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Amazon: Warum wird Amazon in Graben so lange bestreikt?

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Warum wird Amazon in Graben so lange bestreikt?

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    Mittlerweile drei Jahre dauert der Arbeitskampf von Verdi gegen den US-Händler Amazon an. Unser Bild erinnert an eine der früheren Streikaktionen im Jahr 2014.
    Mittlerweile drei Jahre dauert der Arbeitskampf von Verdi gegen den US-Händler Amazon an. Unser Bild erinnert an eine der früheren Streikaktionen im Jahr 2014. Foto: Axel Hechelmann

    Herr Gürlebeck, seit drei Jahren wird immer wieder beim Amazon-Logistikzentrum in Graben gestreikt. Wie lange wollen Sie diesen Arbeitskampf noch durchziehen?

    Thomas Gürlebeck: Wir wussten von Anfang an, dass es eine lange Auseinandersetzung wird. Ich gehe davon aus, dass es nie aufhören wird. Denn wir geben keine Ruhe, solange das System Amazon am Laufen ist. Wir werden weiter für bessere Arbeitsbedingungen streiten, das ist unsere Passion. Die Arbeitnehmer sind

    Was kritisieren Sie konkret an den Arbeitsbedingungen?

    Gürlebeck: Der Druck, unter dem die Angestellten stehen, ist riesig. Es dreht sich alles um Zahlen: Die Kommissionierer, aber auch deren Gruppenleiter müssen bestimmte Zielvorgaben erfüllen. Aber irgendwann ist eine Leistungsgrenze erreicht. Ein 59-Jähriger ist nicht mit einem 25-Jährigen vergleichbar.

    Ihnen wird vorgeworfen, dass sie Amazon überhaupt nicht am Standort Graben haben möchten. Stimmt das?

    Gürlebeck: Nein, denn Amazon ist für die Region arbeitsmarktpolitisch gesehen ein Segen. Viele Langzeitarbeitslose und ungelernte Kräfte haben dort eine Beschäftigung gefunden. Ich kritisiere die Kommunen, die bei dem multinationalen Konzern nicht so genau hinschauen. Amazon sagte vor fünf Jahren, dass sie 3500 bis 5000 Arbeitsplätze in Graben schaffen – tatsächlich sind es aber nur etwa 1500. Zum Weihnachtsgeschäft kommen bis zu 2000 weitere Saisonarbeitskräfte.

    Welche Ziele wollen Sie durch die Streiks erreichen?

    Gürlebeck: Die Angestellten sollen einen existenzsichernden Tarifvertrag erhalten, der im Einzel- und Versandhandel angesiedelt ist. Bisher gibt es keinen Tarifvertrag. Dabei sind wir in einigen Positionen gar nicht so weit voneinander entfernt. Zum Tarifgehalt fehlen bei Beschäftigten, die länger als zwei Jahre bei Amazon arbeiten, nur noch 36 Cent pro Stunde. Bei den befristeten Beschäftigten ist die Kluft deutlich größer. Gleiche Arbeit muss aber gleich bezahlt werden. Ein solch höheres Grundgehalt könnte vor der Altersarmut schützen, die den meisten Angestellten droht. Außerdem fordern wir ein echtes Weihnachts- und Urlaubsgeld. Die wöchentliche Arbeitszeit soll von derzeit 38,75 auf 37,5 Stunden gesenkt werden.

    Welche Erfolge haben Sie für die Angestellten nach den bisher bereits drei Jahre andauernden Auseinandersetzungen erzielt?

    Im Amazon-Streik ist bereits viel erreicht worden, meint Gewerkschaftsmann Thomas Gürlebeck.
    Im Amazon-Streik ist bereits viel erreicht worden, meint Gewerkschaftsmann Thomas Gürlebeck. Foto: Axel Hechelmann

    Gürlebeck: Seit 2013 gibt es permanent Lohnerhöhungen für die Beschäftigten, in diesem Jahr waren es 2,1 Prozent. Es gibt ein „Weihnachtsgeld light“ von 400 Euro und verschiedene Bonuszahlungen während des Jahres. Wir haben insgesamt bestimmt schon 70 Tage lang zum Streik aufgerufen und am Anfang einige Fehler gemacht. Denn der klassische Streik funktioniert im Fall Amazon nicht – wir mussten den Arbeitskampf neu überdenken. Beim stationären Handel wird gestreikt, die Geschäfte haben dadurch geschlossen und keinen Umsatz. Die ökonomische Wirkung wird also sofort deutlich. Bei Amazon ist das anders: Kunden bestellen und bezahlen online, und die Ökonomie läuft einfach weiter. Deshalb bezeichne ich den Arbeitskampf mit Amazon als Streik 4.0.

    Was ist unter dem Begriff „Streik 4.0“ genau zu verstehen?

    Gürlebeck: Wir treffen Amazon nicht direkt über den Umsatz, denn der läuft weiter – egal ob gestreikt wird oder nicht. Deshalb agieren wir zum Beispiel auf der Kostenseite. Um das zu schaffen, müssen wir antizyklisch denken: Wir streiken zum Teil gerade dann nicht, wenn es Amazon von uns erwartet. Da Amazon für die erwarteten Streiktage zusätzliches Personal engagiert, sind zu viele Arbeiter für zu wenige Aufträge da, und der Versandhändler hat dadurch höhere Ausgaben.

    Amazon bekräftigt bei jedem Streik, dass Kunden keine negativen Auswirkungen spüren. Wie sind Ihre Erfahrungen?

    Gürlebeck: Ich und meine Kollegen bestellen zu Streikzeiten gerne bei Amazon; vor allem Prime-Produkte, die der Kunde innerhalb eines Tages erhalten soll. Wenn bei Amazon gestreikt wird, bekommen wir die Ware das eine Mal pünktlich, das andere Mal nicht – das hält sich ungefähr die Waage. Wenn das bei uns so ist, wird es auch bei anderen Kunden so sein. Unsere Streiks zeigen also durchaus Wirkung – und das ermutigt uns, weiterzumachen.

    Von den mehr als 1500 Beschäftigten in Graben gehen nie mehr als 400 Menschen in den Arbeitskampf. Warum ist der Teil der streikenden Belegschaft so gering?

    Gürlebeck: Gemessen an der Gesamtzahl der Beschäftigten mag das sich nach nicht viel anhören. Wir wollen aber nur Festangestellte und weniger die Arbeiter mit befristeten Verträgen zum Streik bewegen. Bei denen besteht die Gefahr, dass sie wegen des Streiks keinen festen Vertrag bekommen. Man muss wissen, die Befristungsquote in Graben liegt bei 40 bis 50 Prozent, da sind wir mit den Streikzahlen gut aufgestellt.

    Kaufen Sie eigentlich selbst bei Amazon ein?

    Gürlebeck: Natürlich. Die Menschen dort haben es verdient, dass man ihre Arbeit honoriert. Da ich viel unterwegs bin, kann ich dort bequem Geschenke bestellen. Außerdem werden beim stationären Handel der Service und die Fachberatung heruntergefahren, und ich bekomme nicht alles.

    Thomas Gürlebeck, 39, ist Gewerkschaftssekretär für den Fachbereich Handel bei Verdi in Augsburg. Er ist in unserer Region einer der härtesten Amazon-Kritiker.

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