3,0-Liter-Motoren aus den Modelljahren 2009 bis 2016 Schummelsoftware eingebaut zu haben.

    23. November 2015: Audi räumt ein, zumindest in den USA in 3,0-Liter-Diesel-Autos Betrugssoftware eingebaut zu haben.

    4. Januar 2016: Die USA verklagen VW, Audi und Porsche wegen des Einsatzes von Betrugssoftware.

    6. November 2016: Es wird bekannt, dass wohl noch mehr Audi-Modelle mit einer Betrugssoftware ausgestattet worden sind. Diesmal soll der Autohersteller auch bei den CO2-Werten geschummelt haben.

    15. März 2017: Während der Jahrespressekonferenz von Audi durchsuchen mehr als 100 Polizisten die Audi-Zentrale in Ingolstadt, weitere Standorte und die Wohnungen von Mitarbeitern. Grund ist ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwalt München II gegen Unbekannt wegen des Verdachts des Betrugs und der strafbaren Werbung.

    1. Juni 2017: Das Verkehrsministerium findet heraus, dass Audi auch in Deutschland illegale Abschalteinrichtungen in Autos eingebaut hat. 24000 Fahrzeuge sind betroffen.

    2. Juni 2017: Die Staatsanwaltschaft München II weitet ihr Ermittlungsverfahren gegen Audi aus. Nun geht es auch um Fahrzeugverkäufe in Deutschland und Europa

    7. Juli 2017: Bei den Ermittlungen in der Diesel-Affäre wird zum ersten Mal in Deutschland ein Beschuldigter festgenommen. Dem Ex-Audi-Manager aus Neckarsulm werden Betrug und unlautere Werbung vorgeworfen.

    4. August 2017: Die Münchner Staatsanwaltschaft leitet im Zusammenhang mit der Diesel-Affäre ein Bußgeldverfahren gegen mehrere Audi-Vorstände ein. Wegen möglicher Verletzung von Aufsichtspflichten laufe ein solches Verfahren gegen noch unbekannte Vorstände des Autobauers, teilt die Behörde mit.

    28. September 2017: Im Zusammenhang mit der Abgasaffäre gibt zwei weitere Durchsuchungen. Ein weiterer Audi-Mitarbeiter kommt in Untersuchungshaft.

    2. November 2017: Audi ruft weitere 5000 Diesel-Autos mit unzulässiger Abschalteinrichtung zurück.

    21. Januar 2018: Das Kraftfahrtbundesamt ordnet einen weiteren Zwangsrückruf an. Diesmal müssen 130 000 Audis zurück in die Werkstätten.

    6. Februar 2018: Die Staatsanwaltschaft München II durchsucht Geschäftsräume in der Audi-Zentrale in Ingolstadt und im Werk in Neckarsulm. Auch eine Privatwohnung wird durchsucht.

    8. Mai 2018: Audi stoppt die Auslieferung des A6 und A7. Bei einer Überprüfung hätte sich herausgestellt, dass eine falsche Software zur Abgasreinigung in den Wagen verbaut worden sei. Allerdings wäre dies aus Versehen geschehen und nicht zum Zweck der Manipulation, sagt der Ingolstädter Konzern.

    11. Juni 2018: Die Staatsanwaltschaft München II gibt bekannt, dass sie nun auch gegen Audi-Chef Rupert Stadler und den Beschaffungsvorstand Bernd Martens ermittelt.

    18. Juni 2018: Audi-Chef Rupert Stadler sitzt in Untersuchungshaft. Es bestehe Verdunklungsgefahr.

    In Branchenkreisen wird schon die Frage gestellt: Wer muss als Erster gehen, Stadler oder Zetsche? Über den Daimler-Mann bricht die Abgas-Affäre wie ein Tsunami herein, seit auch Autos der C-Klasse, also eines Brot- und Butterautos, ein Werkstatt-Besuch droht, weil der Verdacht auf Abgasmanipulation besteht. Dabei hat Zetsche einst beteuert, nicht betrogen zu haben. So setzt auch ihm immer mehr die Skandal-Hitze zu. Der Vertrag von Zetsche, 65, läuft bis Ende 2019. Dann soll ihn der Schwede Ola Källenius, 49, beerben. Oder nimmt er schon früher auf dem Chefsessel Platz? Zetsche verfügt jedenfalls nicht über Stadlers 3-P-Faktor. Denn der Daimler-Chef muss ohne mächtige Aktionärsschutzmacht überleben. Größter Einzelanteilseigner mit knapp zehn Prozent ist der Chinese Li Shufu. Der Investor ist keine sichere Bank für Zetsche. Verbündet er sich mit Fondsgesellschaften gegen ihn, wird es rasch eng für den Deutschen. Wer muss früher gehen? Stadler, dessen Vertrag bis 2022 läuft oder sein Kollege aus Stuttgart? Experten trauen sich keine Prognose zu. Auto-Analyst Pieper glaubt, Zetsche könne zumindest auf den ihm getreuen Aufsichtsratschef Manfred Bischoff, 76, setzen. Er verfügt nur über den einfachen B-Faktor und wirkt nicht so gut behütet wie Stadler.

    Wie lange der Audi-Chef durchhält, ist unklar. Auch sehr gute Freundschaften können zerbrechen.

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