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Analyse: Für Wirecard-Chef Markus Braun schlägt die Stunde der Wahrheit

Analyse

Für Wirecard-Chef Markus Braun schlägt die Stunde der Wahrheit

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    Wirecard–Chef Markus Braun sieht sich massiver Kritik ausgesetzt.
    Wirecard–Chef Markus Braun sieht sich massiver Kritik ausgesetzt. Foto: Lino Mirgeler, dpa (Archivbild)

    Markus Braun steht unter immer höherem Druck. Der Boss des Online-Bezahlabwicklers Wirecard wirkt nach schweren Vorwürfen gegen das im Deutschen Aktienindex notierte Unternehmen nach langer Standfestigkeit zunehmend angezählt. Insider schließen nicht aus, dass der 51-jährige Österreicher und Wirecard-Aktionär bis Ende des Jahres von seinem Amt als Vorstandschef zurücktreten könnte.

    Dazu mag auch beitragen, dass die Zentrale des Unternehmens in Aschheim bei München am Freitag als Folge einer Anzeige der deutschen Finanzaufsicht Bafin gegen Wirecard durchsucht wurde. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt gegen den Vorstand des Unternehmens mit weltweit 5.800 Mitarbeitern. Die Bafin-Kontrolleure hoffen nun im Zuge eines solchen Verfahrens, endlich Aufklärung darüber zu bekommen, ob die Wirecard-Führung Aktionäre – wie der Vorwurf lautet – falsch informiert hat und sie dadurch nicht die richtigen Entscheidungen im Umgang mit ihren Aktien treffen konnten.

    Wirecard: Im Zentrum des Vorwurfs steht Brauns Befreiungsversuch

    Im Zentrum des schweren Vorwurfs steht ausgerechnet ein Befreiungsversuch des Wirecard-Chefs. Denn eigentlich wollte der als verschlossen geltende Technikfreak Braun endlich alle Vorwürfe an das Unternehmen, die von Bilanzfälschung bis hin zu Untreue reichen, mit einem Mal vom Tisch wischen. Um das zu erreichen, wurde die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG beauftragt, in einer Sonderprüfung die Wirecard-Jahresabschlüsse von 2016 bis 2018 unter die Lupe zu nehmen.

    Doch die als großes Entlastungsmanöver gedachte Strategie ging nur zum Teil auf. So haben die Wirtschaftsprüfer zwar immerhin keine Anhaltspunkte dafür aufspüren können, dass Wirecard-Verantwortliche die Bilanzen gefälscht haben, aber der Teufel steckt bekanntlich im Detail, wobei einige für Braun unangenehme Einzelheiten durch den 74-seitigen KPMG-Bericht ans Tageslicht kamen. Dabei könnte es Wirecard-Managern zum Verhängnis werden, dass der Konzern weltweit in nur wenigen Jahren stark gewachsen ist. Um derart massiv zu expandieren, musste der Aufsteiger aus Bayern in Ländern, in denen das Unternehmen nicht über eine Banklizenz verfügt, auf die Dienste von Drittanbietern zurückgreifen. Hier vermuten vor allem die Rechercheure der britischen Financial Times, dass es in großem Maße zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei.

    Umsätze im Ausland: „Nix gwiss woas ma ned“

    Das Urteil der KPMG-Prüfer über die immensen Umsätze zwischen Drittpartnern und Wirecard–Töchtern in Dubai oder Irland lässt sich auf gut Bayerisch auf den Nenner bringen: „Nix gwiss woas ma ned.“ Das KPMG-Team konnte also weder herausfinden, dass die im Ausland getätigten Umsätze überhaupt existieren oder gar der Höhe nach korrekt sind, noch das Gegenteil dessen beweisen. Die Bilanz-Profis sprechen hier vielsagend von einem „Untersuchungshemmnis“.

    Die Wirecard-Story nimmt hier beinahe realsatirische Züge an, zumal Braun, der neuerdings bereit wirkt, Fehler offen einzugestehen, ankündigt: „Wir werden massiv an unseren Prozessschwächen arbeiten.“ Sind der gebürtige Wiener und seine Truppe also einfach nur zu schnell in den Himmel geschossen und haben es als schlampige Genies im Überschwang des Erfolgs mit der einer Aktiengesellschaft vorgeschriebenen Ordnung ohne bösen Willen hie und da nicht so genau genommen? Oder waren sie doch Teil möglicher von Geschäftspartnern angezettelter Tricksereien, wie die hartnäckigen Financial-Times-Redakteure vermuten?

    Kontrolleure bemängeln Pflichtmitteilungen an der Börse

    Noch ist diese entscheidende Frage nicht entschieden. Doch spätestens seit den Spezialisten der Finanzmarktaufsicht Bafin der Wirecard-Geduldsfaden gerissen ist, steht ein Verdacht im Raum, der den Managern des Online-Bezahldienstabwicklers schwer zusetzt. Denn die Kontrolleure bemängeln, Wirecard könnte in zwei Pflichtmitteilungen an die Börse vom 12. März und vom 22. April 2020 „irreführende Signale für den Börsenpreis der Aktien gegeben haben“.

    Es steht der Verdacht im Raum, die Verantwortlichen des Unternehmens hätten das KPMG-Gutachten vorschnell als eine Art Freispruch gedeutet und damit ihre Aktionäre in Sicherheit gewiegt, obwohl die Prüfer Bilanzmängel aufgespürt hatten. Sie monierten etwa, dass ihnen wichtige Unterlagen über die Geschäfte mit Drittpartnern von Wirecard nicht zur Verfügung gestanden hätten.

    Doch vielleicht hat Braun mit einem zweiten Befreiungsschlag mehr Glück. Dazu muss das Unternehmen allerdings nun wirklich – wie versprochen – am 18. Juni die schon mehrfach verschobene Bilanz für 2019 vorlegen. Entscheidend für ihn wird sein, ob die das Zahlenwerk bewertenden Wirtschaftsprüfer von EY (vormals Ernst & Young) die Bilanz voll oder vielleicht nur eingeschränkt testieren. Im ersteren Fall könnte der Druck auf Braun zurückgehen, im letzteren weiter steigen. Dabei wurde der Wirecard–Chef schon teilweise entmachtet und muss sich die Verantwortung mit mehr Kollegen im Vorstand teilen.

    DSW: Wirecard muss die Karten auf den Tisch legen

    Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), fiebert dem 18. Juni entgegen. Unserer Redaktion sagte er: „Dann muss Wirecard endgültig die Karten auf den Tisch legen.“ Das Thema treibt Aktionäre jedenfalls erheblich um. „Seit den Zeiten des Neuen Marktes haben wir nicht mehr so viele Anfragen bekommen“, berichtet der Aktionärsschützer. Damals entpuppten sich Aufsteiger wie EM.TV als Hochstapler. Heute spaltet Wirecard die Anleger in viele Kritiker, aber auch immer noch reichlich Anhänger.

    Die Wirecard-Fans sind auf alle Fälle leidensfähig, ist die Aktie doch von Höchstwerten über stolze 190 Euro im Jahr 2018 auf unter 80 Euro zurückgefallen, auch wenn sie zuletzt wieder kräftig zulegen konnte.

    Lesen Sie dazu auch: Warum in München so viele Dax-Unternehmen sitzen

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